16.01.2023

So verhindern Sie die Manipulation von Schutzeinrichtungen

„Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass vorhandene Schutzeinrichtungen […] nicht auf einfache Weise manipuliert oder umgangen werden.“ Das gibt § 6 Abs. 2 Betriebssicherheitsverordnung vor. Wie kommen Sie dieser Pflicht angemessen nach – und schützen so Mitarbeiter auch vor sich selbst?

Manipulation von Schutzeinrichtungen

Wie häufig kommt die Manipulation von Schutzeinrichtungen in Unternehmen vor?

Das Problem manipulierter Maschinen ist kein exotisches Nischenthema. Geschätzte 10.000 teils tödliche Arbeitsunfälle gehen jedes Jahr auf das Konto solcher Manipulationen. Stefan Otto, Experte für Maschinensicherheit im Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), sagt:

„Die Antworten aus der Praxis zeigen, dass mehr als ein Viertel aller Maschinen manipuliert werden, teils sogar dauerhaft.“

Das IFA veröffentlichte im November 2022 ein wahrlich schockierendes Ergebnis: Laut einer Umfrage von 840 Personen zwischen Ende 2019 und dem Sommer 2022 wissen Vorgesetzte in vielen Fällen, dass Schutzeinrichtungen ausgeschaltet wurden!

Folglich sind solche Vorgesetzte auch direkt mitschuldig an schweren und tödlichen Unfällen mit allen daraus entstehenden Konsequenzen. Laut IFA-Umfrage kommen nämlich Manipulationen von Schutzvorrichtungen umso häufiger vor, je eher Vorgesetzte bereit sind, wegzuschauen.

Die Rolle von Vorgesetzten bei der Manipulation von Schutzeinrichtungen an Maschinen

Daraus folgt für Sie: Fangen Sie mit Ihren Präventionsmaßnahmen am besten nicht „unten“, sondern „ganz oben“ an!

Überzeugen Sie die Geschäftsführung, sich eindeutig gegen Manipulationen von Schutzvorrichtungen zu positionieren und Vorgesetzte auf allen Ebenen dazu zu verpflichten, Manipulationen niemals stillschweigend zu dulden, sondern strikt zu verhindern und zu ahnden.

Denn wenn ein solches klares Bekenntnis der obersten Geschäftsführung gegen Manipulation kommuniziert wurde, ist bereits ein Riesenschritt zu mehr Arbeitssicherheit und Unfallschutz getan. Dies meinen übrigens auch zwei Drittel der über 840 IFA-Befragten.

Warum kommt es zur Manipulation von Schutzeinrichtungen an Maschinen?

Wenn in Ihrem Betrieb eine Schutzeinrichtung manipuliert wird, dann ist es nicht damit getan, Schuldige zu suchen und den Mitarbeitern ins Gewissen zu reden. Sie müssen die Gründe für die Manipulation von Schutzeinrichtungen an Maschinen herausfinden, um das Übel an der Wurzel zu packen und aus der Welt zu schaffen.

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Überblick über die Gründe für manipulierte Schutzeinrichtungen

Schutzeinrichtungen von Maschinen sollten die Arbeit nicht behindern, aber oft tun sie es doch. Manipuliert wird aus unterschiedlichen Gründen:

  • Die Arbeit ist nicht in der vorgesehenen Zeit zu schaffen.
  • Maschinen lassen sich nur umständlich einrichten oder bedienen.
  • Werkstücke lassen sich nicht in allen erforderlichen Größen bearbeiten.
  • Werkzeuge lassen sich nur umständlich ansetzen.
  • Störungen lassen sich nur umständlich beheben.

Dies sind nur einige Beispiele für Fälle, in denen ein „Ja“ ein guter Grund ist, eine Maschine zu manipulieren. Es gibt aber auch banalere Motive wie: „Die Teile nerven total.“ Oder: „Das konnte ich doch nicht wissen, das Ding war im Weg.“

Termin- und Zeitdruck

Die häufigsten Gründe für Manipulationen sind Zeit und Produktivität. Dies kann eine Beschleunigung im regulär laufenden Betrieb bedeuten (durch die Manipulation werden mehr Stückzahlen erreicht als ohne) oder eine Minimierung von Arbeitsunterbrechungen wie etwa Störungsbeseitigung, da diese Termindruck erzeugen.

