18.10.2023

Neue Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft

Bleibt es bei der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen oder nicht? Und: wie ist die umsatzsteuerliche Organschaft finanziell einzugliedern? Beide Fragen könnten weitreichende Auswirkungen haben. Deswegen hat der Bundesfinanzhof sie dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt.

Rechtsprechung Organschaft

Was ist eine umsatzsteuerliche Organschaft?

Eine besondere Form der umsatzsteuerlichen Unternehmensbesteuerung. Bei ihr gelten mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen als ein einheitliches umsatzsteuerpflichtiges Unternehmen. Sie liegt vor, wenn:

  • eine juristische Person eingegliedert ist
  • in Form der Organgesellschaft
  • nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse
    • finanziell,
    • wirtschaftlich und
    • organisatorisch
  • in das Unternehmen eines anderen Unternehmers, den Organträger.

Damit hat der Organträger die Möglichkeit, seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen. Beide Unternehmen sind eng miteinander verflochten.

Welchen Vorteil hat eine Organschaft?

  • Die Umsätze zwischen den Organgesellschaften unterliegen nicht der Umsatzsteuer.
  • Dies vereinfacht die Rechnungsstellung und
  • vermeidet Vorsteuerkorrekturen.

Was sind die Voraussetzungen für die umsatzsteuerliche Organschaft?

Sie regelt § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) mit folgenden Kriterien:

  • organisatorische Eingliederung: Die Organgesellschaft ist in den organisatorischen Bereich des Organträgers eingegliedert, der Organträger hat die Möglichkeit, auf die Geschäftsführung der Organgesellschaft Einfluss zu nehmen.
  • wirtschaftliche Eingliederung: Die Organgesellschaft ist überwiegend für den Organträger oder andere Organgesellschaften tätig.
  • finanzielle Eingliederung: Der Organträger ist an der Organgesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligt und verfügt über die Mehrheit der Stimmrechte. Hierzu hat der Bundesfinanzhof (BFH) seine bisherige Rechtsprechung geändert.

Inwiefern hat der BFH seine Rechtsprechung hier geändert?

Bisher musste der Organträger mindestens 50 Prozent plus eine Stimme an der Organgesellschaft halten, um die finanzielle Eingliederung zu erfüllen. Oft war so keine Organschaft möglich, obwohl der Organträger faktisch die Kontrolle über die Organgesellschaft hatte. Darauf hat der BFH reagiert (BFH 18.01.2023, XI R 29/22).

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Worum ging es in dem Fall?

Um eine Muttergesellschaft mit 51 Prozent Anteilsmehrheit an der Tochtergesellschaft. Sie verfügte aber lediglich über die Hälfte der Stimmen in deren Gesellschafterversammlung. Die wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung der Tochtergesellschaft in die Muttergesellschaft lagen unstreitig vor. Insbesondere bestand in den Geschäftsführungsgremien Personenidentität. Man stritt über die finanzielle Eingliederung.

Wie sieht es der BFH?

Für ihn ist in einem derartigen Fall die finanzielle Eingliederung gegeben. Insoweit ändert der BFH ausdrücklich seine Rechtsprechung. Wie er ausführt, war für die finanzielle Eingliederung bisher die Mehrheit der Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung erforderlich. Nach Auffassung des EuGH sei aber weder die Stimmenmehrheit noch die Mehrheitsbeteiligung als unbedingt erforderlich anzusehen. Es komme nur darauf an, dass der Organträger seinen Willen bei der Organgesellschaft durchsetzen kann. Nunmehr nimmt der BFH an, dass bei nur 50 Prozent der Stimmrechte trotz Mehrheitsbeteiligung die finanzielle Eingliederung lediglich schwächer ausgeprägt ist. Dies werde aber durch die Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen ausgeglichen. Dadurch kann der Organträger seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung durchsetzen und eine abweichende Willensbildung durch die 50 Prozent Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung verhindern.

Entfällt also das Erfordernis der Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft?

