22.09.2017

Sonntagsöffnung: Zwischen Sonntagsruhe und Einkaufserlebnis

Der Online-Handel boomt. Einzelhändler und Politik versuchen, mithilfe von Sonntagsöffnungen Umsatzanteile der Ladengeschäfte zurückzugewinnen. In diesem Spannungsfeld mischen auch die Gewerkschaft ver.di und die Kirchen mit, um die Interessen der Beschäftigten zu vertreten bzw. die Sonntagsruhe zu schützen. Wir geben einen Überblick über die aktuell wichtigsten Urteile zu diesem Thema.

Sonntagsöffnung Sonntagsruhe Einkaufen
Gericht, Datum, Az. Sachverhalt Entscheidung
VGH Kassel, 05.04.2016, Az. 8 B 751/16 Mit Allgemeinverfügung gestattete die Stadt Frankfurt die Öffnung von Verkaufsstellen in ihrem Stadtgebiet anlässlich einer Musikmesse an einem Sonntag in der Zeit von 13.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Eine Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen mit unbeschränktem Warenangebot, die sich auf das gesamte Gebiet einer Großstadt erstreckt, ist in der Regel auch anlässlich einer internationalen Fachmesse unzulässig.

VG Karlsruhe, 25.04.2017, Az. 10 K 4813/17 Die Gewerkschaft ver.di wendet sich gegen Allgemeinverfügungen einer Stadt in Baden-Württemberg zur Durchführung eines verkaufsoffenen Sonntags am 30.04.2017 im Bereich der Innenstadt sowie in einem außerhalb der Innenstadt gelegenen Einkaufszentrum, die „aus Anlass eines Orthopädenkongresses“ (Innenstadt) beziehungsweise „des ersten Frühlingsfestes“ (Einkaufszentrum) erlassen wurden. § 8 Abs. 1 Satz 2 LadÖG BW setzt für die Sonntagsöffnung einen Anlass in Form eines örtlichen Festes, eines Marktes, einer Messe oder einer ähnlichen Veranstaltung voraus. Diese Anlassveranstaltung darf, damit die Tatbestandsvoraussetzung nicht leerläuft, keine reine Alibiveranstaltung sein. Vielmehr muss die anlassgebende Veranstaltung unabhängig vom verkaufsoffenen Sonntag geplant sein. Sie darf mit dem verkaufsoffenen Sonntag mithin nicht stehen und fallen. Es spricht aber alles dafür, dass es sich bei dem „ersten Frühlingsfest“ um eine solche bloße Alibiveranstaltung handelt, weil erkennbar versucht wurde, die tatsächlichen Gegebenheiten passend zu machen.
OVG Münster, 19.05.2017, Az. 4 B 504/16 Eine Stadt in NRW hatte eine „Ordnungsbehördliche Verordnung über das Offenhalten von Verkaufsstellen“ erlassen. Auf der Grundlage der „Ordnungsbehördlichen Verordnung“ wurde die Ladenöffnung an einem Sonntag erlaubt. Die Ordnungsbehördliche Verordnung ist offensichtlich rechtswidrig und nichtig, weil sie von der Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 LÖG NRW nicht gedeckt ist. Es fehlt an einem hinreichenden Anlass für die sonntägliche Ladenöffnung. Die zugrunde liegende Prognose der zu erwartenden Besucherzahlen ist nicht hinreichend belastbar.
OVG Berlin-Brandenburg, 20.06.2017, Az. 1 S 26/17 Die Gewerkschaft ver.di begehrt im Eilverfahren die vorläufige Außervollzugsetzung der Öffnung von Verkaufsstellen im gesamten Stadtgebiet der Stadt Potsdam an (noch) fünf Sonntagen im Jahr 2017 aufgrund der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Landeshauptstadt Potsdam über Öffnungszeiten von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen. Anlass waren Veranstaltungen wie z.B. das „Stadtwerke-Fest“, „Schlösser-Nacht“ oder „Antikmeile“. Ein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund für die Sonntagsöffnung liegt nur vor, wenn das Ereignis einen solch starken Besucherstrom auslöst, dass ein Bedürfnis nach offenen Verkaufsstellen besteht. Dieses Bedürfnis muss einen engen räumlichen Bezug zur Anlassveranstaltung bzw. noch eine „Verbindung zum Marktgeschehen“ aufweisen und auf einer entsprechenden Prognose der jeweils veranlassten Besucherströme beruhen. Es genügt nicht, dass umgekehrt durch die Offenhaltung von Verkaufsstellen ein starker Besucherstrom ausgelöst wird. Eine „Antikmeile“ kann einen Verkauf am Sonntag – wenn überhaupt – nur in einem sehr engen räumlichen Umfeld rechtfertigen.
VG Frankfurt, 12.07.2017, Az. 7 L 4403/17.F, 7 L 4435/17.F, 7 L 4443/17.F Die Stadt Frankfurt a.M. hatte mit Allgemeinverfügung den Ladeninhabern in der Frankfurter Altstadt erlaubt, ihre Geschäfte in der Zeit von 13 bis 19 Uhr anlässlich des Museumsuferfestes zu öffnen. Die Gewerkschaft ver.di und der Diözesanverband Limburg e.V. sehen dadurch den Sonn- und Feiertagsschutz verletzt. Die Voraussetzungen für eine Sonntagsöffnung „aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“ sind so zu verstehen, dass die öffentliche Wirkung der traditionell auch an Sonn- und Feiertagen stattfindenden Märkte und Messen gegenüber der typisch werktäglichen Geschäftigkeit der Ladenöffnung im Vordergrund stehen muss. Nach den Gesamtumständen darf die zugelassene Ladenöffnung lediglich als Anhang zu der anlassgebenden Veranstaltung erscheinen. Die Behörde muss eine Prognose erstellen, dass der Besucherstrom, den die Veranstaltung für sich genommen auslöst, die Zahl der Besucher übersteigt, die allein wegen der Öffnung der Verkaufsstellen in den besagten räumlichen Bereich kommen. Da diese fehlt, wurde die Sonntagsöffnung nicht zugelassen.
Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)