05.08.2021

Evergreen „Wesentliche Veränderung“ – spannend interpretiert

Es war von Anfang an ein Kreuz mit der „wesentlichen Veränderung“. Nicht nur, dass manche Betreiber gar nicht erst wussten, dass Maschinen, die sie für die eigene Verwendung herstellen, überhaupt CE-pflichtig sind. Mancher Betreiber wusste auch nicht, dass er selbst zum Hersteller wird, wenn er eine Maschine oder Maschinenanlage wesentlich verändert – und damit CE-pflichtig. Und so mancher Betroffene wusste ebenfalls nicht, ob die geplante Veränderung aus der Sicht des Gesetzgebers nun wesentlich war oder nicht.

CE-Eisberg

Wie alles anfing

Lassen Sie uns kurz Revue passieren, wie alles anfing. Die allererste Maschinenrichtlinie 89/392/EWG erschien am 14. Juni 1989 im EU-Amtsblatt und musste ab dem 31. Dezember 1992 verbindlich angewendet werden. Das ist lange her. Seither gilt CE-Pflicht für praktisch alles, was die Maschinenrichtlinie als Maschine“ definiert. Nur: Anforderungen, wie Maschinen zu behandeln sind, die nach der Inverkehrbringung verändert werden, finden sich in dieser ersten Maschinenrichtlinie nicht.

Heute – viele Jahre und einige Fassungen später –finden wir in der Maschinenrichtlinie immer noch nichts zum Thema „wesentliche Veränderung“. – Und das ist nur folgerichtig. Denn die Maschinenrichtlinie behandelt ausschließlich die erste Bereitstellung von Maschinen auf dem Gemeinschaftsmarkt. Technischen Veränderungen, die erst nach diesem Zeitpunkt erfolgen, interessieren die Maschinenrichtlinie schlichtweg nicht.

Ist das Thema CE für veränderte Maschinen deshalb vom Tisch? Nein!

Sogar der Leitfaden Maschinenrichtlinie, Auflage 2.2 streift das Thema an zwei Stellen. Er betont die Schnittstelle zur Betriebssicherheit:

  • Er verweist auf Einzelfallentscheidungen und auf Rücksprache mit den zuständigen Behörden.
  • § 39 gibt zusätzliche Hinweise, welche 1:1 der Herangehensweise des Interpretationspapiers des BMAS entsprechen (siehe Kapitel 2, Das Interpretationspapier des BMAS).
  • Die restlichen Hinweise beziehen sich lediglich auf formale Konsequenzen und Anforderungen, wenn eine Änderung bereits als „wesentlich“ eingestuft wurde.

Betriebssicherheit meets CE

Nun kommt der Betreiber ins Spiel. Zumeist ist er derjenige, welcher eine Maschine nach der Inverkehrbringung verändert. Insbesondere Betreiber von größeren Anlagen schrauben unentwegt an ihren Maschinen und „verändern“ sie dadurch. Müssen diese Maschinen nicht sicher sein? Oh doch! Nach dem Willen der EU entsteht Sicherheit durch zwei wesentliche Säulen:

  • durch die Betriebssicherheit
  • und durch die Produktsicherheit.

Betriebssicherheit

Der Arbeitgeber darf seinen Beschäftigten gem. Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) § 5 nur sichere Arbeitsmittel bereitstellen. Was heißt das genau? Hier trifft Betriebssicherheit auf Produktsicherheit:

  • Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass Arbeitsmittel, die er beschafft, alle anwendbaren CE-Vorschriften erfüllen.
  • Arbeitsmittel, die der Arbeitgeber selbst herstellt, müssen mindestens die grundlegenden Sicherheitsanforderungen der anwendbaren CE Vorschriften erfüllen, ggf. zusätzlich auch formale Anforderungen (z.B. Konformitäts- oder Einbauerklärung), wenn dies in der jeweiligen CE-Vorschrift entsprechend geregelt ist.

Außerdem muss der Arbeitgeber die vom Hersteller der Maschine oder Anlage bereitgestellte Sicherheit aufrechterhalten. So weit so klar. Aber was ist, wenn der Betreiber eine sichere Maschine oder Anlage nachträglich verändert? Was ist, wenn von so einer Veränderung auch die Sicherheit der Maschine oder Anlage betroffen ist? Wer ist dann zuständig für die Sicherheit? Die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) gibt die Antwort in § 10 Absatz (5):

„Bei Änderungen von Arbeitsmitteln hat der Arbeitgeber zu beurteilen, ob es sich um prüfpflichtige Änderungen handelt. Er hat auch zu beurteilen, ob er bei den Änderungen von Arbeitsmitteln Herstellerpflichten zu beachten hat, die sich aus anderen Rechtsvorschriften, insbesondere dem Produktsicherheitsgesetz oder einer Verordnung nach § 8 Absatz 1 des Produktsicherheitsgesetzes ergeben.“

Die Verantwortung für die Sicherheit geänderter Maschinen und Anlagen liegt also beim Arbeitgeber. Er muss prüfen, ob er die Sicherheit im Rahmen der Betriebssicherheit bewahren kann oder in Herstellerpflichten eintritt.

Produktsicherheit

Die Produktsicherheit ist Aufgabe des Herstellers einer Maschine oder Anlage. Er darf nur sichere Maschinen und Anlagen in Verkehr bringen, d.h. erstmalig auf dem Markt bereitstellen. Auf diese Sicherheit baut der Betreiber auf. Festgelegt wird die Sicherheit von Maschinen und Anlagen durch das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG). Es regelt die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt. Zu diesen Produkten zählen auch Maschinen und Anlagen. Das Produktsicherheitsgesetz setzt die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG in Form der 9. ProdSV (der sog. „Maschinenverordnung“) in deutsches Recht um. Primär gelten für Maschinen und Anlagen also die Bestimmungen der Maschinenverordnung.

Aber: Wenn die Bestimmungen des Produktsicherheitsgesetzes strenger sind als entsprechende Bestimmungen der Maschinenverordnung, gelten die strengeren Bestimmungen des Produktsicherheitsgesetzes. Strengere Bestimmung sticht also weniger strenge oder fehlende Bestimmung. Bei Maschinen und Anlagen, die der Betreiber nachträglich verändert, greift genau diese Regelung:

  • Die Maschinenrichtlinie enthält keine Bestimmungen für Maschinen und Anlagen, die nach der ersten Bereitstellung verändert werden.
  • Das Produktsicherheitsgesetz enthält Bestimmungen für Maschinen und Anlagen, die nach der ersten Bereitstellung verändert werden.

Zusätzlich zur Maschinenrichtlinie gelten also die einschlägigen strengeren Bestimmungen des Produktsicherheitsgesetzes.

Brauchen Sie weitere Informationen zur Wesentlichen Veränderung von Maschinen? Erfahren sie mehr dazu in unserem Modul „Niederspannungsrichtlinie“.

 

Autor*in: Elisabeth Wirthmüller (ce konform GmbH. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Technische Dokumentation.)