12.03.2021

Mitarbeiter-Bespitzelung: Detektiv-Vertrag gültig oder nicht?

Es gibt Sachverhalte, die hinterlassen nur noch Fassungslosigkeit – sogar bei dem Gericht, das den Fall zu beurteilen hat. Gleichwohl können sie datenschutzrechtlich hochinteressant sein. Das zeigt eine Entscheidung, bei der es um die Observierung von Waldarbeitern durch ein Team von Detektiven geht.

Mitarbeiter-Bespitzelung

Der Oberbürgermeister hat einen Verdacht

Am Anfang stand der Verdacht eines Oberbürgermeisters, dass städtische Waldarbeiter auf eigene Rechnung mit städtischem Holz handeln. Diesem Verdacht wollte der Oberbürgermeister umfassend auf den Grund gehen. Deshalb beauftragte er eine Detektei damit, die aus seiner Sicht verdächtigen Arbeiter zu observieren.

Für einen solchen Vertrag hätte er nach dem Kommunalrecht die Zustimmung des Stadtrats oder zumindest eines Ausschusses des Stadtrats gebraucht. Damit hielt er sich jedoch nicht auf. Er schloss den Vertrag mit der Detektei lieber an den Gremien vorbei.

Eckpunkte des Vertrags mit einer Detektei

Der Inhalt des Vertrags war bemerkenswert und für die Detektei ausgesprochen günstig. Hierzu einige Beispiele aus den vertraglichen Festlegungen:

  • Zeithonorar: 100 € je Stunde, und zwar auch für die Anfahrt und die Abfahrt
  • Erhöhung des Zeithonorars um 50 % für die Zeit zwischen 18 und 8 Uhr
  • dabei volle Berechnung jeder angefangenen Stunde
  • nicht näher erläuterte „individuell vereinbarte besondere Verwaltungs- und Bearbeitungskosten“ von zusätzlich 25 % auf den jeweiligen Rechnungsnettobetrag, mindestens jedoch 500 €.

Die Observation wird sündteuer

Die Observation dauerte vom 2.11.2015 bis zum 18.12.2015. Durchgeführt wurde sie zunächst von zwei Detektiven, seit dem 4.11.2015 dann von drei Detektiven. Dieser Erweiterung des Teams hatte der Oberbürgermeister ausdrücklich zugestimmt.

Es wundert nicht, dass sich auf der Basis der geschilderten Vereinbarungen ein enormer Rechnungsbetrag ergab. Für ihre Tätigkeit fordert die Detektei nicht weniger als 275.762,43 € netto. Zahlungspflichtig hierfür ist laut Vertrag die Stadt, nicht etwa der Oberbürgermeister persönlich.

Die Stadt will vom Vertrag loskommen

Verständlich, dass die Stadt versucht, die Wirksamkeit des Vertrags zu bestreiten. Sie tut dies mit allen möglichen Argumenten. Zwei davon verdienen aus der Sicht von Datenschützern eine nähere Betrachtung.

Wucher oder nicht?

Zunächst argumentiert die Stadt, die Vereinbarung sei als Wucher anzusehen und deshalb unwirksam. Der Tatbestand des Wuchers ergebe sich aus dem offensichtlichen Missverhältnis zwischen der erbrachten Leistung und der dafür angefallenen Vergütung.

Ein deutliches Missverhältnis von Leistung und Vergütung

Dass ein deutliches Missverhältnis zwischen Leistung und Vergütung vorliegt, sieht auch das Gericht so. Es wird dabei sehr deutlich:

  • Mit dem Rechnungsbetrag könnte man bereits ein Einfamilienhaus errichten. Dafür bräuchte man allerdings Fachkräfte wie etwa Architekten, während im Gegensatz dazu ein Detektiv keinerlei qualifizierte Ausbildung nachweisen muss.
  • Dass sich der Oberbürgermeister einer Stadt auf einen solchen Vertrag hat einlassen können, sei „schlechthin unverständlich“.
  • Schon die Höhe der Anreisekosten hätten für jeden wirtschaftlich denkenden Menschen ein Alarmsignal sein müssen. Legt man alle Positionen zugrunde, die dafür nach dem Vertrag berechnet werden können, kostet die bloße Anreise eines einzelnen Detektivs schon 2.700 € netto.

Auch unkluge Verträge sind gültig

Dann aber ruft das Gericht Grundsätze des Vertragsrechts in Erinnerung:

  • Die Vertragsfreiheit gilt auch für Abreden, die einem besonnenen Betrachter wirtschaftlich gänzlich unvernünftig erscheinen.
  • Es ist nicht die Aufgabe des Rechts, einen Vertragspartner vor jeglicher Vereinbarung zu bewahren, die für ihn ungünstig ist.
  • Die Grenze ist erst erreicht, wenn ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt.
  • Davon kann man in der Regel ausgehen, wenn der objektive Wert von Leistung und Gegenleistung um 100 % oder mehr voneinander abweichen.
  • Ob dies der Fall ist, lässt sich vorliegend nicht sagen. Die Stadt hat dazu im Prozess nämlich schlicht nichts vorgetragen.

