06.03.2017

Teilhabe-Lagebericht über schwerbehinderte Menschen und Anforderungen bei Schadenersatz wegen Benachteiligung

Der Anteil der erwerbstätigen Menschen mit Beeinträchtigungen an der Gesamtbevölkerung betrug 2013 knapp 16 Prozent. Dies führt die Bundesregierung auf den demografischen Wandel zurück, da Beeinträchtigungen in höherem Alter vermehrt auftreten. Die Entwicklung der Teilhabe verlaufe nicht in allen Lebensbereichen einheitlich. Dies und noch viel mehr geht aus dem neuen Teilhabebericht der Bundesregierung hervor.

Schwerbehinderung

Aus einer Unterrichtung der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag ist zu entnehmen, dass die Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen von 10,99 Mio. im Jahr 2005 auf 12,77 Mio. im Jahr 2013 gestiegen ist. Dies entspricht einem Zuwachs um 16% (bei gleichzeitigem Rückgang der Bevölkerung um 2%). Im selben Zeitraum ist der Anteil der Menschen mit Beeinträchtigungen an der Gesamtbevölkerung von 13,3% auf 15,8% gestiegen. Diese Entwicklung ist auf den demografischen Wandel zurückzuführen, denn Beeinträchtigungen treten mit höherem Alter vermehrt auf. Folglich führen die gestiegene Lebenserwartung und die Alterung der Gesellschaft insgesamt auch zu einer höheren Zahl von Menschen mit Beeinträchtigungen. Die Anteile der Menschen mit Beeinträchtigungen sind nicht nur unter den älteren Menschen, sondern in jeder Altersgruppe gestiegen. Beide Entwicklungen, die Alterung der Gesellschaft und die steigenden Anteile von Menschen mit Beeinträchtigungen in jeder Altersgruppe, tragen dazu bei, dass die Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen insgesamt zunimmt.

Der aktuelle Teilhabebericht kann beim Deutschen Bundestag unter der Bundestagsdrucksache 18/10940 eingesehen werden. Innerhalb von acht Jahren ist demnach auch die Erwerbstätigenquote aller Teilgruppen von Menschen mit Beeinträchtigungen gestiegen:

  • um fünf Prozentpunkte bei chronisch Kranken,
  • um sechs Prozentpunkte bei Menschen mit Schwerbehinderungen und
  • um neun Prozentpunkte bei Menschen mit einem anerkannten Behinderungsgrad von unter 50.

Dennoch liegt die Arbeitslosenquote dieser Menschen immer noch deutlich über der jener Menschen ohne Beeinträchtigungen, die Chancen zur Teilhabe seien immer noch ungleich verteilt. Demnach seien Menschen mit Beeinträchtigungen auch stärker von Armutsrisiken betroffen, schreibt die Bundesregierung.

Schadenersatz wegen Benachteiligung bei unterbliebener Erhöhung der Wochenarbeitszeit

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 26.01.2017 – Az: 8 AZR 736/15 –

Eine Benachteiligung wegen Schwerbehinderung muss zweifelsfrei nachgewiesen sein, wenn ein Anspruch auf Schadenersatz erfolgreich geltend gemacht werden soll. Nur wenn Indizien vorliegen, die mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ darauf schließen lassen, dass ein in § 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung war, darf eine Benachteiligung wegen Behinderung vermutet werden.

 

Was war geschehen?

Ein mit einem GdB von 50 als schwerbehindert anerkannter Arbeitnehmer ist bei einem Expressversand und Transportservice als Kurier mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 27,5 Stunden beschäftigt. Im Juni 2013 verteilte die Beklagte ein Stundenvolumen von insgesamt 66,5 Stunden – unbefristet – an 14 teilzeitbeschäftigte Kuriere und schloss mit diesen entsprechende Änderungsverträge ab. Dabei wurden bis auf den Kläger, der mehrfach um eine Erhöhung seiner Wochenstundenzahl nachgesucht hatte, und einen weiteren Mitarbeiter, der erst im Januar 2013 in die Station in K. gewechselt war, sämtliche Teilzeitmitarbeiter mit Wunsch auf eine Stundenerhöhung berücksichtigt. Mit seiner Klage begehrte der Arbeitnehmer eine Erhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit unter entsprechender Vertragsänderung. In der Berufungsinstanz erweiterte er seine Klage und machte zusätzlich hilfsweise einen Schadenersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG in Höhe der ihm entgangenen Vergütung geltend. Zur Begründung berief er sich darauf, die Beklagte habe ihn bei der Vergabe der Stundenerhöhungen wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers sprach das Landesarbeitsgericht – unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im Übrigen – dem Kläger Schadenersatz in Höhe des ihm entgangenen Verdienstes zu.

Das entschieden die Bundesrichter

Die Revision des Arbeitgebers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Das Landesarbeitsgericht durfte der Klage nicht mit der Begründung stattgeben, es lägen Indizien im Sinne von § 22 AGG vor, die eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung vermuten ließen, und die Beklagte habe diese Vermutung nicht widerlegt. Das Landesarbeitsgericht verkannte, dass die Vermutung einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grunds nur besteht, wenn Indizien vorliegen, die mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ darauf schließen lassen, dass ein in § 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung war und damit die vom Landesarbeitsgericht angenommene „Möglichkeit“ einer Ursächlichkeit nicht ausreicht.

Aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen konnte der Senat den Rechtsstreit allerdings nicht abschließend entscheiden. Die Sache wurde deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Autor*in: Werner Plaggemeier (langjähriger Herausgeber der Onlinedatenbank „Personalratspraxis“)