19.12.2023

Dürfen Steuerfahnder unangemeldet erscheinen?

Diesen Besuch braucht ohnedies niemand: vom Steuerfahnder in Firma oder Wohnung, und unangemeldet schon dreimal nicht. Doch darf er es womöglich? Zumindest nicht ohne Grund, erklärte der BFH. Er wies ein Finanzamt in die Schranken – und den Steuerfahnder vor die Türschwelle.

Steuerfahnder unangemeldet

Was ist ein Steuerfahnder: eine Art Kopfjäger à la Dirty Harry?

Sagen wir es so: eine Art schon, nur mit anderen Zielen, Methoden und Folgen.  Der Steuerfahnder von heute ist ein Beamter der Finanzverwaltung. Er fahndet, d.h. sucht gezielt nach und spürt Personen auf, die absichtlich keine oder zu wenig Steuern gezahlt haben. Die Steuerfahndung ist eine besondere Einheit der Finanzverwaltung zur Aufdeckung und Verfolgung von:

  • Steuerstraftaten
  • Steuerordnungswidrigkeiten

Sie kann bei Verdacht auf eine solche Tat eine Außen- oder Steuerfahndungsprüfung durchführen.

Wann kommt Steuerfahndung zum Einsatz?

In der Regel nur wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat gibt, zum Beispiel aus:

  • Selbstanzeige
  • Betriebsprüfung
  • Anzeige anderer
  • Datenlecks

Sie kann natürliche wie juristische Personen betreffen.

Als Situationen, in denen sie tätig werden kann, zählt die Steuerberaterseite „steuerschroeder.de“ auf:

  • Verdacht auf Steuerhinterziehung: eine Person oder ein Unternehmen könnte Steuern hinterzogen haben
  • Verdacht auf Geldwäsche: durch Steuerhinterziehung könnten erwirtschaftete Gelder gewaschen werden
  • Betriebsprüfungen: Unregelmäßigkeiten oder Verstöße gegen Steuervorschriften könnten festgestellt worden sein, die von der Steuerfahndung weiterverfolgt werden können
  • Ermittlungen: die Strafverfolgungsbehörden führen Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung oder Steuerbetrug durch und ziehen die Steuerfahndung zur Unterstützung hinzu

Wie läuft die Steuerfahndung ab?

Sie kann verschiedene Mittel einsetzen, um ihre Ermittlungen durchzuführen, wie z.B.:

  • Durchsuchung von Geschäfts- oder Privaträumen
  • Beschlagnahmung von Unterlagen
  • Befragung von Zeugen.

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Welche Folgen kann eine Steuerfahndungsprüfung für Sie als steuerpflichtigen Arbeitgeber haben:

Bei Feststellung einer Steuerstraftat nicht unerhebliche finanzielle, rechtliche und persönliche Konsequenzen wie:

  • hohe Nachzahlung von Steuern und Zinsen
  • Straf- oder Bußgeldverfahren
  • Geld- oder Freiheitsstrafe
  • Weiterleitung Ihrer steuerlichen Verhältnisse an andere Behörden, wie zum Beispiel
    • Finanzamt
    • Gewerbeamt
    • Sozialamt

Welche Aufgabe hat die Steuerfahndung?

Sie ist eine spezialisierte Abteilung der Finanzbehörden. Sie ist für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zuständig. Sie hat laut § 208 Abgabenordnung (AO) folgende Aufgaben:

  • Erforschen von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten
  • Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen in diesen Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten
  • Aufdecken und Ermittlung unbekannter Steuerfälle

Der Steuerfahndung kommt somit eine Doppelfunktion zu. Sie ist mit den straf- und bußgeldrechtlichen Ermittlungen zur Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten Justizbehörde auf der einen Seite und mit der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen Steuerbehörde.