Oft lassen sich nur so Termine einhalten und Arbeiten im vorgesehenen Zeitfenster erledigen. Die DGUV hat schon vor einigen Jahren ermittelt, dass Manipulation in einem Drittel der Betriebe sogar geduldet wird – nicht zuletzt, weil Schutzeinrichtungen Arbeitsprozesse verlangsamen.

Maschinenbezogene Gründe

Manche Beschäftigte manipulieren Schutzeinrichtungen, um eine bessere Prozessbeobachtung zu ermöglichen und Prozesseingriffe zielgenauer vornehmen zu können. Zu beobachten sind auch Manipulationen, um Fehler der Maschine zu verhindern.

In anderen Fällen sind die zu bearbeitenden Werkstücke zu groß für die genutzte Maschine, weshalb Schutzeinrichtungen außer Kraft gesetzt werden. In Extremfällen kann der Arbeitsprozess ohne Manipulation gar nicht durchgeführt werden.

Verhaltensbezogene Gründe

Weitere Ursachen liegen im Verhalten von Beschäftigten und Führungskräften. So manipulieren Beschäftigte Schutzeinrichtungen, damit sie während längerer Arbeitsvorgänge nicht ständig anwesend sein müssen.

Auch Bequemlichkeit ist ein Motiv, da Schutzeinrichtungen unter Umständen kleinteiligere Arbeitsschritte verlangen. Eine Schutzeinrichtung kann auch als Stressor empfunden werden: Weil man „nur mal schnell“ ein Werkstück nachbearbeiten will, wird die Schutzeinrichtung manipuliert.

Mängel in der Qualifikation

Sicherheitseinrichtungen werden auch deshalb manipuliert, weil Bedienerinnen und Bediener zu wenig qualifiziert sind. Angelernte Kräfte sind oft nur in Standardsituationen unterwiesen und manipulieren in kritischen Lagen (wenn z.B. die Zufuhr von Material stockt) die Sicherheitseinrichtung bzw. umgehen sie.

Schutzeinhüllung, Not-Aus-Schalter… so arbeitet es sich gleich sicherer.

Maßnahmen zur Ursachenbeseitigung

Nach der Ursachenermittlung leiten Sie nach dem TOP-Prinzip Maßnahmen zur Beseitigung der Manipulationsgründe ein:

Technische Maßnahme gegen manipulierte Schutzeinrichtungen

Unter Einbeziehung des Herstellers kann ggf. das komplette Schutzkonzept überarbeitet werden. Möglich sind auch Einzelmaßnahmen, die Manipulationen verhindern oder erschweren (Verwendung anderer oder zusätzlicher Schutzeinrichtungen), oder Alarmsysteme, die Manipulationen anzeigen.

Organisatorische Maßnahmen

Organisatorische Maßnahmen können in Veränderungen des Arbeitsprozesses bestehen, der die Ursachen der Manipulation beseitigt (z.B. Maschinen, bei denen eine Manipulation nicht möglich ist).

Ebenfalls zu den organisatorischen Maßnahmen gehören Unternehmensleitlinien, mit denen die Geschäftsleitung die Manipulationen an Schutzeinrichtungen als Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen definiert und Konsequenzen (Ermahnungen, Abmahnungen) nennt.

Personenbezogene Maßnahmen

Zu den personenbezogenen Maßnahmen gehören Unterweisungen für sicheres Bedienen. Meist sind Manipulationen von Schutzeinrichtungen auch nur denkbar, wenn Führungskräfte diese tolerieren. Wer also bei Beschäftigten eine Verhaltensänderung herbeiführen will, muss bei den Führungskräften ansetzen und hier Konsequenzen für Verstöße durchsetzen.

Tipp: Mitarbeiter vor Kauf der Maschine befragen

Kaufen Sie eine Maschine nie im Alleingang. Setzen Sie sich immer zunächst mit den Mitarbeitern zusammen, die letztlich damit arbeiten sollen. Klären Sie gemeinsam, welchen Anforderungen die neue Maschine genügen muss.

Manipulation entdeckt? Dokumentieren Sie die manipulierte Maschine!

