04.07.2023

In welchen Fällen besteht eine Pflicht zum Zurückschneiden einer Hecke?

Eine wuchernde Hecke, die nach Ansicht der Ordnungsbehörde eine konkrete Gefahr darstellte, beschäftigte zwei Gerichte. Das OVG Münster (Urteil vom 21.11.2022, Az. 11 A 996/21) zeigte auf, in welchen Fällen ein Rückschnitt angeordnet werden darf.

Anordnen des Rückschnitts einer 2 Meter hohen Hecke

Der Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Eckgrundstücks erhielt die Anordnung, eine sein Anwesen einfassende 2 m hohe Hainbuchenhecke unverzüglich teilweise zurückzuschneiden.

Die Hecke, so die Ordnungsbehörde stelle für Verkehrsteilnehmer eine erhebliche Sichtbehinderung und damit eine Verkehrsgefährdung dar. Nachträglich gab die Ordnungsbehörde dem Eigentümer unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, die Hainbuchenhecke bis auf eine Höhe von 0,80 m innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides herunterzuschneiden und drohte für den Fall der Untätigkeit die Ersatzvornahme an.

Der Eigentümer wandte sich an das VG, das seiner Klage stattgab. Die Gemeinde gab sich nicht geschlagen und rief das OVG Münster an.

Welche Voraussetzungen gibt das Straßenrecht vor?

Rechtsgrundlage für die Anordnung des Rückschnitts der Hecke ist das Straßengesetz des Bundeslandes (hier § 30 Abs. 4 Satz 1 NRWStrWG). Danach sind Anpflanzungen oder Einrichtungen, die die Verkehrssicherheit beeinträchtigen (hier § 30 Abs. 2 Satz 1 NRWStrWG), auf schriftliches Verlangen der Straßenbaubehörde von den Eigentümern und Besitzern von Grundstücken an öffentlichen Straßen innerhalb einer angemessenen Frist zu beseitigen.

Wie sind diese Bestimmungen auszulegen?

Die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit verlangt eine konkrete Gefahr, bestätigte das OVG die Vorinstanz und blieb auch weiter auf dessen Linie: Erforderlich, aber auch ausreichend ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit aufgrund der Erfahrungen nach den Ursache-Wirkung-Abläufen, dass durch die Anpflanzung mit ihren Folgewirkungen das Schutzgut „Verkehrssicherheit“ nachteilig beeinflusst werden kann.

Maßgeblich dafür, ob das Schutzgut „Verkehrssicherheit“ nachteilig beeinflusst werden kann, sind die Umstände des konkreten Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind insbesondere

  • die Lage der Anpflanzung oder Einrichtung zum Straßenkörper, z.B. Heranreichen bis an die Fahrbahn oder Abstand von ihr etwa aufgrund eines Gehwegs,
  • die Belastung der Straße durch den durchschnittlichen täglichen Verkehr,
  • die zugelassene Höchstgeschwindigkeit
  • und der Straßenverlauf (Steigung, Neigung, Kurven) sowie sonstige Sichtbeeinträchtigungen.
  • Wird der Verkehrsweg verstärkt durch Ortsunkundige genutzt oder liegt eine Häufung von Unfällen oder Beinahe-Unfällen vor, ist auch dies im Einzelfall in die Beurteilung einzustellen.
  • Einer Verwirklichung der Gefahr durch Verkehrsunfälle bedarf es indes nicht.

Die Berichterstatterin nahm vor Ort den Augenschein

Das Gericht begab sich in Person der Berichterstatterin vor Ort und stellte dabei fest,

  • das Grundstück ist zu beiden Straßen mit einer rund 2 m hohen Hainbuchenhecke eingefasst,
  • die Hecke stellt für Verkehrsteilnehmer eine gewisse Sichteinschränkung dar, soweit sie über eine Höhe von 80 cm hinausgeht,
  • die Verkehrsbelastung beider Straßen ist als erheblich anzusehen und
  • deren zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 50 bzw. 30 km/h.

Wie legte das Gericht nun die Situation vor Ort aus?

Gleichwohl kam das Gericht zu der Überzeugung, dass die Verkehrssicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht beeinträchtigt ist. Die Sichtbeeinträchtigung verringert sich, je näher die Verkehrsteilnehmer an die einmündende Straße heranfahren. Ab einer Entfernung von etwa drei Metern von der Sichtlinie ist die Fahrbahn vollständig einzusehen. Eine Häufung von (Beinahe-)Unfällen an der Einmündung beider Straßen ist nicht zu verzeichnen.

Ergebnis

Die Hecke des Eigentümers beeinträchtigt die Verkehrssicherheit nicht, entschied das OVG. Somit sind auch die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Rückschnitt (hier § 30 Abs. 4 Satz 1 NRWStrWG) nicht erfüllt. Das OVG bestätigte damit das Urteil der Vorinstanz und hob auch die Androhung der Ersatzvornahme auf, weil die Anordnung des Rückschnitts als Grundverwaltungsakt nicht rechtmäßig ist.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)