09.05.2014

Videoüberwachung einer kranken Sekretärin

Eine Sekretärin lässt sich kurz nach einem Streit mit dem Chef krankschreiben. Der glaubt, dass sie simuliert. Nach gut sechs Wochen Krankheit lässt er sie durch einen Detektiv mit der Videokamera beobachten – vor ihrem Haus, in einem Waschsalon, auf der Straße. Schließlich kündigt er ihr sogar. Sie verlangt Schmerzensgeld wegen der Beobachtung durch den Detektiv. Die Kündigung akzeptiert sie natürlich auch nicht. Lesen Sie, wie unterschiedlich die verschiedenen Gerichtsinstanzen den Fall beurteilt haben.

Videoüberwachung einer kranken Sekretärin

Kurz vor Weihnachten, am 12. Dezember 2011, war es mit dem vorfestlichen Frieden im Büro vorbei. Zwischen der Sekretärin der Geschäftsleitung, die erst seit dem 1. Mai 2011 im Unternehmen beschäftigt war, und dem Geschäftsführer kam es zum Knatsch.

Worum es genau ging, ist umstritten. Jedenfalls hatte es etwas mit der Vorlage von Produktunterlagen zu tun, und entweder machte die Sekretärin das nach Meinung des Chefs zu langsam, nicht richtig oder auch beides. Die nächsten Tage herrschte dann zumindest äußerlich wieder Ruhe.

Krankschreibung nach einem Streit mit dem Chef

Ab dem 27. Dezember 2011 war die Sekretärin krankgeschrieben. Für den Zeitraum bis zum 28. Februar 2012 legte sie insgesamt sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die jeweils direkt aneinander anschlossen. Dies machte den Geschäftsführer misstrauisch, zumal die ersten vier Bescheinigungen von einem Allgemeinmediziner stammten, die letzten beiden dagegen von einer Fachärztin für Orthopädie. Das hielt er für ein verdächtiges „Ärztehopping“.

Der Chef beauftragt einen Detektiv

Um der Sache auf den Grund zu gehen, beauftragte der Geschäftsführer einen Detektiv. Der observierte die Sekretärin an vier Tagen, nämlich am 16. Februar, 17. Februar, 23. Februar und 24. Februar 2012. Am 17. Februar beobachtete der Detektiv die Sekretärin vor ihrem Wohnhaus. Am 24. Februar observierte er sie vor und in einem Waschsalon. Auf Videoaufnahmen ist festgehalten, dass sie unter anderem gefüllte Wäschekörbe und Wäschesäcke zwischen ihrem Auto und der Waschmaschine hin und her trug.

Schließlich kündigt er der Sekretärin

Nach diesen Beobachtungen war sich der Geschäftsführer sicher, dass die Sekretärin nur simuliert. Mit Schreiben vom 28. Februar 2012 kündigte er das Arbeitsverhältnis deshalb fristlos und hilfsweise auch noch fristgerecht.

Die Kündigungen sind unwirksam

Gegen diese Kündigungen wehrt sich die Sekretärin. Außerdem verlangt sie Schmerzensgeld wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts durch die heimlichen Aufnahmen.

Das Arbeitsgericht hielt sowohl die fristlose als auch die fristgerechte Kündigung für unwirksam. Die Forderung nach Schmerzensgeld wies es jedoch zurück. Für ein solches Schmerzensgeld sei die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin nicht schwerwiegend genug.

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Weiter gestritten wird um Schmerzensgeld

Der Streit um die Kündigungen war damit erledigt. Der Arbeitgeber nahm hin, dass seine Kündigungen unwirksam waren. Weiterhin gestritten wurde jedoch um das Schmerzensgeld. Die Sekretärin war nicht damit einverstanden, dass das Arbeitsgericht ihre Forderung nach Schmerzensgeld zurückgewiesen hatte, und ging deshalb insoweit in Berufung.

1.000 Euro für die Sekretärin

Das Landesarbeitsgericht ist der Auffassung, dass der Sekretärin ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro zusteht. Die Forderung der Sekretärin, möglichst ein höheres Schmerzensgeld zu erhalten, sei freilich unbegründet.

Zunächst hält das Gericht fest, dass die Bildaufzeichnungen, die der Detektiv im Auftrag des Arbeitgebers vorgenommen hatte, rechtswidrig waren. Dies ergebe sich aus den Vorschriften des BDSG.

Die Aufnahmen verstoßen gegen das BDSG

Auszugehen sei dabei von der Vorschrift des § 32 BDSG, der die Erhebung Verarbeitung und Nutzung von Daten im Arbeitsverhältnis regelt. Für den Fall, dass es um die Aufdeckung von Straftaten geht, lege § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG fest, dass Daten eines Arbeitnehmers nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden dürfen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene Straftaten im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses begangen hat. Die tatsächlichen Anhaltspunkte seien dabei zu dokumentieren.

