Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen
Ein besonderer Fall lag dem Bundesarbeitsgericht vor im Fall einer Arbeitnehmerin, die kurze Zeit nach Erhalt der Kündigung durch ihren Arbeitgeber eine Schwangerschaft feststellte. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) kam zur folgenden Entscheidung: Erlangt eine Arbeitnehmerin schuldlos erst nach Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von einer bestehenden Schwangerschaft während des Zugangs des Kündigungsschreibens, so ist die verspätete Kündigungsschutzklage auf ihren Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen.
Zuletzt aktualisiert am: 16. Mai 2025

Schwangerschaft während der Kündigungsfrist
Im aktuellen Fall ist die Arbeitnehmerin bei einem Unternehmen beschäftigt, das ihr das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2022 kündigte. Das Kündigungsschreiben ging der Arbeitnehmerin am 14. Mai 2022 zu. Am 29. Mai 2022 führte sie einen Schwangerschaftstest mit einem positiven Ergebnis durch. Sie bemühte sich sofort um einen Termin beim Frauenarzt, den sie aber erst für den 17. Juni 2022 erhielt. Am 13. Juni 2022 hat die gekündigte Arbeitnehmerin eine Kündigungsschutzklage anhängig gemacht und deren nachträgliche Zulassung beantragt. Am 21. Juni 2022 reichte sie ein ärztliches Zeugnis beim Arbeitsgericht ein, das eine bei ihr am 17. Juni 2022 festgestellte Schwangerschaft in der „ca. 7 + 1 Schwangerschaftswoche“ bestätigte. Ihr Mutterpass wies als voraussichtlichen Geburtstermin den 2. Februar 2023 aus. Danach hatte die Schwangerschaft am 28. April 2022 begonnen (Rückrechnung vom mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage).
Abweichende Auffassungen
Die Klägerin war der Ansicht, die Kündigungsschutzklage sei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Das beklagte Unternehmen vertrat jedoch die Auffassung, die Vorschrift sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe durch den positiven Test binnen der offenen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt. Die Vorinstanz, das Sächsische Landesarbeitsgericht, hatte der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Daher ging das beklagte Unternehmen in Revision.
Die Beklagte ging in Revision
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die streitbefangene Kündigung ist wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam. Das Gegenteil wird nicht nach § 7 Halbsatz 1 KSchG fingiert. Zwar hat die Klägerin mit der Klageerhebung am 13. Juni 2022 die am 7. Juni 2022 abgelaufene Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht gewahrt. Diese Frist ist zwar mit dem Zugang des Kündigungsschreibens angelaufen. Der Fristbeginn richtete sich nicht nach § 4 Satz 4 KSchG, denn die Beklagte hatte im Kündigungszeitpunkt keine Kenntnis von der seinerzeit bereits bestandenen Schwangerschaft der Klägerin.
Verspätete Klage wurde zugelassen
Die verspätet erhobene Klage war jedoch gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin hat aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst mit der frühestmöglichen frauenärztlichen Untersuchung am 17. Juni 2022 positive Kenntnis davon erlangt, dass sie bei Zugang der Kündigung am 14. Mai 2022 schwanger war. Der etwas mehr als zwei Wochen danach durchgeführte Schwangerschaftstest vom 29. Mai 2022 konnte ihr diese Kenntnis nicht vermitteln. In der vom Senat vorgenommenen Auslegung genügt das bestehende System der §§ 4, 5 KSchG und des § 17 Abs. 1 MuSchG den Vorgaben der Richtlinie 92/85/EWG, wie sie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Sache „Haus Jacobus“ (EuGH 27. Juni 2024 – C-284/23) herausgearbeitet hat (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. April 2025 – 2 AZR 156/24).