Nein, daran hält der BFH weiterhin fest. Nur so sei eine finanzielle Eingliederung anzunehmen. Er räumt aber nun eine Ausnahme ein. Er begründet diese damit, dass es für die umsatzsteuerliche Organschaft darauf ankommt, ob der Organträger die Möglichkeit hat, seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen. In einem solchen Fall bestehe die tatsächliche Möglichkeit, auf die Organgesellschaft einen beherrschenden Einfluss auszuüben. Der Gesellschafter kann nämlich durch seine Kapitalmehrheit die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bestimmen und durch seine Geschäftsführerstellung die Geschicke der Organgesellschaft lenken. Damit ist er in der Lage, die Organgesellschaft nach seinem Willen zu gestalten und ihr seine unternehmerische Zielsetzung aufzuerlegen.

Also freies Feld für die umsatzsteuerliche Organgesellschaft?

Nein, wie gesagt, dies ist eine Ausnahme. Der BFH betont jedoch, dass diese nur dann gilt, wenn alle drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

  • Kapitalmehrheit
  • Stimmrechtsanteil von 50 Prozent
  • Geschäftsführerstellung

Wenn eine dieser Voraussetzungen fehlt, liegt keine finanzielle Eingliederung mehr vor. Der EuGH habe ebenfalls eine strenge Auslegung des Begriffs der finanziellen Eingliederung gefordert. Danach sei eine Organschaft nur dann zulässig, wenn:

  • sie keine Gefahr von Steuerausfällen birgt und
  • der Organträger tatsächlich in der Lage ist, seinen Willen bei der Organgesellschaft durchzusetzen.

Der andere Problemfall der umsatzsteuerlichen Organschaft: Innenumsätze. Sind sie steuerbar?

Ja und nein. Der BFH hatte da Zweifel. In einem entsprechenden Vorabentscheidungsersuchen zur Frage, ob Innenumsätze zwischen Mitgliedern einer umsatzsteuerlichen Organschaft steuerbar sind, führt er aus, dass es Argumente sowohl für die Steuerbarkeit von Innenumsätzen als auch dagegen gebe:

  • Nicht steuerbar: Ist eine juristische Person finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert, so wird die juristische Person nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG als nicht selbstständig im umsatzsteuerlichen Sinne betrachtet. Insoweit gelten die juristische Person und der Organträger als ein Unternehmen. Erbringt eine Organgesellschaft eine Leistung an den Organträger und umgekehrt, oder erbringen Organgesellschaften untereinander Leistungen, gelten solche Leistungen als nicht steuerbare Innenumsätze.
  • Steuerbar: Zweifel an dieser Betrachtung ergeben sich daraus, dass der EuGH in einem Urteil vom 01.12.2022 die Organgesellschaft als selbstständig ansieht und die Organschaft nach seiner Rechtsprechung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führen darf. Letzteres könnte zu bejahen sein, wenn der die Leistung von der Organgesellschaft beziehende Organträger, wie im konkreten Streitfall, nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Mit dem Beschluss vom 26.01.2023 (V R 20/22, V R 40/19) möchte der BFH vom EuGH geklärt wissen, ob an der bisherigen Annahme der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen weiter festzuhalten ist.

Worum ging es in dem Streitfall?

Um eine Stiftung öffentlichen Rechts, Trägerin einer Universität sowohl mit hoheitlichen als auch wirtschaftlichen Tätigkeiten befasst. Sie war Organträgerin einer GmbH, die für sie gegen Entgelt Reinigungs-, Hygiene- und Wäschereileistungen sowie Patiententransportdienstleistungen erbrachte. Diese Leistungen bezogen sich auf ihren steuerfreien Krankenhausbetrieb wie auch auf ihren hoheitlichen Ausbildungsbereich. Das Finanzamt und das Finanzgericht Niedersachsen sahen diese Leistungen als steuerpflichtig an und rechneten sie dem Organträger zu. Dagegen klagte die Stiftung.

Der BFH hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH um Klärung gebeten, ob diese Zurechnung mit dem Unionsrecht vereinbar ist oder ob die Leistungen zwischen der Klägerin und der GmbH dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer unterliegen. Er hat dabei insbesondere darauf abgestellt, dass die Klägerin sowohl als Steuerpflichtige als auch als Einrichtung des öffentlichen Rechts handelte und dass die GmbH eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausübte.

