04.07.2023

Bei Fortsetzungserkrankungen müssen Mitarbeiter Farbe bekennen

Ein Arbeitnehmer erkrankt. Dann zahlen Sie als Arbeitgeber sein Entgelt trotzdem weiter. Soweit, so teuer. Bei einer Fortsetzungserkrankung zahlen Sie zwar nicht ewig weiter. Aber woran erkennen Sie, ob eine solche vorliegt? Die aktuelle Arbeitsrechtsprechung bietet einen Ausweg.

Fortsetzungserkrankungen

Wie lange zahlen Sie Lohn bei einer Erkrankung? 

Höchstens sechs Wochen. Solange hätte Ihr Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. 

Wo ist das geregelt? 

In § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).  

Gilt das für jede krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit? 

Für jede eigenständige Arbeitsunfähigkeit. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit auf derselben Krankheit, d. h. auf demselben Grundleiden, beruht. Bei einer solchen Fortsetzungserkrankung hat Ihr Arbeitnehmer grundsätzlich keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen Sie als sein Arbeitgeber.  

Gilt das nun für jede Fortsetzungserkrankung? 

Grundsätzlich ja, aber auch hier gibt es eine Ausnahme. Nur ausnahmsweise steht ihm dieser Anspruch für einen weiteren Zeitraum von sechs Wochen zu, wenn er 

  • entweder zuvor sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig krank war, Satz 2 Nr. 1 der genannten Vorschrift oder 
  • seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist, Nr. 2 dieses Satzes. 

Wer befindet darüber, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt? 

Im Normalfall Sie als Arbeitgeber. Besteht Streit darüber, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt oder nicht, tragen grundsätzlich Sie die Beweislast dafür, dass eine Fortsetzungserkrankung vorliegt.  

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Haben Sie als Arbeitgeber denn Kenntnis über die Erkrankung Ihres Arbeitnehmers? 

Im Normalfall nicht. Ihr Arbeitnehmer braucht Ihnen dazu ja eigentlich nichts mitzuteilen. Und sein Arzt unterliegt der Schweigepflicht. Von der Krankenkasse werden Sie nur eine pauschale Wertung bekommen.  

Wie sollen Sie als Arbeitgeber also eine Fortsetzungserkrankung beweisen können? 

Hier hilft Ihnen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 31.03.2021, 5 AZR 197/20) zur Darlegungslast im Prozess. Danach kehrt sich die Beweislast um:  

  • nicht Sie als Arbeitgeber müssen das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung beweisen, sondern  
  • Ihr Arbeitnehmer muss beweisen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. 

Zu diesem Zweck muss Ihr Arbeitnehmer Tatsachen vortragen, die seine Behauptung beweisen. Er muss notfalls seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Hierzu hat das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) ein Urteil gefällt (vom 14.01.2022 Az. 10 Sa 898/21). 

Worum ging es in dem Fall? 

Um einen Arbeitnehmer, der vom 24.08.2019 bis zum 18.08.2020 an insgesamt 110 Tagen arbeitsunfähig erkrankt war. Dessen Arbeitgeber hatte bis zum 13.08.2020 Entgeltfortzahlung geleistet und danach die Entgeltfortzahlung für weitere, vereinzelt bis Ende September aufgetretene, zehn Krankheitstage verweigert, obwohl ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlagen.  

Womit begründete der Arbeitgeber die Einstellung der Zahlungen? 

Damit, dass der Sechswochenzeitraum für die Entgeltfortzahlung seit dem 18.08.2020 bereits überschritten und er deswegen nicht mehr verpflichtet gewesen sei, Entgeltfortzahlung zu leisten. Er bestritt, dass die Arbeitsunfähigkeiten ab diesem Zeitpunkt nicht mit den vorhergehenden Erkrankungen im Zusammenhang gestanden hätten und keine anrechenbaren Vorerkrankungen vorgelegen hätten.  

Das sah unser Arbeitnehmer anders, wie anzunehmen ist? 

Ja, er erhob Zahlungsklage. Im Verfahren teilte er für einzelne Krankheitstage die Diagnose mit. Im Übrigen behauptete er pauschal, den weiteren Krankheitstagen habe keine Fortsetzungserkrankung zugrunde gelegen. Er sei aus Datenschutzgründen nicht verpflichtet, sämtliche Diagnosen offenzulegen.  

Stieß er damit auf Zustimmung vom Gericht? 

Nein, auf Ablehnung. Das Gericht war anderer Meinung und wies die Klage auf Entgeltfortzahlung ab.  

Wie begründete das Gericht seine Ablehnung? 

Es hielt, wie der Arbeitgeber, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht für ausreichend. Sie enthalte keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung. Solche wären aber erforderlich, wenn der Arbeitnehmer die Zeiträume der Nummern 1 und 2 in der erwähnten Gesetzesvorschrift von länger als sechs Wochen dauernder Arbeitsunfähigkeit als Begründung für seinen Fortzahlungsanspruch heranziehen will. Im Streitfall müsse der Arbeitnehmer dann grundsätzlich zu allen Krankheiten im Jahreszeitraum substantiiert, und nicht nach eigener Vorauswahl nur zu denjenigen Erkrankungen vortragen, die ihm als einschlägig erschienen.  

