21.07.2022

Typenschild & Co.: Welche Kennzeichnung muss auf die Maschine?

Ein einheitliches Kennzeichnungsgesetz, die „eine“ Regelung, die alle Anforderungen zur Produktkennzeichnung enthält, gibt es nicht. Die Regeln sind für jedes Produkt anders. Die Wirtschaftsakteure sind gezwungen, sich selbst schlau zu machen. Wie kennzeichnet man Maschinen und Anlagen richtig – und schützt sich so vor unangenehmen Rechtsfolgen?

Produktkennzeichen

Chaos pur bei der Produktkennzeichnung? Aber sicher! Schon die einfache Frage „Was muss auf das Typenschild?“ stellt so manchen vor unlösbare Probleme. Und wie so oft liegt die Tücke dann auch noch im Detail: Wo muss die Kennzeichnung denn eigentlich genau hin? Direkt auf die Maschine? Oder vielleicht doch nur auf die Verpackung oder in die Begleitunterlagen? Und falls die Kennzeichnung doch auf das Produkt muss: Wie muss die Kennzeichnung denn genau aussehen und wie muss sie materiell beschaffen sein? Reicht eine einfache Selbstklebefolie oder braucht es ein vernietetes Metallschild? Fragen über Fragen!

Wo steht das? – Gesetzliche und andere Grundlagen zur Produktkennzeichnung von Maschinen und Anlagen

Die Vorgaben für die Mindestkennzeichnung für Maschinen und Anlagen speisen sich aktuell primär aus folgenden Quellen:

  • Beschluss Nr. 768/2008/EG
  • Verordnung (EG) Nr. 765/2008
  • Verordnung (EU) 2019/1020
  • Leitlinien für Wirtschaftsakteure und Marktüberwachungsbehörden (2021/C 100/01)
  • einschlägige Harmonisierungsrechtsvorschriften, wie z.B. die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG
  • Leitfaden „Blue Guide
  • harmonisierte Normen
  • Produktsicherheitsgesetz (ProdSG)

Wozu das Ganze? – Zielsetzung und Nutzen der Kennzeichnung

Zu Recht wird die Konformitätserklärung immer wieder als der „Reisepass“ eines Produkts bezeichnet. Analog hierzu könnte man die Kennzeichnung eines Produkts als den „Personalausweis“ eines Produkts bezeichnen. Warum kann man das sagen? Was will der Gesetzgeber mit Mindestvorschriften an die Produktkennzeichnung bezwecken?

Die Produktkennzeichnung dient unterschiedlichen Interessengruppen.

Wichtig für den Kunden

  • Informationen, welche dem Kunden eine fundierte Kaufentscheidung ermöglichen, z.B.:
    • Informationen zu Funktionsumfang, Energieverbrauch, Lärmemission usw.
    • Informationen über bestimmte Verwendungsbedingungen oder Verwendungseinschränkungen
  • Warnung vor einer bestimmten Gefahr
  • Informationen, welche es dem Kunden ermöglichen, im Falle eines Problems Kontakt mit dem Hersteller aufzunehmen und unter Umständen gegen den Hersteller vorzugehen

Wichtig für die Marktüberwachung

Im Fokus der Marktüberwachung steht die Rückverfolgbarkeit, also die Fähigkeit, dem Werdegang eines Produkts nachzugehen. Warum?

  • Rückverfolgbarkeit ermöglicht der Marktaufsicht eine wirksame Durchsetzung der gesetzlichen Vorgaben, z.B. durch Korrekturmaßnahmen wie Rücknahme und Rückruf.
  • Unsichere oder nicht konforme Produkte können in der Vertriebskette aufgespürt und die Aufgaben und Verantwortungsbereiche der Wirtschaftsakteure der gesamten Kette ermittelt werden.
  • Die Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit betreffen die Etikettierung des Produkts und die Benennung der Wirtschaftsakteure der Vertriebskette.