Diese „tatsächlichen Anhaltspunkte“ müssen dabei nach Auffassung des Gerichts so gewichtig sein, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Erfüllung eines Straftatbestandes gegeben ist. Ein bloßer allgemeiner Verdacht reiche dagegen nicht aus.

Videoaufzeichnungen wiegen dabei besonders schwer

Ferner müsse man berücksichtigen, dass Bildaufnahmen und insbesondere Videoaufzeichnungen einen deutlich schwerwiegenderen Eingriff darstellen als eine einfache Beobachtung durch einen Detektiv. Denn bei der Observation mittels Video würden die Bilder die äußere Erscheinung des Betroffenen gewissermaßen „konservieren“, was bei einer einfachen Beobachtung nicht der Fall sei.

Der Geschäftsführer vermutete Betrug durch simulierte Krankheit

Angewandt auf den konkreten Fall bedeute dies, dass die heimliche Anfertigung von Videoaufnahmen durch den Detektiv nicht durch § 32 BDSG gedeckt gewesen sei. Dem Arbeitgeber sei es um den Vorwurf des Betrugs durch eine vorgetäuschte Krankheit gegangen. Ausreichende Anhaltspunkte für eine solche Straftat habe es jedoch nicht gegeben.

Dafür gab es aber keine echten Anhaltspunkte

Die Sekretärin habe – wie gesetzlich vorgesehen – für den gesamten Zeitraum ihrer Erkrankung ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Ernsthafte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit habe es dabei nicht gegeben. Weder habe die Sekretärin ihre Krankheit angekündigt (etwa im Rahmen des Streits mit dem Geschäftsführer), noch sei sie Tätigkeiten nachgegangen, die mit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit nicht vereinbar gewesen seien. Es sei auch nichts Ungewöhnliches, dass zunächst der Hausarzt eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstelle und danach ein Facharzt. Das habe nichts mit „Ärztehopping“ zu tun, sondern sei vielmehr ein typischer Geschehensablauf bei unklaren Erkrankungen.

Das Persönlichkeitsrecht ist verletzt

Durch die Überwachung, die der Arbeitgeber ohne hinreichende Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung der Sekretärin in Auftrag gegeben habe, sei deren allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt worden. Dabei gelte Folgendes:

  • Die rechtswidrige heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers stellt stets einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar.
  • Eine Überwachung mittels Video weist eine besonders hohe Eingriffsintensität auf.
  • Heimliche Videoaufzeichnungen im privaten Lebensbereich sind so schwerwiegend, dass eine Entschädigung durch ein Schmerzensgeld geboten ist.
  • Hinzu kommt, dass selbst bei einer gerechtfertigten Krankenkontrolle eine Überwachung durch einen Detektiv ohne Videoaufnahmen ausreichend gewesen wäre.

Der Anspruch auf Schmerzensgeld richtet sich gegen den Arbeitgeber. Er hat die Überwachung durch den Detektiv veranlasst und die vom Detektiv erhobenen Daten im Prozess verwendet.

Viele Aspekte sprechen gegen den Arbeitgeber

Aus der Sicht des Gerichts erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro gerechtfertigt, aber auch ausreichend. Dabei berücksichtigt das Gericht folgende Aspekte zulasten des Arbeitnehmers:

  • Unabhängig von den Videoaufnahmen war eine Krankenkontrolle mangels ausreichender Indizien für eine Simulation schon generell nicht gerechtfertigt.
  • Videoaufnahmen sind stets ein ganz erheblicher Eingriff.
  • Hinzu kommt die Heimlichkeit der Videoaufnahmen als für die Arbeitnehmerin besonders belastender Umstand.

Nur wenige Aspekte sprechen zu seinen Gunsten

Als eine Art „mildernde Umstände“ für den Arbeitgeber führt das Gericht folgende Aspekte an:

  • Die Aufnahmen betrafen nicht die Intimsphäre oder die engere Privatsphäre, sondern beschränkten sich auf Geschehnisse im Bereich der Öffentlichkeit (Straße, Waschsalon).
  • Die Aufzeichnungen wurden nicht an beliebige andere Personen weitergegeben, sondern nur an das Gericht.
  • Die von der Klägerin behaupteten psychischen Beeinträchtigungen gingen den Umständen nach nicht nur darauf zurück, dass sie von den heimlichen Aufnahmen erfahren hatte, sondern auch auf die körperliche Erkrankung (Bandscheibenvorfall) und die starke berufliche Belastung.

Unter Abwägung aller Umstände hält das Gericht im Ergebnis ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro für angemessen.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11.7.2013 – 11 Sa 312/13 ist abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/.

Autor*in: Dr. Eugen Ehmann (Dr. Ehmann ist Regierungsvizepräsident von Mittelfranken und ist seit Jahren im Datenschutz aktiv.)