07.08.2023

Ist das Laden eines E-Autos in einer verkehrsberuhigten Zone erlaubt?

15 Mio. elektrisch betriebene Fahrzeuge sollen im Jahr 2030 einen Beitrag zur Dekarbonisierung des Verkehrs leisten und helfen, den Klimawandel aufzuhalten sowie die Klimaziele zu erreichen. Eine Stadt in Südhessen macht es dem  Eigentümer eines Reihenhauses mit installierter PV-Anlage besonders schwer, freiwillig einen Beitrag zur  Mobilitätswende zu leisten. Wir erläutern die Rechtslage und skizzieren einen Lösungsvorschlag.

Antrag auf Ausnahmegenehmigung

Reihenhaus ohne Stellplatz

Mitte Mai dieses Jahres wandte sich der Eigentümer des Reihenhauses an das Ordnungsamt einer Stadt in Südhessen und beantragte eine Erlaubnis zur Teilnutzung einer Fläche in der verkehrsberuhigten Zone vor dem Gebäude. Das Elektrofahrzeug sollte Strom aus einer Wallbox an der Hauswand beziehen. Weil auf dem Hausgrundstück nicht genug Platz zum Abstellen des PKW vorhanden ist, bat der Eigentümer sein Elektrofahrzeug auf einer Fläche 0,90 Metern bis zur Abflussrinne parallel zur Grundstücksgrenze an der 4,80 Meter breiten Straße zeitweise abstellen zu dürfen.

Obwohl ihm bekannt war, dass in der Stadt Autofahrer ihre Fahrzeuge ohne Erlaubnis vor dem Reihenhaus abstellen,  wählte er diesen formal richtigen Weg. In der Stadt mit rund 17.000 Einwohnern stehen 4 öffentliche Ladestationen mit 10 Ladepunkten für die Öffentlichkeit zur Verfügung.

Ablehnung einer Sondernutzungserlaubnis

So weit würde das E-Auto auf der Straße stehen

Das Ordnungsamt der Stadt lehnte den Antrag zwei Monate später ab und begründete diese Entscheidung wie folgt:

  • Die Teilnutzung ist eine Sondernutzung, die dem Gemeingebrauch widerspricht.
  • Würde eine Sondernutzungserlaubnis erteilt, würde die beanspruchte Fläche dauerhaft dem Gemeingebrauch entzogen. Diese Begünstigung, so das Ordnungsamt, ist im Straßengesetz des Bundeslandes (hier: § 16 HessStrG) nicht vorgesehen.
  • Der Gemeingebrauch kann durch die übermäßige Sondernutzung nicht eingeschränkt werden.
  • Es würde ein Präzedenzfall geschaffen, dessen Folgen nicht abschätzbar sind.
  • Das Baurecht sieht keine Stellplätze vor den Häusern vor; Fahrzeuge sind auf den zugewiesenen Stellplätzen in Nebenstraßen abzustellen.

Ablehnen einer Erlaubnis zum Verlegen eines Ladekabels über einen Feldweg

Ein Antrag vom August 2022 auf verlegen des Stromkabels unter dem Feldweg hinter seinem Haus bis zu seinem Stellplatz auf seine Kosten wurde noch nicht formell beschieden, jedoch mündlich abgelehnt. Dem Eigentümer wurde der Vorschlag unterbreitet, bei dem regionalen Energieversorger die Installation einer Ladestation zu beantragen. Die Kosten hierfür wären erheblich und der Ladestrom nach den üblichen Marktpreisen berechnet.

Ist das Abstellen eines PKW in einer verkehrsberuhigten Zone eine Sondernutzung?

Der Betrieb eines Fahrzeuges ist nach der gefestigten Rechtsprechung Gemeingebrauch. Dies gilt auch für das Abstellen betriebsbereiter Fahrzeuge im öffentlichen Verkehrsraum (BVerfG, Beschl. vom 09.10.1984, Az. 2 BvL 10/82).

Folge: Das Abstellen eines Elektrofahrzeuges zum Laden im öffentlichen Verkehrsraum ist daher keine Sondernutzung.

Wie sind Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht abzugrenzen?

Das Straßenrecht regelt insbesondere die Herstellung, die Widmung, die Umwidmung, den Gemeingebrauch und die Sondernutzung öffentlicher Straßen. Wie die Straße zu benutzen ist, bestimmt das Straßenverkehrsrecht. In diesem Fall ist die Anliegerstraße eine verkehrsberuhigte Zone. Parken ist nur in den ausgewiesenen Flächen erlaubt.

Wie ist der Antrag auf einen Stellplatz zu verstehen?

Von einem Bürger kann nicht erwartet werden, dass er in seinem Antrag die Rechtsvorschriften bezeichnet, nach denen eine Vergünstigung gewährt werden kann. Vielmehr ist es eine Aufgabe der zuständigen Behörde, den Antrag auszulegen und den Sachverhalt zu ermitteln (vgl. § 24 VwVfG).