Aber was ist dann mit dem Selbstbestimmungsrecht nach DSGVO? 

Diese Darlegungspflicht berühre zwar das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sei aber gerechtfertigt. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gestatte die Verarbeitung von Gesundheitsdaten, wenn sie:  

  • zur Geltendmachung von Rechtsansprüchen erforderlich sei,  
  • um im Rahmen eines gerichtlichen Prozesses  
  • zu zutreffenden Ergebnissen zu kommen.  

Hat das LAG-Urteil Bestand? 

Ja, die obersten Arbeitsrichter Hessens mussten zwar nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsgerichtgesetz (ArbGG) die Revision des Klägers zum BAG zulassen. Aber dieses wies sie dann zurück und erlegte die Kosten für die Revision unserem klagenden Arbeitnehmer auf (BAG Urteil vom 18. Januar 2023 5 AZR 93/22).  

Mit welcher Maßgabe? 

Dass der Arbeitnehmer für die streitgegenständlichen 71,2 Stunden aus dem Zeitraum vom 18. August 2020 bis zum 23. September 2020 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus § 3 Abs. 1 EFZG habe.  

Mit welcher Begründung? 

Im Grunde der des LAG. Das BAG führt weiter dazu aus, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung schon von dem an sich nach den Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts und von § 614 BGB auch im Arbeitsverhältnis geltenden Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ abweiche. Aus diesem Grunde sei grundsätzlich die Fortzahlung auf die Dauer von sechs Wochen wegen einer Erkrankung begrenzt. Wird obendrein Ihr Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig und will er den Anspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht verlieren, muss  

  • er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig gewesen sein (Nr. 1) oder  
  • seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen sein (Nr. 2).  

Vor Ablauf dieser Fristen entstehe ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen daher nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht.  

Warum ist das so geregelt? 

Der Gesetzgeber will mit diesen Regelungen die wirtschaftliche Belastung für Sie als Arbeitgeber durch die Entgeltfortzahlungspflicht begrenzen. Es handelt sich um eine Einschränkung der Rechte des wiederholt erkrankten Arbeitnehmers. Sie beruht auf einer besonderen Zumutbarkeitsregelung des Gesetzgebers.  

Was bedeutet das für Ihre Praxis, wenn Ihr Arbeitnehmer seine Arbeit länger nicht leisten kann? 

Dann gilt eine abgestufte Darlegungslast, die das BAG 2005 bestimmt hat (BAG Urteil vom 13. Juli 2005 – 5 AZR 389/04):  

  • der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lassen sich keine Angaben dazu entnehmen: der Arbeitnehmer legt dar, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen.  
  • Sie als Arbeitgeber bestreiten, dass eine neue Erkrankung vorliegt: Ihr Arbeitnehmer trägt Tatsachen vor, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden (BAG 31. März 2021 – 5 AZR 197/20): 
  • bezogen auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum schildert er laienhaft, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden und  
  • er entbindet die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht. Denn erst 
  • Erst auf dieser Grundlage ist Ihnen als Arbeitgeber in der Regel ein substantiierter Sachvortrag möglich.  
  • Sie als Arbeitgeber bestreiten die Behauptung Ihres Arbeitnehmers weiter: dann genügt die bloße Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nicht mehr. Eine von einem anderen Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könne sich auch als Erstbescheinigung ohnehin nicht zum Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Fortsetzungserkrankung verhalten.  
  • Können Sie als Arbeitgeber eine Fortsetzungserkrankung nicht nachweisen, tragen Sie die Folgen hiervon. 

Ist die abgestufte Darlegungslast des Arbeitnehmers verfassungsgemäß? 

Ja, das BAG hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen. Die grundrechtliche Prüfung der Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast sei zudem unter Berücksichtigung der unionsrechtlich geprägten Regelungen zum Datenschutz vorrangig am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes vorzunehmen. Beim Datenschutzrecht handele es sich um unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bestünden hinsichtlich datenschutzrechtlicher Regelungen und den diese ergänzenden arbeitsrechtlichen Regelungen „geteilte Zu ständigkeiten“ der Union und der Mitgliedstaaten.

Die DSGVO enthalte zahlreiche Öffnungsklauseln, mit denen sie die Normsetzungskompetenz ausdrücklich auf die Mitgliedstaaten übertrage. Hierdurch lasse sie sich von einer klassischen Verordnung unterscheiden und in die Nähe einer Richtlinie rücken. Für solche Regelungen bleibe es nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Kontrolle primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes. Soweit die abgestufte Darlegungs- und Beweislast bei Fortsetzungserkrankungen vom Arbeitnehmer die Offenlegung von Gesundheitsdaten verlange, sei der damit verbundene Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus den Artikeln 2, Abs. 1, und 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)  

  • verhältnismäßig und damit gerechtfertigt: Er diene dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten legitimen Zweck, eine materiell richtige Entscheidung anzustreben. 
  • erforderlich, weil keine gleich effektiven Mittel zur Verfügung ständen, die weniger stark in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingriffen. Die von unserem Arbeitnehmer aufgeführten Alternativen seien nicht in derselben Art und Weise geeignet, eine materiell richtige Entscheidung unter Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs ohne Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Gegenseite zu erreichen. 
Autor*in: Franz Höllriegel