11.05.2023

So können Tarifnormen Vertragsbestandteil werden

Tarifverträge sorgen für einheitliche Arbeitsbedingungen. Diesen Effekt erzielen Sie als Unternehmen jedoch nicht nur durch eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband, sondern auch durch vertragliche Verweisung auf die Tarifverträge. Das dient der Gleichstellung Ihrer Arbeitnehmer.

Tarifnormen

Wann gelten Tarifverträge für Sie als Unternehmen?

Ursprünglich unter folgenden Voraussetzungen:

  • Sie als Arbeitgeber sind Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes und
  • Ihre Arbeitnehmer sind Mitglieder der entsprechenden Gewerkschaft
  • oder sie wurden für allgemeinverbindlich erklärt.

Abgeleitet können Tarifverträge aber auch durch eine Gleichstellungsabrede zur Geltung kommen. In diesem Fall nehmen Sie in einem Arbeitsvertrag Bezug auf sie. Durch die vertragliche Verweisung auf die geltenden Tarifverträge stellen Sie als tarifgebundener Arbeitgeber nicht tarifgebundene Arbeitnehmer mit tarifgebundenen gleich. Dabei darf in Ihrem Vertrag der Gleichstellungshinweis nicht fehlen.

Wann darf der Gleichstellungshinweis nicht fehlen?

Es könnte ja sein, dass Ihr Unternehmen einmal aus Ihrem Verband austritt. Deswegen weisen Sie ausdrücklich in Ihrem Vertrag darauf hin, wenn die Bezugnahme darin auf Tarifverträge nur den Zweck der Gleichstellung erfüllen soll. Tun Sie das nicht, hat dies bei einem Verbandsaustritt zur Folge, dass Ihr Arbeitnehmer sich in der Zukunft auf alle Änderungstarifverträge berufen und insbesondere weiterhin tarifliche Lohnerhöhungen verlangen kann.

Welche Wirkung hat dies für Ihre Praxis als Arbeitgeber und Unternehmen?

Verschiedenartige je nach Bezugnahmeklausel:

  • statische Bezugnahmeklausel: bezieht sich auf konkrete Tarifverträge jeweils in einer bestimmten Fassung.Ihr Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf Weitergabe künftiger Tarifänderungen.
  • Kleine dynamische Bezugnahmeklausel: bezieht sich auch auf bestimmte, konkret bezeichnete Tarifverträge, an die Sie als Arbeitgeber derzeit gebunden sind. Diese sollen jedoch in der jeweils geltenden Fassung angewendet werden, d. h., die Bezugnahme umfasst künftige Änderungen der Tarifverträge. Diese Abrede bezweckt die Gleichstellung nicht organisierter mit organisierten Arbeitnehmern und gilt, weil und solange der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Endet Ihre Tarifbindung als Arbeitgeber oder geht Ihr Betrieb durch Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber über, finden auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen der in Bezug genommenen Tarifverträge mit dem Inhalt Anwendung, den sie bei Ende der Tarifbindung des Arbeitgebers haben, soweit sie nicht durch andere Abmachungen ersetzt werden.
  • Große dynamische Bezugnahme- oder Tarifwechselklausel: soll Fälle mit erfassen, wenn sich die auf Ihren Betrieb und auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge insgesamt ändern, z. B. durch eine Änderung der Branchenzugehörigkeit Ihres Betriebes. Diese Abrede bezweckt die Gleichstellung nicht organisierter mit organisierten Arbeitnehmern und gilt, weil und solange der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Endet Ihre Tarifbindung als Arbeitgeber oder geht Ihr Betrieb durch Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber über, finden auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen der in Bezug genommenen Tarifverträge mit dem Inhalt Anwendung, den sie bei Ende der Tarifbindung des Arbeitgebers haben, soweit sie nicht durch andere Abmachungen ersetzt werden.

Wir haben Musterformulierungen „Statische Bezugnahmeklausel“, „Kleine dynamische Bezugnahmeklausel“ und „Große dynamische Bezugnahmeklausel (Tarifwechselklausel)“ für Sie im Downloadbereich unter www.personal-tipp.de bereitgestellt.

Reicht in einer Bezugnahmeklausel der Hinweis „verbindlich“?