Wichtig für den Hersteller

Aus Sicht des Herstellers ist Rückverfolgbarkeit wichtig,

  • weil sie eine wirksame Überwachung des Produktionsprozesses und der Lieferanten vor der Vermarktung der Produkte sowie die Kontrolle der entsprechenden Vertriebskette nach dem Inverkehrbringen der Produkte ermöglicht und
  • weil sie bei Rückrufen oder Rücknahmen – je nach Ausgereiftheit des eigenen Rückverfolgungssystems – die Auswirkungen des Rückrufs oder der Rücknahme vom Markt lindern können (z.B. dadurch, dass der Hersteller das zurückzurufende Kontingent konkret auf die notwendige Mindestgröße eingrenzen kann).

Gegen das Chaos: Kennzeichnungsleitfaden entwickeln

Wenn Sie das Rad nicht jedes Mal neu erfinden wollen – mit den Folgen eines maximalen Aufwands und einer minimalen Rechtssicherheit –, sollten Sie die Sache mit System angehen: Erstellen Sie einen Leitfaden, der alle Kennzeichnungspflichten für Ihr Produktportfolio enthält. Damit sind Sie nicht nur rechtlich auf einer guten Seite. Sie schonen auch Ressourcen.

Wie könnte die grundlegende Vorgehensweise aussehen?

  1. Produktportfolio nach Zielmärkten und Produktarten erfassen, analysieren, kategorisieren
  2. Ermitteln, welche Rolle als Wirtschaftsakteur Ihr Unternehmen bei den unterschiedlichen geschäftlichen Aktivitäten einnimmt und welche Plichten damit jeweils verbunden sind
  3. Einschlägige Rechtsquellen recherchieren:
    • europäische Harmonisierungsrechtsvorschriften
    • gesetzliche Vorschriften in Deutschland
    • gesetzliche Vorschriften in außereuropäischen Zielmärkten
  4. Einschlägige andere Quellen recherchieren:
    • europäisch harmonisierte Normen
    • deutsche Normen
    • Normen in außereuropäischen Zielmärkten
    • sonstige nationale und internationale Regelwerke
  5. Anforderungen in den anwendbaren Quellen analysieren und erfassen
    • Wer?
    • Was?
    • Wann?
    • Wo?
    • Wie?
  6. Verfahren entwickeln, mit dem Sie alle einschlägigen Entwicklungen zeitnah erkennen und umsetzen können.

Ausblick: Produktkennzeichnung und der „Single Point of Truth“

Die Digitalisierung schreitet mit großen Schritten voran. Vor allem im industriellen Umfeld haben in den letzten Jahren große Veränderungen stattgefunden: Der Maschinen- und Anlagenbau ist stark vernetzt, hergestellt wird zunehmend autonom und KI hält ebenfalls Einzug in die digitalen Produktionshallen. Es ist dringend erforderlich, Typenschilder in digitaler und maschinenlesbarer Form bereitzustellen.

Die Vorteile eines digitalen Typenschilds liegen auf der Hand: globaler Zugriff auf unbegrenzte dynamische Maschineninformationen, die in Echtzeit verwaltet, abgerufen und angepasst werden können.

Beim Hersteller steuert statt des Barcodes die maschinenlesbare Kennzeichnung automatisch den Materialfluss. Beim Export können Zollbehörden die Maschine elektronisch überprüfen. Der Betreiber der Maschine kann die Maschine bereits im Wareneingang eindeutig identifizieren und die Maschinendaten aus dem digitalen Typenschild direkt in sein ERP-System übertragen – und verfügt so über eine fehlerfreie Bestandserfassung. Im Betrieb werden Updates gesteuert. Servicetechniker können blitzschnell und zielsicher Fehler lokalisieren, benötigte Ersatzteile identifizieren und via Internet direkt eine Bestellung auslösen. Die technische Dokumentation inkl. Betriebsanleitung kann nach Bedarf aktualisiert und jederzeit eingesehen werden.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das digitale Typenschild kann noch viel mehr! Es kann den Bedarf nach vielen weiteren Informationen stillen – unter Verwendung modernster Informationskonzepte, wie das der Verwaltungsschale aus der Industrie 4.0.

Den kompletten Fachbeitrag sowie weiterführende Informationen zum Thema „Produktkennzeichnung“ finden Sie in unserem Praxismodul „Maschinenverordnung“.

Autor*in: Elisabeth Wirthmüller (ce konform GmbH. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Technische Dokumentation.)