Dokumentieren Sie die Veränderungen und den Zustand der Maschine am besten in Schrift und Bild. Folgende fünf Fragen helfen Ihnen dabei, keinen Punkt zu vergessen, auch wenn Sie vielleicht nicht gleich alle fünf Fragen beantworten können:

  1. Was wurde konkret manipuliert (z.B. Schutzschalter)?
  2. Wie wurde manipuliert? Wurde die Schutzeinrichtung z.B. durch Überbrückung, teilweise oder ganze Entfernung oder durch Anpassung der Software verändert?
  3. Was war der Anlass für die Manipulation (Einrichtung, Wartung, regulärer Betrieb oder Störung)?
  4. Welche Personen sind beteiligt (Maschinenbediener, Führungskraft)?
  5. Wie ist der Zustand der Maschine (Wie zum Zeitpunkt der Beschaffung? Oder wurden grundlegende Veränderungen durchgeführt)?

Checkliste: Manipulation von Schutzeinrichtungen verhindern

Mit dieser Checkliste finden Sie heraus, an welchen Stellschrauben Sie drehen können, um Manipulation zu verhindern. Stellen Sie Ihren Mitarbeitern diese Fragen im Rahmen einer Unterweisung:

Diese Fragen sollten Ihre Mitarbeiter bejahen:

  • Ist die Maschine komfortabel einzurichten?
  • Lassen sich alle Arbeiten mühelos erledigen?
  • Lassen sich Störungen problemlos beseitigen?
  • Ist die Maschine einfach zu reinigen?
  • Verstehen alle Mitarbeiter die Betriebsanleitung?
  • Kennen alle Mitarbeiter die betrieblichen Sicherheitsregeln?
  • Wissen alle Mitarbeiter, an wen sie sich wenden können, wenn ihnen etwas unklar ist?

Diese Fragen sollten Ihre Mitarbeiter verneinen:

  • Sollte die Arbeit schneller vorangehen?
  • Ist der Kraftaufwand zu groß?
  • Ist die Bedienung zu umständlich, oder sind die Wege zu lang?
  • Sollte die Maschine genauer arbeiten?
  • Sollten die Werkstücke besser erreichbar sein?
  • Sollten die Werkstücke besser zu sehen sein?
  • Sollten sich die Werkstücke leichter zuführen lassen?
  • Sollten sich größere Werkstücke bearbeiten lassen?
  • Sollte die Maschine besser zu hören sein?
  • Sollte sich die Maschine leichter einrichten lassen?
  • Sollte die Maschine leichter nachjustierbar sein?
  • Sollten sich leichter Stichproben entnehmen lassen?
  • Sollten sich die Betriebsarten komfortabler umschalten lassen?
  • Sollten sich Störungen besser beheben lassen?
  • Sollte der Arbeitsplatz an der Maschine bequemer oder geräumiger sein?
  • Sollte sich die Maschine leichter warten und instand halten lassen?

Fazit zur Manipulation von Schutzeinrichtungen an Maschinen

Der Druck in vielen Betrieben auf die Mitarbeiter ist enorm: In immer kürzerer Zeit soll immer höhere Leistung erzielt werden. Oft sehen die Mitarbeiter es deshalb als Chance, scheinbar zeitraubende Schutzeinrichtungen zu manipulieren. Damit setzen sie sich erheblichen Gefahren aus. Lesen Sie hinter diesem Link, welche Gefährdungen beim Arbeiten an Maschinen bestehen.

Neben Zeitdruck hat dieser Beitrag noch andere Gründe beleuchtet, warum Schutzeinrichtungen an Maschinen manipuliert werden: Bequemlichkeit etwa oder ein schlechtes Design der Maschine an sich. Und er hat die Rolle von Vorgesetzten hervorgehoben, die die Manipulation dulden – oder eben nicht. Gerade, wenn Sie Geschäftsführung und Vorgesetzte erreichen, haben Sie also eine mächtige Stellschraube zur Hand.

Wichtig sind ferner Usability-Untersuchungen gemeinsam mit Bedienern in der Konstruktionsphase. Gleichzeitig stellt die frühzeitige Kooperation zwischen Konstrukteuren und Anbietern von Schutzeinrichtungen sicher, dass Kollegen später nicht in ihrer Arbeit eingeschränkt werden. Denn Schutzeinrichtung ist nicht gleich Schutzeinrichtung. Lesen Sie in diesem Beitrag mehr darüber, welche verschiedenen Arten von Schutzeinrichtungen es gibt.

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Autor*innen: Martin Weyde, Martin Buttenmüller