11.02.2020

Ergonomie – mehr als nur Bedienbarkeit

Denken Sie als Konstrukteur bei „Ergonomie” erst einmal an Fernsehsessel, Bürostuhl und Schreibtisch? Dann denken Sie zu kurz! Warum?

Wesentliche Veränderung einer Maschine

Ergonomie umfasst folgende Bereiche:

  • Körperliche Ergonomie
    befasst sich mit der menschlichen Anatomie, Anthropometrie und mit den physiologischen und biomechanischen Eigenschaften; diese beziehen sich auf die körperlichen Aktivitäten (entsprechende Themen beziehen sich auf Arbeitshaltung, Umgang mit Materialien, wiederholende Bewegungen, arbeitsbedingte muskuloskelettale Beschwerden, Gestaltung des Arbeitsplatzes, Sicherheit und Gesundheit).
  • Kognitive Ergonomie
    befasst sich mit Denkvorgängen wie z.B. Wahrnehmungen, Erinnerungen, Argumentationen und motorische Reaktionen; diese beeinflussen die Wechselbeziehungen zwischen Menschen und anderen Elementen eines Systems (entsprechende Themen beziehen sich auf das menschliche System, wie geistiges Training, Entscheidungsfindung, besondere Fähigkeiten, Human Computer Interaction, menschliche Zuverlässigkeit, Arbeitsbelastung und Training).
  • Organisatorische Ergonomie
    befasst sich mit der Optimierung des soziotechnischen Systems und beinhaltet Aufbauorganisation, Richtlinien und Abläufe (entsprechende Themen beziehen sich auf Kommunikation, Personalplanung, Arbeitsgestaltung, Arbeitszeitgestaltung, Teamwork, Mitwirkungsgestaltung, Kommunikationsergonomie, Zusammenarbeit, neue Arbeitsparadigmen, virtuelle Organisation, Heimarbeit und Qualitätsmanagement).

Übersicht: Die verschiedenen Arten von Belastungen

Durch seine alltägliche Arbeit wird der erwerbstätige Mensch auf vielfältige Art belastet und beansprucht. Wird die Belastung zu groß, kommt es zu Folgeschäden und gesundheitlichen Problemen. Maschinen und Arbeitsmittel können durch ergonomisch gute Gestaltung zur Verringerung von Belastungen führen und damit eine Reduzierung der Probleme erwirken.

Mentale Belastungen können entstehen durch:

  • Gestaltung von Bedienoberflächen
  • Erfordernis andauernder Konzentration
  • Unterforderung und Monotonie
  • Überforderung durch die Arbeitsaufgabe

Körperliche Belastungen können entstehen durch:

  • Positionierung von Stellteilen
  • Sichtverhältnisse
  • Hilfsmittel
  • Bewegungsraum
  • Kraftanstrengung oder Lastenhandhabung
  • Körperhaltung oder -bewegung

Umgebungsbedingte Belastungen können entstehen durch:

  • Stoffe und Gase
  • Beleuchtung
  • Strahlung
  • Lärm
  • Hitze oder Kälte
  • Vibrationen

Was fordert die Maschinenrichtlinie?

Die Maschinenrichtlinie verpflichtet Maschinenhersteller, ergonomische Gefährdungen auf das mögliche Mindestmaß zu reduzieren:

„Bei bestimmungsgemäßer Verwendung müssen Belästigung, Ermüdung sowie körperliche und psychische Fehlbeanspruchung des Bedienungspersonals auf das mögliche Mindestmaß reduziert sein, unter Berücksichtigung ergonomischer Prinzipien wie:

  • Möglichkeit der Anpassung an die Unterschiede in den Körpermaßen, der Körperkraft und der Ausdauer des Bedienungspersonals;
  • ausreichender Bewegungsfreiraum für die Körperteile des Bedienungspersonals;
  • Vermeidung eines von der Maschine vorgegebenen Arbeitsrhythmus;
  • Vermeidung von Überwachungstätigkeiten, die dauernde Aufmerksamkeit erfordern;
  • Anpassung der Schnittstelle Mensch-Maschine an die voraussehbaren Eigenschaften des Bedienungspersonals.”

