03.05.2023

Achtung: Missbrauchsgefahr beim neuen Nachweisgesetz

Seit August 2022 ist das geänderte Nachweisgesetz in Kraft. Dadurch werden Arbeitgeber verpflichtet, den Beschäftigten mehr schriftliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Doch nun machen besorgniserregende Meldungen die Runde, dass einige Arbeitgeber versuchen, die Neuregelung als Vorwand zu nehmen, um den Kollegen geänderte (=  verschlechterte) Arbeitsverträge vorzulegen.

Hände bei Vertragsunterzeichnung

Sinn und Zweck des Nachweisgesetzes ist lediglich, dass der Arbeitgeber transparenter mit wichtigen Informationen für  die Beschäftigten umgeht. Anscheinend nutzen aber wohl einige schwarze Schafe unter den Arbeitgebern aus, dass Beschäftigte und sicher auch einige Betriebsräte arbeitsrechtlich verständlicherweise nicht so versiert sind. So kommt es anscheinend vor, dass Kollegen einen neuen Arbeitsvertrag unterzeichnen sollen. Begründet wird dieser Schritt damit, dass das geänderte Nachweisgesetz einen neuen Arbeitsvertrag erforderlich machen würde.

Erweiterte Informationspflicht des Arbeitgebers für Neuverträge

Das neue Nachweisgesetz sieht lediglich vor, dass für alle Arbeitsverträge, die im Rahmen von Neueinstellungen seit dem 01.08.2022 geschlossen werden, mehr schriftliche Infos von der Geschäftsleitung ausgehändigt werden müssen (siehe dazu im Detail die Oktober-Ausgabe von Betriebsrat KOMPAKT 13/2022). Doch Kollegen, die bereits vor dem 01.08.2022  im Betrieb beschäftigt waren, sind von der Gesetzesänderung grundsätzlich nicht betroffen. Das heißt, der Arbeitgeber muss hier erst einmal gar nicht tätig werden. Das ist nur dann anders, wenn die bereits tätigen Arbeitnehmer den  Arbeitgeber auffordern, ihnen ebenfalls die erweiterten Infos zukommen zu lassen. Aber Achtung: Das kann der Arbeitgeber erledigen, indem er schriftlich die Informationen zusammenstellt und den Beschäftigten aushändigt. Hier ist keinesfalls der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags erforderlich.

Folgen des neuen Arbeitsvertrags

Wer als bereits Beschäftigter einen neuen Arbeitsvertrag unterschreibt, löst damit aus, dass der bisherige Arbeitsvertrag mit sofortiger Wirkung seine Gültigkeit verliert. Das heißt, alle dort festgelegten Regelungen, sei es zu flexiblen  Arbeitszeiten, Weiterbildungen, Homeoffice, Gehalt, zusätzlichen Urlaubstagen etc., sind dann nicht mehr anwendbar.
Stattdessen gelten die Bestimmungen des neuen Arbeitsvertrags. Für Arbeitgeber besteht daher die Möglichkeit, in einem solchen neuen Vertrag – mehr oder weniger versteckt – eine Verschlechterung der Vertragsbedingungen unterzubringen. Möglicherweise wird die Vorlage eines neuen Vertrags vom Arbeitgeber begleitet mit Formulierungen
wie „Das ist eine reine Formalie wegen der Gesetzesänderung“ oder „Es hat sich ja inhaltlich nichts geändert, das können Sie ruhig sofort unterschreiben“. Viele Kollegen werden deshalb vermutlich anstandslos unterzeichnen oder haben
dies bereits getan. Erst später merken sie dann, dass sich die Bedingungen für sie verschlechtert haben, können dann aber grundsätzlich nicht mehr viel dagegen tun (siehe Hinweis).

Hinweis Betriebszugehörigkeit

Die Unterzeichnung eines neuen Arbeitsvertrags, der zeitlich direkt an den vorherigen anschließt, hat keine negativen Auswirkungen auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit.

Das kann der Betriebsrat tun

Wenn Ihnen als Betriebsrat zu Ohren kommt, dass Ihr Arbeitgeber möglicherweise versucht, das neue Nachweisgesetz zu missbrauchen, sollten Sie sofort aktiv werden: Zum einen ist es notwendig, das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen und ihn aufzufordern, diese Praxis unverzüglich einzustellen. Zum anderen sollten Sie die Kollegen umgehend über das Verhalten der Geschäftsleitung informieren und ihnen raten, unter keinen Umständen einen ihnen vorgelegten Vertrag zu unterschreiben (siehe Praxistipp).

Praxistipp: Als Betriebsrat informieren

Nutzen Sie mehrere Kanäle der Öffentlichkeitsarbeit – insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber den Abschluss neuer Arbeitsverträge massiv vorantreibt. Verteilen Sie Flyer, machen Sie Betriebsrundgänge, Aushänge am Schwarzen Brett oder schreiben Sie E-Mails, um sicherzustellen, dass so viele Kollegen wie möglich so schnell wie möglich vom Verhalten der Geschäftsleitung erfahren.

Das können Arbeitnehmer tun

Arbeitnehmer sollten sowieso keinesfalls einen ihnen vorgelegten Arbeitsvertrag ungeprüft unterschreiben. Es ist ratsam, sich Zeit zu nehmen, um sich alles genau durchzulesen und den Entwurf im Zweifel einem Anwalt vorzulegen.  Unterschreiben sollten sie nur, wenn der Inhalt in Ordnung ist. Das gilt auch für den Fall, dass sie selbst Interesse an einem neuen Vertrag haben, etwa als Nachfolgevertrag bei einer Befristung. Haben Beschäftigte den geänderten Vertrag bereits unterschrieben, besteht unter Umständen die Möglichkeit, rechtlich gegen einige verschlechterte Bestimmungen
vorzugehen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Klauseln den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen oder sich versteckte Formulierungen finden, mit denen der Betroffene so nicht zu rechnen brauchte.

Autor*in: Silke Rohde (ist Rechtsanwältin & Journalistin sowie Chefredakteurin des Fachmagazins Betriebsrat KOMPAKT.)