23.08.2021

Wann eine beschlusslose Betriebsvereinbarung wirksam ist

Sind die Mitglieder eines Betriebsratsgremiums mit der Unterzeichnung einer Betriebsvereinbarung durch den Vorsitzenden einverstanden, obwohl kein entsprechender Beschluss vorliegt, und vertraut der Arbeitgeber auf das Vorliegen einer Beschlussfassung, kann die Betriebsvereinbarung kraft Anscheinsvollmacht Geltung erlangen.

Betriebsvereinbarung ohne Beschluss

Worum geht es?

In einem Betrieb mit 72 Beschäftigten existiert ein dreiköpfiger Betriebsrat. Seit 1967 galt eine Betriebsvereinbarung zur Eingruppierung. Im Juni 2017 unterschrieb der Betriebsratsvorsitzende zwei ablösende Betriebsvereinbarungen, die sich nachteilig auf einen Arbeitnehmer auswirkten.

Dieser klagte u. a. auf Feststellung, dass er entsprechend der bisherigen Betriebsvereinbarung eingruppiert und bezahlt werden müsse, weil die ablösenden Betriebsvereinbarungen mangels Betriebsratsbeschlusses nicht wirksam zustande gekommen seien. Der Vorsitzenden habe ohne Vollmacht gehandelt.

Im Verfahren stellte sich nach Befragung der Betriebsratsmitglieder als Zeugen heraus, dass der Vorsitzende die Betriebsvereinbarungen aus dem Jahr 2017 ohne wirksamen Beschluss des Betriebsrats, sondern lediglich nach vorheriger informeller Abstimmung mit den anderen beiden Betriebsratsmitgliedern unterschrieben hatte. Diese wussten also von der bevorstehenden Unterzeichnung und erhoben keine Einwände.

Das sagt das Gericht

Das Gericht wies die Klage des Arbeitnehmers ab. Zwar fehle es an einer wirksamen Beschlussfassung des Betriebsrats über die beiden Betriebsvereinbarungen aus dem Jahr 2017, sodass der Betriebsratsvorsitzende an sich keine ausreichende Vollmacht gehabt habe, die Betriebsvereinbarungen zu unterzeichnen.

Dennoch seien diese aufgrund einer dem Betriebsrat zuzurechnenden Anscheinsvollmacht wirksam. Da die anderen beiden Betriebsratsmitglieder von der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarungen gewusst hätten und in gutem Glauben von einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung ausgegangen seien, habe der Betriebsratsvorsitzende mit Anscheinsvollmacht gehandelt. LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.04.2021, Az.: 11 Sa 490/20 (nicht rechtskräftig)

Das bedeutet für Sie als Betriebsrat

Das letzte Wort in diesem Fall hat das BAG, denn unter dem Aktenzeichen 1 AZR 233/21 ist die Revision anhängig. Die Entscheidung wird mit Spannung § erwartet, denn die Frage, ob eine Betriebsvereinbarung auch per Anscheinsvollmacht abgeschlossen werden kann, ist umstritten. Sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung wird diese Rechtsfigur vielfach abgelehnt.

Die Einschränkung in § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG macht deutlich („im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse“), dass der Betriebsratsvorsitzende eine nur eingeschränkte Vertretungsmacht hat, d. h., ohne einen wirksamen Beschluss des Betriebsrats in einer konkreten Angelegenheit hat der Betriebsratsvorsitzende grundsätzlich keine rechtliche Befugnis, den Betriebsrat zu vertreten. Das LAG Düsseldorf hat von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht.

Das Wesen der Anscheinsvollmacht

Im Recht der Stellvertretung ist anerkannt, dass eine rechtliche Bindung des Vertretenen an die Erklärungen des Vertreters in Betracht kommen kann, wenn es zwar keine bewusste und gewollte Bevollmächtigung durch den Vertretenen gibt, dieser aber zumindest für den Anschein einer wirksamen Bevollmächtigung verantwortlich ist (Anscheinsvollmacht).

Bezogen auf das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzendem wird eine Anscheinsvollmacht in der juristischen Literatur für möglich gehalten, wenn der Betriebsrat den falschen Anschein hervorgerufen hat, dass er einen Beschluss gefasst hat, der die Erklärungen des Vorsitzenden deckt.

Dann muss sich der Betriebsrat, wenn der Arbeitgeber auf eine wirksame Beschlussfassung vertraut, nach den Grundsätzen über die Anscheinsvollmacht so behandeln lassen, als ob er das Handeln seines Vorsitzenden durch einen Beschluss abgesegnet hätte.

Hinweis: Zu kleines Gremium

Gemäß § 9 BetrVG besteht das Betriebsratsgremium in einem Unternehmen mit 72 Beschäftigten in der Regel aus fünf Mitgliedern. Das Gremium im Eingangsfall entsprach mit drei Mitgliedern nicht den Vorgaben des Gesetzgebers.

Ein unterbesetztes Gremium darf jedoch gemäß § 22 BetrVG bis zur Wahl eines neuen Betriebsrats die Geschäfte weiterführen.

Autor*in: Daniel Roth (ist Chefredakteur des Beratungsbriefs Urteils-Ticker Betriebsrat.)