Hinweis: Diese fünf ergonomischen Prinzipien sind nicht abschließend. Vielmehr sollen sie den Hersteller für wichtige Aspekte ergonomischer Grundsätze sensibilisieren.

Die ergonomischen Prinzipien der Maschinenrichtlinie kann man in zwei Gruppen untergliedern:

  • Die erste Gruppe umfasst Ergonomiefaktoren, die bei der Konstruktion von Maschinen berücksichtigt werden müssen.
  • Die zweite Gruppe umfasst negative Auswirkungen, die von diesen Faktoren verursacht werden können.

Eine gute Konstruktion verringert die negativen Auswirkungen dieser Faktoren auf Personen, wogegen ungeeignete Konstruktionen voraussichtlich Belästigung, Ermüdung oder körperliche oder psychische Fehlbeanspruchungen verursachen. Diese Effekte können wiederum z.B. Muskel-Skelett-Erkrankungen oder andere gesundheitliche Beeinträchtigungen verursachen. Zudem können sie ein Faktor sein, der die Unfallwahrscheinlichkeit erhöht.

Info: DIN EN ISO 12100 konkretisiert die Anforderungen der Maschinenrichtlinie an die Ergonomie ausführlich in Abschnitt 6.2.8 „Beachten ergonomischer Grundsätze”, in Anhang B, Tabelle B.1, Pos. 8 „Ergonomische Gefährdungen”.

Folgendes Schaubild erläutert die fünf ergonomischen Prinzipien der Maschinenrichtlinie:

Die Anforderungen der Maschinenrichtlinie an ergonomische Maschinen
Die Anforderungen der Maschinenrichtlinie an ergonomische Maschinen

Hinweis: Zusätzlich zu der allgemeinen Anforderung der Maschinenrichtlinie in Anhang I Nummer 1.1.6 müssen auch bei der Anwendung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, die in verschiedenen weiteren Abschnitten des Anhangs I der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG festgelegt sind, Grundsätze der Ergonomie berücksichtigt werden.

Was können Sie tun?

Als Konstrukteur möchten Sie Ihre Sache gut machen. Nicht nur funktional, sondern auch für Ihre Zielgruppe – den Anwender. Wagen Sie einen Perspektivwechsel – weg von der Sicht auf die reine Funktionalität, hin zum Anwender!

Tipp: Ziehen Sie bei der Risikobeurteilung von Anfang an Ihre Kollegen hinzu, die später die Betriebsanleitung für Ihre Maschine schreiben. Technische Redakteure sind dafür ausgebildet, alles aus Anwendersicht zu sehen. Die Praxis zeigt, dass das Zusammenspiel zwischen Konstruktion und Technischer Redaktion für beide Seiten äußerst fruchtbar ist. Nutzen Sie diesen Synergieeffekt auch bei der Beurteilung und Risikominderung von ergonomischen Gefährdungen.

Checkliste:

  1. Sich grundlegend in das Sachgebiet „Ergonomisch konstruieren” einarbeiten
  2. Risikobeurteilung durchführen, um die auf das Produkt anwendbaren grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen an die Ergonomie der Maschine zu ermitteln
  3. Harmonisierte Normen herausfinden, die Lösungen für die ermittelten ergonomischen Anforderungen bieten
  4. Lösungen zur Risikominderung aus den ermittelten harmonisierten Normen umsetzen

Nochmals kurz auf den Punkt gebracht

  • Eine Maschine muss an ihren Bediener angepasst werden, und nicht umgekehrt.
  • Ergonomie ist keine Kür, sondern gesetzliche Pflicht.
  • Arbeiten Sie sich in das Fachgebiet der Ergonomie ein. Das ist nicht nur spannend, sondern führt zu sichereren und komfortableren Maschinen und mindert das Haftungsrisiko des Herstellers.
  • Nutzen Sie die vielen Praxishilfen, die es zu diesem Thema gibt.

Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie in unserem Produkt „Maschinenverordnung“.

 

 

 

Autor*in: Elisabeth Wirthmüller (ce konform GmbH. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Technische Dokumentation.)