20.01.2020

Urteil OVG Lüneburg: Kostenerstattung bei Bombenblindgänger

Glück im Unglück hatte die Eigentümerin eines mit einem Einkaufszentrum bebauten Grundstücks. Eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg detonierte nicht bei den Bauarbeiten, sondern wurde erst später gefunden und entschärft. Vor dem OVG Lüneburg (Urteil vom 28.11.2019, Az. 11 LC 606/18) setzte sie sich gegen die Übernahme der Einsatzkosten zur Wehr.

Bombenblindgänger Kostenerstattung

Fund einer Weltkrieg-II-Bombe

Die Eigentümerin eines Grundstücks errichtete in den Jahren 2014 und 2015 ein Einkaufszentrum. In der Baugenehmigung wurde ihr aufgegeben, eine Kampfmittelerkundungsfirma mit einer Überprüfung der Baufläche auf Kampfmittel zu beauftragen, weil das Baugrundstück in einem Bereich liege, der im Zweiten Weltkrieg bombardiert worden sei. Die Überprüfung werde angeordnet, damit die Baumaßnahme die öffentliche Sicherheit nicht gefährde und die Nutzung der baulichen Anlage anschließend gefahrlos möglich sei.

Nach dem Fertigstellen des Gebäudes wurde bei Tiefbauarbeiten eine 500 kg schwere Sprengbombe aus dem Zweiten Weltkrieg freigelegt. Aus technischen Gründen wurde in diesem Bereich keine Oberflächensondierung auf Kampfmittel durchgeführt. Die Gefahrenleitstelle der Feuerwehr der Gemeinde traf in Abstimmung mit dem Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes die Entscheidung, die Bombe noch am selben Tag zu entschärfen und das Gebiet in einem Umkreis von 1.000 m² zu evakuieren.

Gegen den Bescheid der Gemeinde zur Beteiligung an den Kosten des Einsatzes in Höhe von rund 24.500 Euro klagte die Eigentümerin. In diesem Betrag enthalten sind auch die Kosten der Evakuierung des angrenzenden Gebiets. Das VG hob den Bescheid auf. Die Gemeinde rief das OVG Lüneburg an.

Rechtsgrundlage der Evakuierung im Polizei- und Ordnungsbehördengesetz

Die Rechtsgrundlage für die Heranziehung zu den Evakuierungskosten ergibt sich aus den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen der Bundesländer (hier: § 66 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG).

Nach den Vorschriften der Polizei- und Ordnungsbehördengesetze der Bundesländer (hier: § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG) kann die Verwaltungsbehörde, sofern die Verpflichtung, eine vertretbare Handlung vorzunehmen, nicht erfüllt wird, auf Kosten der Person, die die Handlung vorzunehmen hätte, die Handlung selbst ausführen oder eine andere Person mit der Ausführung beauftragen (Ersatzvornahme). Für die zusätzlich zur Ausführung der Handlung erforderlichen Amtshandlungen werden Gebühren und Auslagen nach den Vorschriften der Landesverwaltungskostengesetze erhoben.

Ersatzvornahme ohne Erlass eines Bescheids

Die Heranziehung zu den Kosten setzt voraus, dass die Ersatzvornahme ihrerseits rechtmäßig war. Regelfall für die Anwendung von Zwangsmitteln ist der Erlass eines Verwaltungsakts. Einen Verwaltungsakt, mit dem der Eigentümerin das zur Gefahrenabwehr erforderliche Verhalten aufgegeben worden ist, hat die Gemeinde nicht erlassen. Man kann Zwangsmittel aber ohne vorausgehenden Verwaltungsakt anwenden, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr erforderlich ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Maßnahmen gegen die verantwortlichen Personen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen. Die Verwaltungsbehörde oder die Polizei müssen hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handeln. Diese Voraussetzungen lagen bei der Entschärfung des Blindgängers vor.

Heranziehung zu den Evakuierungskosten rechtens

Die Heranziehung zu den Evakuierungskosten knüpft an die im Wege der Ersatzvornahme durchgeführte Bombenentschärfung an. Aus rechtlichen Gründen konnte die Gemeinde die Eigentümerin nicht zur Durchführung der Evakuierung verpflichten, weil dafür hoheitliche Maßnahmen wie Straßensperrungen, Platzverweise und Wohnungswegweisungen erforderlich waren. Dies steht der Geltendmachung der Kosten nicht entgegen.

Ergebnis: Kostenerstattung für Bombenblindgänger durch Eigentümerin

Die Gemeinde durfte zum Entschärfen der Bombe das Zwangsmittel der Ersatzvornahme ohne vorausgehenden Verwaltungsakt anwenden, weil dies zur Abwehr einer von dem Grundstück der Eigentümerin ausgehenden gegenwärtigen Gefahr erforderlich war. Die Durchführung der Evakuierung ist eine zusätzlich Amtshandlung, die zur Ausführung der Bombenentschärfung erforderlich war. Da man die Ersatzvornahme rechtmäßig ausführte, muss die Eigentümerin auch deren Kosten tragen.

Das Urteil ist abrufbar unter https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/54d51a86-277a-4d50-8507-08d7da310ad2

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)