17.04.2022

Überstunden: Als Betriebsrat kontrollieren Sie den Chef genau

Ihre Kollegen arbeiten viel – viel zu viel. Sie schieben einen wahren Überstundenberg vor sich her. Sie als Betriebsrat müssen beim Chef für Abhilfe sorgen. Das Problem: Er dokumentiert nicht alle Überstunden – und will nicht alle bezahlen. Doch er muss beides, ob er will oder nicht.

Überstunden Betriebsrat

Acht Stunden Arbeitszeit – eine irrige Annahme

Arbeitsrecht.  Kollegen beschweren sich bei Ihnen, dass sie geleistete Überstunden nicht einmal vergütet bekommen? Wenn es Sie tröstet: Ihr Unternehmen steht damit nicht allein, und Ihre Kollegen auch nicht. In vielen Betrieben landauf, landab bleiben Mitarbeiter mindestens zehn Stunden pro Tag im Büro, manchmal noch länger – und auf ihren finanziellen Ansprüchen daraus sitzen.

Grafik jährliche Überstunden pro Arbeitnehmer
Der Überstundenberg jedes einzelnen Mitarbeiters.

Ohne Moos – trotzdem was los: Überstunden nicht bezahlt

1,8 Milliarden Überstunden machen Arbeitnehmer jedes Jahr in Deutschland. Das behauptet zumindest der Deutsche Gewerkschaftsbund. Er beruft sich damit auf Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB, 2017) der Bundesagentur für Arbeit (BA). Das Problem: Die Mehrheit dieser Überstunden wird nicht bezahlt. Dadurch sind den Beschäftigten allein 2016 mehr als 20 Milliarden Euro Lohn und Gehalt entgangen. Der Trick manchen Arbeitgebers: er dokumentiert einfach weniger Arbeitszeiten als tatsächlich geleistet wurden. Und nur die dokumentierten Stunden gleicht er hernach finanziell aus. Alle weiteren geleisteten Stunden fallen unter den Tisch.

Grafik jährliche Überstunden in Mio.
Anhaltend hohes Niveau an unbezahlten Überstunden.

Überstunden nicht bezahlt und kein Tarifvertrag

Angenommen, eine Kollegin – es kann auch ein Kollege sein – kommt nun zu Ihnen als Betriebsrat mit einem solchen Problem. Angenommen weiter, bei Ihnen im Betrieb gibt es keinen Tarifvertrag, der die Arbeitszeit regelt. Dann gelten folgende Regeln nach dem Arbeitszeitgesetz:

  • Regel Nr. 1: Ihre Kollegin darf grundsätzlich täglich höchstens acht Stunden arbeiten.
  • Regel Nr. 2: Sie darf zehn Stunden arbeiten, wenn in Ihrem Betrieb in sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen, dem „Ausgleichszeitraum“, im Durchschnitt werktags nicht länger als acht Stunden gearbeitet wird. Sie darf in diesem Ausgleichszeitraum tatsächlich insgesamt nicht länger als zulässig arbeiten.
  • Regel Nr. 3: Ihre Arbeitszeit darf die Obergrenze der zulässigen werktäglichen Arbeitszeit von zehn Stunden selbst bei erheblicher Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst nicht überschreiten.

Zehn Überstunden gearbeitet – nur neun bezahlt

Angenommen schließlich, Ihr Chef lässt nur bis neun Stunden Ihrer Kollegin erfassen, diese ihr dann allerdings auch korrekt ausgleichen. So viel vorweg: Wie Ihr Chef hier mit Ihrer Mitarbeiterin umgeht, verstößt gegen das Gesetz. Er muss alle von ihr geleistete Mehrarbeit erfassen – und selbstverständlich auch ausgleichen. Das ist Gesetz. Das gilt übrigens auch bei Vertrauensarbeitszeit. Arbeitszeit an Sonn- oder Feiertagen muss Ihr Chef auch unterhalb der Höchstgrenze dokumentieren lassen – und zwar am besten vom Arbeitnehmer. Denn nur dieser kann bei der Vertrauensarbeitszeit die Dokumentationspflicht wahrnehmen. Der Chef muss jedoch die nötigen organisatorischen Vorkehrungen treffen, um dem Arbeitnehmer die tatsächliche Zeiterfassung zu ermöglichen. Außerdem muss Ihr Chef wenigstens stichprobenartig kontrollieren, ob Ihre Kollegin die Arbeitszeit tatsächlich aufzeichnet.

