10.02.2015

Risikobeurteilung

Sicher kennen Sie das Bonmot „Provisorien halten am längsten“. Bei Gerüchten verhält es sich ähnlich. Eines dieser Gerüchte besagt, dass die Risikobeurteilung erst seit Einführung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG durchgeführt werden muss. Fakt ist, dass schon in der Vorgängerrichtlinie 98/37/EG die Durchführung der Risikobeurteilung – seinerzeit noch als Gefahrenanalyse bezeichnet – zwingend vorgesehen war.

Risikobeurteilung

Wichtig hierbei ist, dass die Maschinenrichtlinie zwar fordert, dass eine Risikobeurteilung durchgeführt werden muss. Über das Wie schweigt sie sich aber vornehm aus. Und das aus gutem Grund: Die Unterschiedlichkeit von Produkten, die vom Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie erfasst werden, ist zu groß.

Vorgaben, die Sie beachten müssen

Allerdings enthält die Maschinenrichtlinie Vorgaben, die bei der Durchführung der Risikobeurteilung beachtet werden müssen. Diese Vorgaben stehen in Anhang I:

  • „die Grenzen der Maschine zu bestimmen, was ihre bestimmungsgemäße Verwendung und jede vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung einschließt;“

Grenzen sind gemäß EN ISO 12100:2010:

    • Verwendungsgrenzen: bestimmungsgemäße Verwendung, vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung
    • räumliche Grenzen
    • zeitliche Grenzen, z.B. Einschaltdauer, Lebensdauer, Wartungsintervalle
    • weitere Grenzen, z.B. Umgebungsbedingungen wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit
  • „die Gefährdungen, die von der Maschine ausgehen können, und die damit verbundenen Gefährdungssituationen zu ermitteln;“

Die Gefährdungen sind für jede Lebensphase zu ermitteln, in denen sich ein Produkt im Lauf seines Produktlebenszyklus befinden kann. Lebensphasen sind unter anderem: Transport, Montage, Inbetriebnahme, Betrieb, Wartung, Reparatur, Demontage, Recycling.

Einen schönen Überblick über mögliche Gefährdungen liefert die EN ISO 12100:2010, die folgende Gefährdungsgruppen auflistet:

    • mechanische Gefährdungen
    • elektrische Gefährdungen
    • thermische Gefährdungen
    • Gefährdungen durch Lärm
    • Gefährdungen durch Vibration
    • Gefährdungen durch Strahlung
    • Gefährdungen durch Materialien und Substanzen
    • ergonomische Gefährdungen
    • Gefährdungen im Zusammenhang mit der Einsatzumgebung der Maschine
    • Kombination von Gefährdungen
  • „die Risiken abzuschätzen unter Berücksichtigung der Schwere möglicher Verletzungen oder Gesundheitsschäden und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens;“
  • die Risiken zu bewerten, um zu ermitteln, ob eine Risikominderung gemäß dem Ziel dieser Richtlinie erforderlich ist;“
  • „die Gefährdungen auszuschalten oder durch Anwendung von Schutzmaßnahmen die mit diesen Gefährdungen verbundenen Risiken in der in Nummer 1.1.2 Buchstabe b festgelegten Rangfolge zu mindern.“

Diese Rangfolge stellt sich wie folgt dar:

    • Im ersten Schritt sind Gefahren durch eine inhärent sichere Konstruktion zu beseitigen.
    • Erst im zweiten Schritt sind Gefahren durch geeignete technische Schutzmaßnahmen zu beseitigen.
    • Bleiben dann Restgefahren übrig, wird im dritten Schritt vor diesen in der jeweiligen Anleitungen gewarnt.

Ziel der Risikobeurteilung

Ziel der Risikobeurteilung ist es, herauszufinden, welche Gefährdungen von einem Produkt ausgehen, und festzulegen, welche Gegenmaßnahmen geeignet sind, diese Gefährdungen auszuschließen oder zu minimieren.

Vor Gefährdungen, die nicht gänzlich vermieden werden können und bei denen ein Restrisiko besteht, muss in der jeweiligen Anleitung gewarnt werden. Diese Warnhinweise beschreiben die Restgefahr und Maßnahmen, wie dieser Restgefahr wirkungsvoll entgegengetreten werden kann, sodass ein Personenschaden möglichst nicht eintritt.

Die Risikobeurteilung wird bei der Erstellung der Betriebsanleitung immer dann benötigt, wenn vor Restgefahren gewarnt werden muss. Diese sind in der Risikobeurteilung enthalten.

Autor*in: Jörg Ertelt (Gründer und Inhaber von HELPDESIGN. Autor, Moderator, Dozent.)