17.05.2019

Turtle-Diagramm: So analysieren Sie Prozessrisiken

In der Praxis des Prozessmanagements zeigt sich immer wieder, dass Prozessrisiken nicht systematisch identifiziert und erfasst werden. Dabei können Lücken in der Risikoanalyse für Ihr Unternehmen schwerwiegende Folgen haben. Daher sollten Sie sich an einer Systematik orientieren, die Ihnen eine umfassende und vollständige Auseinandersetzung mit Ihren Prozessrisiken ermöglicht. Hier hilft das Turtle-Diagramm weiter.

Turtle-Diagramm zur Analyse von Prozessrisiken

Das Turtle-Diagramm kann mehr

Das Turtle-Diagramm, das Sie bereits als Werkzeug zur Visualisierung von Prozessen und ihren einzelnen Merkmale kennen, dient Ihnen als wichtige Strukturierungshilfe bei Ihrer Risikoanalyse. Es bringt ein hohes Maß an Transparenz in Ihre Prozesse und ermöglicht es Ihnen, gezielt Schwachstellen und Prozessrisiken aufzuzeigen. Dabei handelt es sich um Faktoren, die nicht nur die Durchlauf- und Bearbeitungszeiten in Ihren Prozessen verlängern, sondern auch die Prozesskosten erhöhen und die Qualitätsfähigkeit vermindern und sich damit negativ auf die Zufriedenheit Ihrer Kunden auswirken. Abbildung 1 zeigt die Risikokategorien, die Sie aus einem Turtle-Diagramm ableiten können.

Ziel- und Effizienzrisiken erkennen – darauf kommt es an

Zunächst sollten Sie den zu betrachtenden Prozess selbst als Risikofaktor für Ihre Risikoanalyse einschätzen. Ein bedeutendes Risiko besteht hier zunächst darin, dass das Prozessziel, also der Output des Prozesses, nicht erreichbar ist, z. B., weil sich Kundenanforderungen nicht realisieren lassen.

Ein weiterer Risikofaktor ist eine unzureichende Prozesseffizienz. Zerlegen Sie Ihren Prozess in seine Teilprozesse und Arbeitsschritte. Hinterfragen Sie kritisch, ob jeder dieser Schritte notwendig oder überflüssig ist. Denn jeder nicht notwendige Prozessschritt verursacht Kosten, führt zu Zeitverlusten und stört den Informationsfluss. Problematisch ist auch, wenn die Teilprozesse und Arbeitsschritte nicht aufeinander abgestimmt sind.

Schnittstellenrisiken – häufig unterschätzt

Ein erhebliches Risikopotenzial bergen die Schnittstellen Ihres Prozesses zu anderen vor- und nachgelagerten Prozessen. Schnittstellenrisiken entstehen insbesondere dann, wenn der Material- und/oder Informationsfluss zwischen diesen Prozessen gestört wird. Sie treten mithin beim Input, also bei den Prozesseingaben, und beim Output, also beim Prozessergebnis auf. Schnittstellenrisiken entstehen insbesondere, wenn

  • Material nicht in der richtigen Menge und Güte geliefert wird, entweder vom Lieferanten oder von Ihrem Unternehmen an Ihre Kunden,
  • wichtige Informationen für den Prozessdurchlauf fehlen oder zu spät zur Verfügung stehen, z. B. durch Störungen bei der Datenübertragung infolge von Medienbrüchen,
  • Verträge, Kooperationsvereinbarungen und Angebote im Hinblick auf Haftungsrisiken nicht geprüft werden,
  • ohne Auftrag produziert wird,
  • keine oder fehlerhafte Wettbewerbsanalysen vorliegen,
  • die Kundenzufriedenheit nicht ermittelt wird,
  • keine systematischen Lieferantenbewertungen vorgenommen werden,
  • Wareneingangskontrollen lückenhaft sind und wenn
  • Rechnungen nicht kontrolliert werden.

Ressourceneinsatzrisiken transparent machen

Auch die Ressourcen, die Sie für die Durchführung Ihres Prozesses benötigen, sind ein wichtiger Risikobereich. Risiken bestehen hier insbesondere durch zu knapp eingeplante Kapazitäten und Budgets, Fehler bei Investitionsentscheidungen und bei der Finanzierung, aber auch bei der Standortwahl und bei Outsourcing-Entscheidungen. Dazu kommen mögliche Stillstandzeiten bei Maschinen und Anlagen sowie Schäden bei innerbetrieblichen Transporten und Bestandsrisiken im Lager. Von großer Bedeutung sind ferner IT-Risiken: Risikofaktoren sind hier insbesondere die Verwendung unzureichender Software, Datenschutzverstöße, das Fehlen einer Notfallplanung sowie lückenhafte Sicherheitsvorkehrungen gegen den Zugriff Unbefugter auf Daten und Spionage.