In diesem Fall ergibt die Auslegung, dass sinngemäß eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO beantragt wurde, weil das Zeichen 325.1, welches das Parken in verkehrsberuhigten Zonen untersagt, in Anlage 3 StVO enthalten ist. Über den Antrag ist nach Ermessen zu entscheiden.

Was ist grundsätzlich bei dem Erteilen einer Ausnahmegenehmigung zu beachten?

Ausnahmen von dem Parkverbot sind in Einzelfällen aus sachlich vertretbaren Gründen zulässig. Die Erlaubnis setzt Gründe voraus, die das öffentliche Interesse an dem Verbot überwiegen und das Schutzgut nicht wesentlich beeinträchtigen (VGH München, Besch. vom 16.04.1998, Az. 11 B 97.833). Das genehmigte Verhalten darf den Verkehr weder erschweren noch gefährden (BVerwG, Urteil vom 26.04.1974, VII C 42/71). Durch Auflagen und Bedingungen können Versagungsgründe ausgeräumt und die Verkehrssicherheit gewährleistet werden.

Welche Gründe sprechen für und gegen die Ausnahmegenehmigung?

Der Antrag auf Ausnahmegenehmigung beruht auf dem Willen, einen Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten. Diese ist ein wesentlicher Baustein, um den Vorgaben des Art. 20a GG (Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen …) gerecht zu werden. Hierzu hat der Bund das Klimaschutzgesetz sowie das EmoG erlassen. Letzteres regelt Bevorrechtigungen elektrisch betriebener Fahrzeuge im Verkehr.

Gegen die Ausnahmegenehmigung spricht, dass die Straße nicht mehr in voller Breite von der Allgemeinheit genutzt werden kann. Nach dem Abstellen des Fahrzeuges zum Laden verbleiben aber noch 3,90 Meter Straßenbreite. Die Rechtsprechung fordert mindestens eine Breite 3,55 Metern (siehe § 32 Abs. 1 Nr. 1 StVZO zuzüglich 0,50 Meter Sicherheitsabstand; siehe BayObLG, Urteil vom 30.03.1960, RevReg. 1 St 53/60), damit Rettungs- oder andere Fahrzeuge gefahrlos die Straße passieren können. Durch Auflagen kann aber sichergestellt werden, dass der Verkehr weder erschwert noch gefährdet wird.

Welche Entscheidung ist ermessensfehlerfrei?

Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind die Interessen des Eigentümers zu berücksichtigen, sein Elektrofahrzeug klimaneutral mit Strom zu betanken und sein Recht am Ausüben seines Eigentums. Denn der von PV-Anlage erzeugte Strom gehört ihm. Die Öffentlichkeit hat demgegenüber ein Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Zu berücksichtigen ist aber auch das öffentliche Interesse, das zum Erlass des Klimaschutzgesetzes und des EmoG geführt hat.

Abwägung und Ergebnis

Eine Entscheidung, die beide Interessen angemessen berücksichtigt, könnte darin bestehen, die Ausnahmegenehmigung unter folgenden Auflagen zu erteilen (siehe § 36 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG):

  • Das Parken in der verkehrsberuhigten Zone wird auf die Zeit des Ladens des Elektrofahrzeuges beschränkt.
  • Das Elektrofahrzeug darf nur innerhalb einer markierten Fläche, die mindestens 3,55 Meter Abstand zur anderen Straßenseite lässt, abgestellt werden.
  • Die Ausnahmegenehmigung wird unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt (vgl. § 46 Abs. 3 StVO).

Unsere Meinung

Formelhafte Begründungen von Verwaltungsentscheidungen legen nahe, dass sich die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter nicht mit dem Sachverhalt auseinandergesetzt hat. Es wird nicht deutlich, in welcher Weise die Belange des Bürgers in die Entscheidung Eingang gefunden haben. Dieses Vorgehen entspricht aber nicht dem Verständnis einer modernen Verwaltung, die sich als Dienstleister versteht und mit dem Betroffenen zusammen eine Win-Win-Situation sucht, d.h. im Rahmen der Gesetze seine Handlungsfreiheit so weit wie möglich bewahrt.

Gehen Sie auf den Antragsteller zu, erkundigen sie sich ggf. auch vor Ort und verschaffen Sie sich ein Bild von den örtlichen Verhältnissen. Ihre Entscheidung gewinnt nicht nur deutlich an Qualität, sie erzeugen auch Akzeptanz und Verständnis, selbst wenn ein Antrag zurückgewiesen werden muss. Moderne Verwaltungen arbeiten nach einem Leitbild, das der Zufriedenheit der Bürger einen hohen Stellenwert einräumt.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)