Mentale „Schwächezustände“ bei einem Oberbürgermeister?

An dieser Stelle könnte das Gericht die Prüfung, ob Wucher vorliegt, eigentlich abschließen. Es legt jedoch noch ein Argument nach, das dem Oberbürgermeister nicht gefallen kann. Beim Wucher muss nämlich zum objektiven Missverhältnis zwischen Leistung und Vergütung noch zusätzlich eine subjektive Komponente hinzukommen.

Sie besteht darin, dass bei demjenigen, der Opfer geworden ist, einer der vier „Schwächezustände“ vorliegen muss, die § 138 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nennt. Er muss

  • entweder geschäftlich unerfahren sein,
  • sich in einer Zwangslage befinden,
  • einen Mangel an Urteilsvermögen zeigen oder
  • eine erhebliche Willensschwäche aufweisen.

Von all dem kann nach Auffassung des Gerichts jedoch keine Rede sein. Vielmehr sei bei einem Oberbürgermeister davon auszugehen, dass er über eine gewisse wirtschaftliche Gewandtheit und über eine gewisse Kompetenz zur Prüfung von Vertragsbedingungen verfüge.

Die datenschutzrechtliche Seite der Observation

Keinen Erfolg hat die Stadt mit dem Argument, der Vertrag verletze das Persönlichkeitsrecht der observierten Mitarbeiter und sei deshalb unwirksam. Nach Auffassung des Gerichts war die Observierung der Mitarbeiter datenschutzrechtlich zulässig.

Datenverarbeitung bei Verdacht auf Straftaten

Rechtsgrundlage für die Observation war zum Zeitpunkt der Beobachtung § 32 Abs. 1 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) in der damaligen Fassung. Er entspricht dem jetzigen § 26 Abs.1 Satz 2 BDSG-neu.

Diese Regelung lautet: „Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten nur dann verarbeitet werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass die betroffene Person im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse der oder des Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.“

Möglicherweise lagen also durchaus Anhaltspunkte für den Verdacht vor, dass die städtischen Waldarbeiter illegal mit städtischem Holz handeln. Leider sagt das Gericht nicht, worin diese Anhaltspunkte bestanden. Es verweist stattdessen auf das Urteil des Landgerichts als vorangehende Instanz. Dort sei zu diesem Punkt das Erforderliche gesagt.

Der Datenschutz schützt Betroffene, nicht Vertragspartner

Aus der Sicht des Gerichts wären das aber alles ohnehin nur Details, die nicht so wichtig sind. Denn selbst wenn ein Verstoß gegen das BDSG vorläge, würde dies nach seiner Auffassung nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags zwischen der Stadt und der Detektei führen.

Hierfür führt das Gericht folgende Argumente an:

  • Das BDSG (hier konkret: damals § 32 BDSG-alt, jetzt § 26 BDSG-neu) regelt, wann eine Datenverarbeitung zulässig ist.
  • Damit enthält es Erlaubnistatbestände für die Verarbeitung von Daten. Es ist jedoch nicht als ein „Verbotsgesetz“ anzusehen, bei dessen Verletzung ein Vertrag unwirksam wäre.
  • Das BDSG dient dem Schutz der betroffenen Personen.
  • Es hat dagegen nicht den Zweck, einen Vertragspartner vor Honoraransprüchen zu bewahren, wenn der von ihm abgeschlossene Vertrag nicht mit dem BDSG zu vereinbaren ist.

Gefahren für Betroffene bei anderer Betrachtung

Jede andere Sichtweise würde den Schutz der betroffenen Personen unzulässig schwächen. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

  • Wäre ein Vertrag über eine rechtswidrige Überwachung unwirksam, dann könnte es derjenige, der die Überwachung in Auftrag gibt, sozusagen erst einmal darauf ankommen lassen.
  • Er könnte die Observation in Auftrag geben. Ergibt sich dann, dass sie das Datenschutzrecht verletzt, könnte er sich deswegen auf die Unwirksamkeit des Vertrags berufen. Seine Vergütungspflicht würde dann entfallen.
  • Im Ergebnis würde dies darauf hinauslaufen, dass er zulasten der Betroffenen ausreizen kann, was datenschutzrechtlich gerade noch geht. Wird die Grenze des noch Zulässigen überschritten, geschähe dies für den Auftraggeber ohne wirtschaftliches Risiko.
  • Dies würde einen Anreiz bieten, stets bis an die Grenze des datenschutzrechtlich noch Zulässigen zu gehen.
  • Das würde den Schutz der Betroffenen schwächen, nicht stärken.

Quelle: Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7.5.2020 – 10 U 178/19. Die sehr umfangreiche Entscheidung besteht aus 117 Randnummern (Rn). Die Ausführungen zu der Frage, ob das BDSG als Verbotsgesetz anzusehen ist, finden sich in den Rn 46 und 47.

Autor*in: Dr. Eugen Ehmann (Dr. Ehmann ist Regierungsvizepräsident von Mittelfranken und ist seit Jahren im Datenschutz aktiv.)