Personalrisiken – Ihre Mitarbeiter als Risikoquelle

Das wohl schwerwiegendste Personalrisiko liegt darin, dass kein Prozesseigner benannt bzw. die Prozessverantwortung nicht klar geregelt ist, so dass Fehler nicht oder nicht rechtzeitig erkannt werden. Risiken auf der Ebene der Mitarbeiter und Prozessteams bestehen insbesondere darin, dass

  • diese ihre Ziele und Aufgaben nicht kennen,
  • diese nicht ausreichend qualifiziert und eingewiesen sind,
  • keine Stellen- oder Funktionsbeschreibungen existieren,
  • keine allgemeinen Verhaltensgrundsätze definiert sind bzw. kommuniziert werden,
  • keine Regeln zur Einarbeitung von neuen Mitarbeitern vorliegen,
  • Teams nicht optimal zusammengesetzt sind,
  • Mitarbeiter unzufrieden und demotiviert sind und dass
  • kriminelle Handlungen, z. B. Sabotage, am Arbeitsplatz vorgenommen werden.

Verfahrensrisiken im Fokus

Im Hinblick auf die Verfahrensrisiken sollten Sie kritisch hinterfragen, ob die im Prozess eingesetzten Methoden, Verfahren, Werkzeuge und Hilfsmittel angemessen sind, um den erwünschten Prozess-Output zu erzeugen. Verfahrensrisiken treten auch dann auf, wenn wichtige Vorgaben für den Prozess nicht vorliegen, nicht vollständig oder nicht aktuell sind. Dabei handelt es sich sowohl um externe Vorgaben wie gesetzliche, behördliche und umweltrechtliche Vorschriften bzw. Genehmigungen als auch um unternehmensinterne Bestimmungen. Diese können z. B. in Verfahrens-, Arbeits- und Prüfanweisungen, aber auch in Checklisten, Organisationsrichtlinien oder Unterschriftenregelungen dargelegt werden.

Steuerungsrisiken – wenn es mal nicht mehr läuft

Ihre Prozesse können nur dann wirkungsvoll ablaufen, wenn sie mithilfe von geeigneten Prozessleistungsindikatoren gesteuert werden. Diese dienen der Beurteilung der Effektivität und Effizienz Ihrer Prozesse, beziehen sich also auf die Überwachung von Durchlaufzeiten, Prozesskosten und von Abweichungen bei Qualitätsmerkmalen. Risiken bestehen hier insbesondere darin, dass die Prozessleistungsindikatoren keine aussagekräftigen Ergebnisse anzeigen und von den Prozessbeteiligten nicht beeinflusst werden können.

Hinweis

Unterschätzen Sie nicht die Steuerungsrisiken. Wenn es Ihnen nicht gelingt, fehlerbedingte Abweichungen in Ihren Prozessen rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen, können sich diese in nachfolgenden Prozessen fortpflanzen. Wenn Sie z. B. Mängel an eingekauftem Material im Rahmen Ihrer Wareneingangsprüfungen nicht finden, kann dies später zu Kundenreklamationen führen.

Störeinflussrisiken – was Sie nicht steuern können

Schließlich kann der Prozessdurchlauf durch Störeinflüsse bedroht werden. Dabei handelt es sich um unerwünschte Einflüsse, die weder vom Prozessverantwortlichen noch vom Lieferanten verantwortet werden. Dazu gehören Fälle von höherer Gewalt wie z. B. Blitzeinschläge, Sturm, Hochwasser, Erdbeben, Unfälle und Streiks, aber auch Maschinenstörungen, die trotz planmäßiger Instandhaltungen auftreten und Mitarbeiter, die krankheitsbedingt fehlen. Diese Störeinflüsse in Ihren Prozessen können Sie lediglich begrenzen, aber nicht steuern. Bei diesen Risiken sollten Sie einen weitest möglichen Versicherungsschutz anstreben.

Risikoanalyse mit Maßnahmen verknüpfen

Ihre Risikoanalyse mithilfe von Turtle-Diagrammen macht nur dann Sinn, wenn Sie Maßnahmen zur Risikovermeidung oder -reduzierung festlegen. Dabei kann es sich sowohl um präventive als auch um korrektive Maßnahmen handeln. Wir haben Ihnen beispielhaft Risiken eines Beschaffungsprozesses, denen präventive (P) oder korrektive (K) Maßnahmen zur Verbesserung der Risikoposition zugeordnet sind, zusammengestellt (siehe Download). Vergessen Sie bei diesem Thema nicht, die Kosten für Verbesserungsmaßnahmen im Blick zu behalten. Außerdem sollten Sie unbedingt darauf achten, dass durch diese Maßnahmen nicht neue Risiken in Ihren Prozessen entstehen.

Risikoanalysen regelmäßig wiederholen

Zwar hilft Ihnen auch eine einmalige Risikoanalyse dabei, die wesentlichen Prozessrisiken zu identifizieren und zu bekämpfen. Noch hilfreicher ist es jedoch, wenn Sie die Analyse in regelmäßigen Abständen wiederholen, z. B. alle sechs oder zwölf Monate. So gelingt es Ihnen, Ihre Prozessrisiken langfristig immer weiter zu senken. Die Risikoanalyse mithilfe des Turtle-Diagramms wird so zu einem integralen Bestandteil Ihres Risikomanagements.

Expertentipp

Erstellen Sie sich für alle Risikobereiche eines Prozesses jeweils eine Checkliste, die Sie dabei unterstützt, die Risiken zu identifizieren. Derartige Checklisten entbinden Sie allerdings nicht von der Verpflichtung, permanent nach neuen Risiken Ausschau zu halten, z. B. mithilfe von Kreativmethoden wie dem Brainstorming.

 

Autor*in: Jens Harmeier