Der Steuerfahndung weist die AO folgende Aufgaben zu:

  • Vorfeldermittlungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen (§ 85 Satz 2), die auf die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle gerichtet sind
  • Verfolgung bekannt gewordener
    • Steuerstraftaten gemäß § 386
    • Steuerordnungswidrigkeiten einschließlich der Ermittlung des steuerlich erheblichen Sachverhalts und dessen rechtlicher Würdigung
    • steuerliche Ermittlungen einschließlich Außenprüfung auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde in Bezug auf das Besteuerungsverfahren einschließlich Festsetzungsverfahren und Vollstreckungsverfahren
  • Rechte und Pflichten:
    • die den Finanzämtern im Besteuerungsverfahren zustehen
    • aus § 404 Satz 2 erster Zugriff, Durchsuchung, Beschlagnahme Durchsicht von Papieren sowie sonstige Maßnahmen nach den für die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft geltenden Vorschriften
    • als § 404 Satz 2 Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft und somit auch der eigenen Straf- und Bußgeldsachenstelle, wenn diese das Ermittlungsverfahren in Strafsachen in eigener Zuständigkeit durchführt
    • Im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten hat die Steuerfahndung dieselben Rechte und Pflichten wie die Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der Strafprozessordnung.
  • Zu Maßnahmen im Besteuerungsverfahren ist die Steuerfahndung auch berechtigt, wenn bereits ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 29.10.1986 – I B 28/86 – BStBl 1987 II, S. 440). Für Einwendungen gegen ihre Maßnahmen im Besteuerungsverfahren ist der Finanzrechtsweg, für Einwendungen gegen Maßnahmen im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten der ordentliche Rechtsweg gegeben.

Gibt es Personen, die sich einem solchen Beruf verschrieben haben?

Ja. Laut „Steuerazubi“ sind 2.000 Personen in Deutschland als Steuerfahnder tätig. 2014 wurden demnach insgesamt 40.241 Fälle aufgedeckt und Mehrsteuern in Höhe von etwa 2,5 Milliarden Euro festgesetzt, Geld, welches dem Fiskus sonst entgangen wäre. Auf der Grundlage der Meldungen aller Länder erstellt das Bundesministerium für Finanzen (BMF) jährlich eine Statistik über die Ergebnisse der Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten sowie über die Ergebnisse der Steuerfahndung. Im Jahr 2020 haben demnach die Bußgeld- und Strafsachenstellen der Finanzämter bundesweit insgesamt knapp 54.000 Strafverfahren wegen Steuerstraftaten bearbeitet. Zudem wurden rund 3.700 Bußgeldverfahren abgeschlossen und für die wichtigsten Tatbestände der Steuerordnungswidrigkeiten Bußgelder in einer Gesamthöhe von circa 40 Millionen Euro festgesetzt.

Im selben Zeitraum erledigte die Steuerfahndung bundesweit insgesamt 34.000 Fälle. Dabei wurden Mehrsteuern in Höhe von rund 3,3 Milliarden Euro festgestellt und Freiheitsstrafen im Gesamtumfang von 1.288 Jahren verhängt.

Darf der Steuerfahnder unangemeldet bei Ihnen als steuerpflichtigen Arbeitgeber auftauchen?

Ja, das darf er. Er verfügt über besondere Befugnisse und Ermittlungsmethoden. Er kann zum Beispiel unangemeldet Ihre Geschäftsräume oder Wohnungen durchsuchen, Unterlagen beschlagnahmen oder Zeugen befragen. Gleichwohl stellen sich wie in einem unlängst vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall Fragen (BFH Urteil vom 12.07.2022, VIII R 8/19):

  • Darf ein Mitarbeiter des Finanzamts unangemeldet ein in der Steuererklärung geltend gemachtes Arbeitszimmer besichtigen?
  • Ist es korrekt, dass ein Steuerfahnder vor Ort die Besichtigung durchführt?
  • Verstößt der Fiskus damit gegen formelles oder materielles Recht, und wird die Privatsphäre der Steuerpflichtigen verletzt?

Worum ging es in dem Streitfall?

Um die Geschäftsführerin eines Restaurants. Sie war zusätzlich als selbstständige Unternehmensberaterin tätig. Im Rahmen dieser freiberuflichen Tätigkeit machte sie in ihrer Einkommensteuererklärung zum ersten Mal die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer geltend – insgesamt 567,12 Euro. Das Finanzamt erkannte die Kosten unter Vorbehalt an, forderte jedoch zugleich eine Skizze der Wohnung. Die reichte der von der Geschäftsführerin beauftragte Steuerberater beim Finanzamt ein.

Regelmäßig verlangen Finanzämter eine solche Skizze der Wohnung. Daraus sollte ersichtlich sein, dass es sich beim Arbeitszimmer handelt um:

  • einen abgeschlossenen Raum
  • und genügend anderem Wohnraum.