Der BFH möchte vom EuGH konkret wissen:

  • Sind sämtliche Leistungen zwischen Organgesellschaft und Organträger steuerbar?
  • Sind zumindest Innenleistungen steuerbar, wenn ansonsten die Gefahr von Steuerverlusten droht; hier durch die Leistungen der Organgesellschaft in den nichtunternehmerischen Bereich der Organträgerin.

Der BFH hat dabei Zweifel geäußert, ob die bisherige nationale Regelung zur Organschaft mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Er hat insbesondere darauf hingewiesen, dass die Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen zwischen Organträger und Organgesellschaft zu einer Ungleichbehandlung von Einzelunternehmen und Organschaften führen könne. Bei Einzelunternehmen unterlägen ja alle Leistungen dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer. Außerdem könne die Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen zu Steuerverlusten führen, wenn der Leistungsempfänger nicht oder nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Nach seiner Auffassung spreche einiges für die Steuerbarkeit von Innenleistungen. Das nationale Recht ließe sich entsprechend auslegen.

Inwiefern könnte eine Änderung der Sichtweise des BFH von Bedeutung sein?

Insofern als nunmehr Gesellschaften als Organgesellschaften in den Organkreis auch ohne Stimmrechtsmehrheit der Organträgerin in die Organschaft eintreten können. Damit aber könnten nicht nur Steuerpflichtige prüfen, ob eine bisher ausgeschlossene Gesellschaft in die Organschaft eintreten kann. Auch Steuerpflichtige, die eine Gesellschaft aus der Organschaft heraushalten wollen, müssten prüfen, ob diese nun „hineinrutscht“.

Aber interessiert das wirklich eine breitere Öffentlichkeit?

In der Tat dürfte sich die Breitenwirkung des Urteils in Grenzen halten wegen der vom BFH benannten, relativ eng gefassten Voraussetzungen:

  • Mehrheitsbeteiligung
  • 50 Prozent der Stimmrechte
  • Geschäftsführeridentität

Damit liegt nach seiner neuen Rechtsprechung die finanzielle Eingliederung vor.

Was bedeutet das für Ihre Praxis?

Da weicht die prozentuale Verteilung der Anteile und der Stimmrechte zumeist nicht voneinander ab. Einen solchen praxisrelevanten Fall entscheidet das vorliegende Urteil gerade nicht.

Wie reagiert die Finanzverwaltung?

Das bleibt noch abzuwarten. Sofern auch sie ihre Auffassung ändert, wird von Interesse sein, ob sie eine Nichtbeanstandungsregelung für die Vergangenheit und gegebenenfalls für einen künftigen Übergangszeitraum einräumt. Für die Vergangenheit kommt bis zu der nun ergangenen Entscheidung auch Vertrauensschutz gemäß § 176 Abgabenordnung (AO) in Betracht.

Was wären die Folgen einer EuGH-Entscheidung pro Steuerbarkeit von Innenumsätzen?

Weitreichende, vor allem für Sie als Unternehmer. Umsatzsteuerrechtlich dient die Organschaft insbesondere als Gestaltungsinstrument für Sie als nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigter Unternehmer wie z.B.:

  • Banken und Versicherungen,
  • Unternehmer im Gesundheits- und Sozialwesen und im Bildungsbereich sowie
  • Vermieter von Wohnungen.

Nichtabziehbare Vorsteuerbeträge können Sie als ein solches Unternehmen bislang dadurch vermeiden, dass Sie mit Dienstleistern Organschaften begründen; die bezogenen Leistungen sind nicht steuerbar. Sollte der EuGH die deutsche Regelung für unionsrechtswidrig erklären, würde dies für Sie als solche Organschaft bedeuten, dass Innenumsätze zwischen Organträger und Organgesellschaft oder zwischen Organgesellschaften künftig als steuerbare Leistungen anzusehen wären – mit erheblichen Auswirkungen auf Ihre umsatzsteuerliche Behandlung als Organschaft.

Autor*in: Franz Höllriegel