24.03.2015

Dashcam-Aufnahmen: In Ausnahmefällen erlaubt?

Kameras hinter der Windschutzscheibe („Dashcams“) verstoßen gegen den Datenschutz und sind deshalb nicht erlaubt. Darüber sind sich die Gerichte inzwischen weitgehend einig. Aber gibt es vielleicht doch besondere Situationen, in denen man die „eigentlich verbotenen“ Dashcam-Aufnahmen vor Gericht als Beweismittel verwenden darf? Mit dieser Frage hat sich das Landgericht Heilbronn eingehend befasst.

Dash-Cams sind unzulässig

Ein klassischer Abbiegeunfall

Ein Auto und ein Motorrad stoßen zusammen, als das Auto aus einem Industriegebiet auf eine Landesstraße einbiegt. Die Motorradfahrerin befindet sich also auf der vorfahrtsberechtigten Straße. Dennoch ist der Autofahrer der Auffassung, dass er gegen sie einen Anspruch auf Ersatz des Schadens hat, der an seinem Auto entstanden ist.

Sein Argument: Auf der rechten Spur der Landesstraße habe sich der Verkehr vor einer Ampel gestaut. Dort haltende Autos hätten ihm die Möglichkeit gegeben, durch eine Lücke zwischen den Fahrzeugen aus dem Industriegebiet in die Landesstraße einzufahren. Die Motorradfahrerin sei auf der Abbiegespur nach links neben den stehenden Autos so schnell herangefahren, dass er den Unfall überhaupt nicht habe vermeiden können.

An sich ist die Haftung klar

Dass dieses Argument nicht ohne Weiteres reicht, war sofort klar. Denn – und daran erinnert das Gericht in seinem Urteil gleich als Ausgangspunkt – wenn an einer Straßeneinmündung zwei Fahrzeuge zusammenstoßen, dann spricht der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig dafür, dass der Wartepflichtige die Vorfahrt schuldhaft verletzt hat. Wartepflichtig war hier aber das Auto. Somit gilt nach dem Beweis des ersten Anscheins, dass sein Fahrer jedenfalls eine Mitschuld trägt.

Können Aufnahmen einer Dashcam die Wende bringen?

Eine Besonderheit beim „ersten Anschein“ liegt aber darin, dass er unzutreffend sein kann. Genau das behauptete der Autofahrer und versuchte, ihn zu erschüttern. Um dies zu bewerkstelligen, wollte er auf die Aufnahmen zurückgreifen, die er mit einer qualitativ hochwertigen Videokamera (Dashcam) in seinem Fahrzeug angefertigt hatte.

Der vom Gericht zugezogene Sachverständige hielt es für nicht ausgeschlossen, dass ihm die Videoaufzeichnung zusätzliche Erkenntnisse über den Ablauf des Unfalls ermöglichen könnte. Somit kam es auf die Frage an, ob die Aufnahmen der Dashcam als Beweismittel verwertet werden dürfen.

Die Dashcam-Aufzeichnungen sind rechtswidrig

Hierzu weist das Gericht zunächst darauf hin, dass die Videoaufzeichnungen in rechtswidriger Weise angefertigt worden seien. Das Filmen der Motorradfahrerin mit der Dashcam verletze deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Teil dieses Grundrechts ist nämlich auch der Schutz des Rechts am eigenen Bild.

Dürfen sie dennoch ausnahmsweise verwendet werden?

Eine Verwendung der Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel sei deshalb allenfalls ausnahmsweise zulässig, wenn sich dies aus den Grundsätzen ergebe, die die Rechtsprechung für die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel aufgestellt hat. Nach diesen Grundsätzen seien die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Insoweit sei Folgendes zu bedenken:

  • Zugunsten des Autofahrers sei zu berücksichtigen, dass das Rechtsstaatsprinzip einer funktionierenden Rechtspflege eine hohe Bedeutung zumesse. Zum Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz) gehöre es prinzipiell, dass die Gerichte angebotene Beweise berücksichtigen.
  • Andererseits sei zu bedenken, dass der Kläger mit seiner Kamera heimliche und umfassende Aufzeichnungen des gesamten Verkehrsgeschehens anfertige. Dadurch werde ständig eine Vielzahl von Personen in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen und damit in einem Grundrecht.
  • Diese Rechtsverletzung sei gravierend, zumal allein der Autofahrer selbst darüber entscheide, welche Aufnahmen er anfertige, wie lange er sie aufbewahre und wozu er sie verwende.
  • Wolle man dies als rechtens akzeptieren, dann sei damit zu rechnen, dass innerhalb kürzester Zeit jeder Bürger Dashcams ohne jeden Anlass nicht nur in seinem PKW, sondern auch an seiner Kleidung befestigen würde. Denn es könne jederzeit die Situation eintreten, dass auf diese Weise angefertigte Beweismittel für den Betroffenen nützlich seien.
  • Eine Sondersituation, in der schwerwiegenden Beeinträchtigungen (etwa Angriffen auf eine Person) nicht anders als durch heimliche Aufnahmen begegnet werden könne, liege vorliegend in keiner Weise vor.

Im Ergebnis: nein!

Insgesamt kommt das Gericht deshalb zu dem Ergebnis, dass die Aufnahmen der Dashcam nicht als Beweismittel verwendet werden dürfen. Das hat zur Folge, dass der Autofahrer allein für die entstandenen Schäden haftet, weil er einen schwerwiegenden schuldhaften Vorfahrtsverstoß begangen hat und nicht beweisen konnte, dass der Unfall für ihn unvermeidbar war.

Erklärbare Zurückhaltung der Gerichte

Unabhängig von der rechtlichen Argumentation des Gerichts ist in diesem Fall deutlich zu erkennen, warum die Gerichte stark zögern, rechtswidrig angefertigte Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel zuzulassen. Fälle der vorliegenden Art kommen jeden Tag vor, und meist ist die Sachlage – so wie hier – ziemlich eindeutig: Es ist zu einer groben Vorfahrtverletzung gekommen, und daraus ist ein Schaden entstanden.

Wollte man in jedem solchen Fall Aufnahmen von Dashcams als Beweismittel zulassen und dann über deren Inhalt diskutieren, wären die Sachverständigen beschäftigter denn je, und den Gerichten stünden in jedem Einzelfall relativ lange mündliche Verhandlungen bevor – am Ergebnis würde sich aber vermutlich in den meisten Fällen nichts ändern. Es droht also ein grobes Missverhältnis von Aufwand und Ertrag.

Rechthaberischer Autofahrer

Die Argumentation des Klägers wirkt im vorliegenden Fall schlicht rechthaberisch. Statt zu akzeptieren, dass er eben nicht vorsichtig genug war und deshalb ein Schaden entstanden ist, möchte er das nicht einsehen und versucht, zur Vermeidung dieses Ergebnisses rechtswidrige Aufnahmen als Beweismittel zu verwenden. Man kann durchaus verstehen, dass die Gerichte dazu nicht die Hand reichen wollen.

Das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 17.2.2015-I 3S 19/14 ist abrufbar unter http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=19057.

Autor*in: Dr. Eugen Ehmann (Dr. Ehmann ist Regierungsvizepräsident von Mittelfranken und ist seit Jahren im Datenschutz aktiv.)