Zusätzliche Fotos können helfen, das zu belegen. Einzelne Finanzämter verwenden zudem einen formellen Fragebogen beim erstmaligen Ansatz eines Arbeitszimmers.

War ihr die Skizze gelungen?

Wohl nicht ganz. Der Sachbearbeiter beim Finanzamt störte sich an ihr. Zwar habe sie wie ein Arbeitszimmer ausgesehen. Es fehlte jedoch ein eigener Schlafraum. Daher hielt er die Skizze für „klärungsbedürftig“ und schaltete einen hausinternen „Flankenschutzprüfer“ ein.

Was ist ein Flankenschutzprüfer?

Ein Beamter der Steuerfahndung, der die tatsächlichen Wohnverhältnisse klären soll. Er fuhr unangekündigt zur Privatwohnung der Steuerpflichtigen, wies sich korrekt aus und bat zur Überprüfung der Besteuerung um eine Wohnungsbesichtigung. Daraufhin gewährte die Frau ihm Zutritt.

Mit welchem Ergebnis?

Der Beamte vermerkte, dass die Angaben der Klägerin in der Steuererklärung korrekt waren und ein Arbeitszimmer existierte. Abweichend von der eingereichten Wohnungsskizze verfügte die Wohnung über zwei weitere Räume, einer davon wurde als Schlafzimmer genutzt. In einem Vermerk wies der Steuerfahnder darauf hin, dass die Steuerpflichtige demnächst in die gegenüberliegende Wohnung ziehen werde und abzuwarten sei, welche Raumaufteilung sich dort ergebe. Obwohl der Steuerbescheid nicht zum Nachteil der Frau geändert wurde, legte sie gegen die Ortsbesichtigung Einspruch ein. Als das erfolglos blieb, erhob sie Klage, am Ende landete der Fall beim Bundesfinanzhof.

Was entschied der BFH?

Er wertete den „Überraschungsbesuch“ des Steuerfahnders nicht als schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Steuerpflichtigen, zumal sich der Fahnder korrekt ausgewiesen habe und ihm freiwillig Zutritt zur Wohnung gewährt wurde.

Steuerbescheid nicht nachteilig, Steuerfahnder korrekt: Wo ist das Problem?

Die durch die Besichtigung gewonnenen Erkenntnisse hätte das Finanzamt steuerlich nicht verwerten dürfen. Der Besuch des Fahnders war rechtswidrig, stellten die Richter fest. Mit dem Einsatz des Fahnders sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt worden. Es hätten mildere Mittel ausgereicht wie z.B.:

  • weitere schriftliche Nachfragen zur vorgelegten Skizze
  • Ortsbesichtigung nach vorheriger Ankündigung

Wieso war die Durchsuchung nicht verhältnismäßig?

Weil die Geschäftsführerin die vom Finanzamt geforderten Unterlagen und Angaben erbracht und die Wohnungsskizze eingereicht habe. Damit habe sie einen steuerlich erheblichen Sachverhalt auf Nachfrage freiwillig offengelegt. Dann noch einen Steuerfahnder zur Überprüfung einzuschalten – wegen 567,12 Euro –, verletze den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zudem monierten die Richter, dass eine Besichtigung des häuslichen Arbeitszimmers durch einen Steuerfahnder anstelle eines Beamten des Innendienstes als belastend anzusehen sei. Dadurch könnte im Umfeld der Eindruck entstehen, dass gegen die Person strafrechtlich ermittelt würde. Dies könne das Ansehen der Steuerpflichtigen bei Nachbarn und Besuchern gefährden.

Im Urteilsfall verwies der BFH überdies auf den Vermerk des Steuerfahnders, dass nach einem Wohnungsumzug der Frau die neuen Raumverhältnisse abzuwarten seien. Damit sei eine Wiederholung der Wohnungsbesichtigung keineswegs ausgeschlossen, monierten die Richter.

Schließlich stellten die Richter allerdings eines klar: die Besichtigung eines Arbeitszimmers sei generell zulässig. Eine Überprüfung sei insbesondere dann verständlich, wenn der betroffene Steuerpflichtige zuvor bei der Aufklärung der steuerlichen Verhältnisse nicht mitwirke und keine Angaben mache oder keine Unterlagen vorlege. Aber das war eben hier nicht der Fall.

Autor*in: Franz Höllriegel