Ohne Ihre Zustimmung als Betriebsrat keine Überstunden

À propos Vertrauensarbeitszeit oder Arbeitszeitkonten. Sie als Betriebsrat würden von zusätzlicher Arbeitszeit gerade hier meistens herzlich wenig erfahren, sagen Sie. Das Gesetz ist auf Ihrer Seite. Es gibt Ihnen Überwachungs- und Mitbestimmungsrechte – übrigens auch wenn Mitarbeiter freiwillig oder nicht ausdrückliche, nur geduldete Mehrarbeit leisten. Sie müssen Ihre Rechte einfordern. Und zwar konsequent. Nur so können Sie Missbrauch vorbeugen. Sie sind ja als Betriebsrat sogar dazu verpflichtet, den Arbeitgeber auf Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes hin zu überwachen. Zudem kann der Arbeitgeber Überstunden nur mit Ihrer Zustimmung anordnen. Beide Rechte können Sie nur dann ausüben, wenn Sie alle dazu erforderlichen Informationen besitzen. Deshalb muss Ihr Chef Sie über alle wesentlichen Fakten unterrichten.

Ihr Auskunftsanspruch als Betriebsrat in Theorie und Praxis

Sie werden einwenden, dass in der Praxis sich dieser Auskunftsanspruch nicht selten kompliziert gestaltet. So berufen sich Arbeitgeber gerne darauf, dass die Arbeitszeit leider nicht mehr erfasst werde, Infos dazu also nicht verfügbar seien. In einem solchen Fall können Sie Ihren Chef auf die Rechtslage hinweisen. Das Bundesarbeitsgericht hat klar entschieden: er muss Ihnen die Informationen beschaffen – wie, ist sein Problem.

Totschlag-Argument Datenschutz

Oder man kommt Ihnen mit Datenschutz. Man könne zu individuellen Arbeitszeiten aus Gründen des Datenschutzes nichts herausgeben, heißt es dann. Dies sei nur mit Einverständnis der jeweiligen Mitarbeiter möglich. Dieses Totschlagargument verfängt nicht. Gerichte haben mehrfach klargestellt: Sie als Betriebsrat können bei Vertrauensarbeitszeit vom Arbeitgeber die wichtigsten Arbeitszeitdaten der Beschäftigten verlangen, um die Einhaltung der Schutzbestimmungen überwachen zu können.

Pauschale Abgeltung von Überstunden

Übrigens: Ihr Chef muss Überstunden als Zusatzleistung honorieren. Er kann den Ausgleich mit Geld, pauschal oder in Freizeit vornehmen. Das ist zulässig, aber nur wenn dem kein geltender Tarifvertrag, gesetzliche Vorschriften oder allgemeine Rechtsgrundsätze entgegenstehen. Eine pauschale Abgeltung aller Überstunden ist zulässig, wenn zwischen der vereinbarten Vergütung und der Anzahl der geleisteten Überstunden kein krasses Missverhältnis besteht. Die Obergrenze dürfte hier bei etwa zehn Prozent Überstunden pro Monat zu ziehen sein. Außerdem müssen Sie als Betriebsrat darauf achten, dass in einer Pauschalierungsvereinbarung die Zahl der Überstunden und deren Vergütung hinreichend bestimmt sind. Unzulässig wäre eine Abgeltung anfallender Überstunden mit dem Gehalt.

Vorsicht bei Verfallsdatum einer Überstundenvergütung

Als Betriebsrat können Sie Ihrer Kollegin viel Ärger ersparen, wenn Sie sie anhalten, ihre Überstunden sorgfältig zu dokumentieren. Gibt es Streit um die Zahlung der Überstundenvergütung, muss grundsätzlich sie als Arbeitnehmerin beweisen, dass sie die Überstunden geleistet hat und diese angeordnet oder zumindest gebilligt waren. Weisen Sie sie auch beizeiten auf einzuhaltende Fristen hin. Normalerweise verjähren Ansprüche auf Ausgleich nach drei Jahren. Tarifverträge sehen für die Geltendmachung von Überstunden kürzere Ausschlussfristen vor als für andere Entgeltansprüche.

Autor*innen: Friedrich Oehlerking (Friedrich Oehlerking ist Journalist und Autor des Werkes Wirtschaftswissen für den Betriebsrat.), Silke Rohde (ist Rechtsanwältin & Journalistin sowie Chefredakteurin des Fachmagazins Betriebsrat KOMPAKT.)