09.05.2023

Berechtigt eine erhöhte Unfallzahl das Einrichten einer Einbahnstraße?

Der Anwohner einer Nebenstraße ging gegen die Anordnung einer Einbahnstraße vor, weil der dort ausgesperrte Gegenverkehr nun vor seiner Haustür stattfindet. Er rief das VG Berlin an (Urteil vom 14.03.2023, Az. VG 11 K 138/22).

Anwohner einer Nebenstraße ging gegen die Anordnung einer Einbahnstraße vor, weil der dort ausgesperrte Gegenverkehr nun vor seiner Haustür stattfindet.

Anordnen einer Einbahnstraße nach Modellprojekt

Ein Jahr lang wurde im Rahmen einer Testphase in einer Straße das Modellprojekt „Begegnungszone B.-Straße“ durchgeführt. Ziel war die Verkehrsberuhigung. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit in der B.- und den umliegenden Straßen wurde von 30 auf 20 km/h reduziert und ein Lieferstreifen eingerichtet. Die Fahrbahn in der B.-Straße wurde vorübergehend durch „Parklets“ verengt sowie Querungshilfen in Form von barrierefreien Gehwegvorstreckungen für den Fußverkehr geschaffen.

Nach Auswertung der Ergebnisse des Modellprojekts ordnete die Straßenverkehrsbehörde die „Zeichen 220 und 267 (Einbahnstraße, Verbot der Einfahrt) und damit zusammenhängende Maßnahmen“ an. Begründet wurde die Anordnung mit der Erhöhung der Verkehrssicherheit. Die Maßnahme sei für die Verkehrsberuhigung der B.-Straße notwendig.

Aus den Erhebungen des Unfallatlas der statistischen Ämter des Bundes und der Länder ergibt sich für die B.-Straße eine für eine Nebenstraße deutlich erhöhte Zahl an Fahrradunfällen in den Jahren 2018 bis 2020 (14 Fahrradunfälle mit 12 Leichtverletzten und zwei Schwerverletzten).

Der Eigentümer und Bewohner eines Wohnhauses in einer benachbarten N-Straße erhob Widerspruch gegen die Anordnung, weil der Verkehr nun über die N-Straße führe und der Zusatzverkehr besonders lärmintensiv und wohnunverträglich sei. Sein Widerspruch wurde zurückgewiesen. Er klagte auf Aufhebung der gesamten straßenverkehrsbehördlichen Anordnung und das Entfernen der Verkehrszeichen.

Rechtsgrundlage § 45 StVO

Rechtsgrundlage für die straßenverkehrsbehördliche Anordnung ist § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 und Satz 3 StVO.

Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Aus § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO ergibt sich, dass Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen sind, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO dürfen Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs grundsätzlich nur angeordnet werden, wo aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen von § 45 StVO genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Einbahnstraßenregelung zwingend erforderlich?

Der Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO setzt eine konkrete Gefahr für das geschützte Gut – hier für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs – voraus.

Es genügt hierfür, dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten können. Dies beurteilt sich danach, ob die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder Strecke einer Straße die Befürchtung nahelegt, dass die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt.

Die qualifizierte Gefahrenlage ergibt sich aus den vorgelegten Unfallstatistiken. Die herangezogenen Zahlen des Unfallatlas können dabei eine geeignete Grundlage für die Bestandsaufnahme im Hinblick auf eine konkrete Gefahrenlage bieten, sofern ein konkreter Bezug zu der betroffenen Verkehrssituation erkennbar ist.

Die auf den im Unfallatlas erfassten Zahlen führen zu der Prognose, dass eine qualifizierte Gefährdungslage vorliegt. Das Anbringen der Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen war wegen der besonderen Umstände zwingend erforderlich.

Wurde das Ermessen fehlerfrei ausgeübt?

Bestehen eine qualifizierte Gefährdungslage und eine konkrete Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben, ist in der Regel ein Tätigwerden geboten und das Entschließungsermessen reduziert.

Der Betroffene kann nur verlangen, dass seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler mit denen der Allgemeinheit und anderer Betroffener abgewogen werden. Nur dann, wenn seine Interessen gewichtiger sind als die für die streitgegenständliche Verkehrsregelung sprechenden Gründe, könnte er in seinen Rechten verletzt sein und nur dann kommt auch eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Betracht. Dies sah das Gericht aber nicht als gegeben an und bestätigte auch die Ermessensentscheidung der Straßenverkehrsbehörde.

Ergebnis

Das VG sah die verkehrsrechtliche Anordnung als rechtmäßig an. Der Anwohner der nun zusätzlich belasteten Nachbarstraße kann daher nicht das Entfernen der aufgestellten Verkehrszeichen verlangen.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)