05.02.2024

Richtsatzsammlung 2021 – und die Anwendung in Krisenzeiten

Sich warm anziehen muss im übertragenen Sinne, wer sich mit dem Finanzamt einlässt. Aber man steht nicht unbekleidet da. Warmes Zeug in Form der „Richtsatzsammlung 2021“ bietet das Finanzministerium – mit etlichen Argumentationshilfen bei Abweichungen von der Norm.

Richtsatzsammlung 2021

Was geschieht normalerweise mit Ihren Daten im Finanzamt?

Folgendes:

  • Sie reichen Ihren Jahresabschluss beim Finanzamt ein, das Ihre Geschäftsdaten maschinell verarbeitet.
  • Das dortige EDV-System vergleicht Ihre individuellen Betriebszahlen mit den Durchschnittswerten in Ihrer Branche.
  • Liegen die von Ihnen erklärten Zahlen im Branchenschnitt, haben Sie diesen ersten Schnelltest überstanden.
  • Gibt es dagegen größere Abweichungen, wirft die EDV-Verarbeitung einen Prüfhinweis aus. Folge: Der Sachbearbeiter schaut sich Ihren Jahresabschluss näher an.
  • Bleiben danach Fragen offen, konfrontiert das Finanzamt Sie mit gezielten Nachfragen oder setzt eine Betriebsprüfung an.

Die Richtsätze bieten dem Finanzamt einen Anhaltspunkt, um Umsätze und Gewinne von Betrieben zu verproben. Dabei stellen die Durchschnittswerte auf einen „Normalbetrieb“ ab. Darunter versteht der Fiskus ein bilanzierendes Einzelunternehmen, das den Gewinn durch Bestandsvergleich ermittelt. Bei den aktuellen Jahresabschlüssen kann es vermehrt zu Besonderheiten und Abweichungen gegenüber dem Branchenschnitt kommen:

  • Ihre Firma hat massiv mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen.
  • Ihr Betrieb ist von den Folgen des Ukrainekriegs betroffen.
  • In Ihrem Unternehmen sorgt die Energiekrise oder die Inflation für große Auswirkungen.

Wie kann die „Richtsatzsammlung 2021“ des Bundesfinanzministeriums (BMF) Ihnen helfen?

Durch zahlreiche Vergleichsmöglichkeiten für Ihre Firma und Argumentationshilfen gegenüber Ihrem Finanzamt – zumal in herausfordernden Zeiten eine wichtige Hilfe bei Abweichungen von der Norm. Die rund 40 Seiten enthalten eine detaillierte Übersicht von Geschäftsdaten aus unterschiedlichen Branchen. Als Grundlage für die Daten nutzt das Ministerium die Betriebsergebnisse von zahlreichen geprüften Unternehmen – von Kleinstunternehmen, kleinen und mittleren Betrieben. Die Auflistung ist übersichtlich alphabetisch gegliedert und reicht von A wie „Ambulante soziale Dienste“ bis Z wie „Zimmerei“. Das bietet Ihnen als Steuerpflichtigem eine komfortable Nutzung. Sie können sich gezielt Ihre Branche heraussuchen und die dort gelisteten Zahlen mit den Daten Ihres Unternehmens vergleichen.

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Was bietet Ihnen die Datensammlung?

  • Den durchschnittlichen Rohgewinn Ihrer Branche,
  • den Halbreingewinn und
  • den tatsächlichen Reingewinn
  • ergänzend zum Durchschnittssatz die Spannbreite der Werte in der jeweiligen Branche auf.
  • zusätzliche Nennung des Rohgewinnaufschlags auf den Wareneinsatz.

Warum kann es zu Abweichungen kommen?

Durch die aktuellen Krisen rutschen Betriebe vermehrt in die Verlustzone. Solche Szenarien sind der Richtsatzsammlung gänzlich unbekannt. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten kann der Vergleich eines Betriebs mit den Daten der Richtsatzsammlung viel schneller als gewöhnlich zu Abweichungen führen. Darauf hat das Bundesfinanzministerium reagiert. In einem Schreiben hat es die Anwendung der Richtsätze in Krisensituationen beschrieben: „In wirtschaftlichen Krisenzeiten, welche sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von vielen oder einzelnen Betrieben haben können, ist es unabdingbar, diesen Grundsatz der individuellen Betrachtung der Steuerpflichtigen in besonderem Maße zu beachten.“ (BMF, 28.11.2022, Az.: IV A 8 – S 1544/19/10001:006)

Was bedeutet das für Sie als steuerpflichtiger Betrieb in der aktuellen schwierigen Wirtschaftslage?

Dass das Finanzamt jeweils im Einzelfall prüft, ob und in welchem Umfang bei der Anwendung der Richtsätze Anpassungen vorzunehmen sind. Als Unterstützung sollen die Prüfer des Finanzamts dabei insbesondere die in der Richtsatzsammlung ausgewiesenen Brandbreiten verstärkt ausnutzen. Diese Rahmensätze könnten die unterschiedlichen Krisenauswirkungen im jeweiligen Unternehmen gezielt ausgleichen. Sofern Ihr Unternehmen davon betroffen ist:

  • Erklären Sie die Sondereffekte, die zum negativen Geschäftsergebnis geführt haben!
  • Sprechen Sie mit Ihrem Steuerberater, ob in diesem Fall ein erläuterndes Begleitschreiben an das Finanzamt bei der Einreichung des Jahresabschlusses hilfreich ist!
  • Im günstigsten Fall erspart Ihnen die rechtzeitige Klärung sogar eine drohende Betriebsprüfung.

Inwiefern nutzt Ihnen als steuerpflichtiger Betrieb das BMF-Schreiben gewinnbringend?

Indem es Ihnen die beste Argumentationshilfe liefert, wenn Ihre Firmenzahlen von denen Ihrer Branche stark abweichen. Gehen Sie dabei am besten folgendermaßen vor:

  • Dokumentieren Sie die Gründe, weshalb Ihr Betrieb derzeit nicht ohne Weiteres mit anderen zu vergleichen ist!
  • Bewahren Sie unterstützende Belege und Aufzeichnungen gesondert auf, dann haben Sie dies bei Nachfragen gleich griffbereit! Zum Beispiel sämtlichen Schriftverkehr zu:
    • stornierten Aufträgen,
    • Lieferengpässen,
    • Ankündigung massiver Preissteigerungen.
  • Denken Sie an auf den ersten Blick unscheinbare Gründe, die schnell größere Auswirkungen mit sich bringen können:
    • Hat ein hoher Krankenstand zu einer geringeren Produktionsleistung geführt?
    • Sind durch dafür eingestellte Leiharbeiter höhere Personalkosten angefallen oder die Mieten für die Geschäftsräume stark gestiegen?
    • Gab es Sonderkosten für einen bestimmten Auftrag?
    • Haben Sie aufgrund geringerer Auslastung auch weniger attraktive Aufträge ausgeführt?

Ist die Argumentationshilfe vor dem Finanzamt der einzige Nutzen der Sammlung?

Nein, mindestens ebenso wichtig ist Ihre dadurch gegebene Vergleichsmöglichkeit der Werte in der Richtsatzsammlung für Ihre Firma mit den Mitbewerbern Ihrer Branche. So gelangen Sie leicht und ohne Zusatzkosten an einen externen Betriebsvergleich. Entscheidend sind hierfür folgende Daten:

  • Rohgewinn: der Nettoumsatz abzüglich des Waren- und Materialeinsatzes und die auf den Fertigungsbereich entfallenden Bruttolöhne ohne den AG-Anteil an der Sozialversicherung
  • Halbreingewinn: Rohgewinn abzüglich der allgemeinen sachlichen Betriebsausgaben einschließlich AfA, aber ohne Bruttolöhne für Vertrieb, ohne Gewerbesteuer sowie ohne die Aufwendungen für die eigenen gewerblichen und gemieteten Räume
  • Reingewinn: der Halbreingewinn abzüglich der besonderen Personalkosten (Vertrieb) und sachlichen Betriebsausgaben; vereinfacht ausgedrückt: der steuerliche Gewinn

Beispiele aus der Richtsatzsammlung – in Klammern der Mittelwert

Branche Rohgewinn Halbreingewinn Reingewinn

Kfz-Einzelhandel

Umsatz bis 500.000 € 11–58 % (27 %) 6–38 % (18 %) 4–28 % (15 %)
Umsatz über 500.000 € 10–33 % (20 %) 6–19 % (12 %) 2–13 % (7 %)

Optiker

Umsatz bis 500.000 € 62–76 % (69 %) 37–61 % (48 %) 13–43 % (28 %)
Umsatz über 500.000 € 63–74 % (68 %) 40–59 % (49 %) 10–39 % (23 %)

Heizung-/Sanitärinstallation

Umsatz bis 200.000 € 36–75 % (56 %) 18–55 % (36 %) 13–50 % (31 %)
Umsatz 200.000–600.000 € 31–58 % (44 %) 13–44 % (27 %) 9–36 % (22 %)
Umsatz über 600.000 € 26–47 % (37 %) 11–30 % (20 %) 5–24 % (14 %)

Gaststätten, Wirtschaften

umsatzunabhängig 65–78 % (71 %) 30–62 % (47 %) 9–38 % (22 %)

Wirtschaftlicher Umsatz im Sinne der Richtsätze ist die Jahresleistung des Betriebes zu Verkaufspreisen – ohne Umsatzsteuer – abzüglich der Preisnach-lässe und der Forderungsverluste. Neben den aktuellen Krisenzeiten will das Finanzamt aber auch die besonderen wirtschaftlichen Umstände in Ihrem Einzelfall berücksichtigen wie:

  • Standort,
  • Kaufkraft der Region,
  • Konkurrenzsituation,
  • Betriebsstruktur
  • etc.

Zu diesem Zweck führt die Richtsatzsammlung 2021 manche Branchen besonders detailliert auf. So sind bei Gaststätten Pizzerien und asiatische Gaststätten gesondert genannt – mit höheren Gewinnspannen. Daher will das Finanzministerium laut seinem Schreiben ausdrücklich auf einen „sensiblen Umgang mit der Richtsatzsammlung gegenüber dem Steuerpflichtigen achten“.

Stellt die Sammlung der Richtsätze nur auf Einzelunternehmen ab?

Das ist zwar in der Tat so. Die Richtsätze werden aber regelmäßig auch bei Personengesellschaften und GmbHs genutzt. Dazu nimmt das Finanzamt entsprechende Umrechnungen vor:

  • Bei der Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) stellt es die Istbeträge auf Sollzahlen um und
  • neutralisiert die Umsatzsteuerbeträge.
  • Zudem erfolgt eine periodengerechte Zuordnung der Einnahmen und Ausgaben – bis hin zur Berücksichtigung von Warenbeständen.
  • Bei einer GmbH beachtet der Fiskus die Besonderheiten der Körperschaftsteuer mittels Zu- und Abrechnungen.

Haben die Richtsätze Auswirkungen auf Schätzungen des Finanzamts?

Das kann durchaus sein. Wurde bei Ihrer Fima eine Betriebsprüfung anberaumt, dann hat sich der Prüfer, lange bevor er bei Ihnen erscheint, mit Ihren Betriebszahlen auseinandergesetzt – vielleicht sogar eine eigene Nachkalkulation durchgeführt. Auffällige Abweichungen bei den Richtwerten nimmt er gerne zum Anlass, Ihre korrekte Erfassung der Umsätze oder Kosten infrage zu stellen. Hier hilft Ihnen die Rechtsprechung: Bei formell ordnungsgemäß ermittelten Ergebnissen darf sich eine Gewinn- oder Umsatzschätzung nicht allein darauf stützen, dass die erklärten Gewinne oder Umsätze von den Richtsätzen abweichen. Daher ist eine ordnungsmäßige Buchführung unerlässlich, um vorschnelle Schätzungen bei Betriebsprüfungen zu vermeiden. Das heißt für Sie aber auch: Liegt keine ordnungsgemäße Buchführung vor, oder ist diese lücken- oder sehr fehlerhaft, sind Schätzungen und Verprobungen mittels der Richtsätze nach § 162 Abgabenordnung (AO) zulässig.

Generell gibt es bei Schätzungen einen gewissen Verhandlungsspielraum. In der aktuellen Richtsatzsammlung 2021 schreibt das BMF: „Bei einer Schätzung nach Richtsätzen führt die Anwendung der Mittelsätze im Allgemeinen zu dem Ergebnis, das mit der größten Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommt.“ Sofern Sie von einer Schätzung betroffen sind:

  • Schauen Sie zunächst, ob der Prüfer den Mittelsatz tatsächlich zugrunde gelegt hat.
  • Ist er von einer anderen, ungünstigeren Grundlage ausgegangen, bitten Sie um eine Erklärung!
  • Danach bleibt Ihnen immer die Möglichkeit, individuelle Argumente vorzubringen und gezielt zu verhandeln.
Autor*in: Franz Höllriegel