Ja, machen Sie als tarifgebundener Arbeitgeber in einer von Ihnen formulierten Bezugnahmeklausel die Anwendbarkeit tariflicher Bestimmungen ausdrücklich davon abhängig, dass diese für ihn „verbindlich“ sind, bringen Sie damit in der Regel mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, dass Sie mit der Klausel nur die Gleichstellung nicht tarifgebundener Arbeitnehmer mit Gewerkschaftsmitgliedern bezwecken. Sie brauchen dann auch die Vorschriften des Tarifvertragsgesetzes (TVG) zur Tarifbindung des Arbeitgebers nicht zu nennen. Das Bundesarbeitsgericht hat 2017 dazu eine Entscheidung gefällt (BAG, Urteil vom 5.7.2017 – 4 AZR 867/16).

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Worum ging es in dem Urteil?

Um eine Arbeitnehmerin, die kein Gewerkschaftsmitglied war. Sie verwies auf die in ihrem Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahmeklausel. Danach sollten bestimmte Tarifverträge in ihren jeweiligen und somit auch künftigen Fassungen auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sein. Sie wollte die Klausel also als kleine dynamische Bezugnahmeklausel ausgelegt wissen. Die 1992 in einem vorformulierten Arbeitsvertrag vereinbarte Klausel lautete: „Es gelten die Bestimmungen der für den Einsatzort einschlägigen Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel – soweit sie für H verbindlich sind – sowie etwaige Betriebsvereinbarungen/-ordnungen in ihrer jeweils geltenden Fassung.“

Die Klausel blieb durch Änderungsverträge aus den Jahren 2002 und 2006 unverändert. Diese betrafen andere Arbeitsbedingungen. Am ihrem Ende hieß es jeweils: „Alle übrigen Punkte behalten weiterhin ihre Gültigkeit.“ Hierauf gestützt, verlangte die Arbeitnehmerin die sich mit jeder Fassung der Tarifverträge erhöhende Vergütung. Die ab dem Jahr 2013 vereinbarten Tarifänderungen und damit vor allem die Tariferhöhungen gewährte die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin nicht.

Wie sah die beklagte Arbeitgeberin die Sache?

Sie stellte sich demgegenüber auf den Standpunkt, dass die Tarifverträge nur noch statisch weitergalten. Sie war nicht im Arbeitgeberverband. Schon ihre Rechtsvorgängerin war Ende 2011 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten. Die Arbeitsvertragsklausel aus dem Jahr 1992 zur Anwendung der Tarifverträge sei eine Gleichstellungsabrede, die lediglich den Zweck hatte, Nicht-Gewerkschaftsmitglieder mit Gewerkschaftsmitgliedern gleichzustellen.

Der Gleichstellungszweck ergebe sich bereits hinreichend deutlich aus dem Wortlaut der Klausel. Diese rechtliche Einordnung habe sich durch die Vereinbarungen in den Jahren 2002 und 2006 nicht verändert. Aufgrund des Austritts der Rechtsvorgängerin aus dem Arbeitgeberverband, jedenfalls aber mit dem Betriebsübergang auf die Arbeitgeberin habe die Dynamik und damit die Geltung der Bezugnahmeklausel geendet.

Wie bewertet das BAG derartige Angelegenheiten?

In der Tat nicht konsequent. Nach seiner früheren Rechtsprechung zur Vermutungsregel waren solche in vorformulierten Arbeitsverträgen enthaltene dynamische Bezugnahmeklauseln regelmäßig als Gleichstellungsabrede auszulegen, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses tarifgebunden war und es sich um einschlägige Tarifverträge handelte (vgl. etwa BAG, Urteil vom 26.9.2001 – 4 AZR 544/00).

Diese Rechtsprechung hat das BAG jedoch für ab dem 1.1.2002 vereinbarte Bezugnahmeklauseln, also für Neuverträge, aufgegeben (BAG, Urteil vom 18.4.2007 – 4 AZR 652/05). Eine solche Bezugnahmeklausel ist demnach jedenfalls dann eine konstitutive, d.h. von einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers oder einen sonstigen Wegfall seiner Tarifgebundenheit nicht berührte Verweisungsklausel, wenn die Vereinbarung eine Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an den im Arbeitsvertrag genannten Tarifvertrag nicht in einer für den Arbeitnehmer erkennbaren Weise zur auflösenden Bedingung, also eine unbedingte zeitdynamische Verweisung macht.

Gilt das auch für Altverträge?

Nein, nur noch für vor dem 1.1.2002 vereinbarte Bezugnahmeklauseln, also Altverträge, gilt die alte Rechtsprechung, es sei denn, die Klausel wurde nach dem 31.12.2001 geändert. Dies ist nach der Rechtsprechung des BAG dann der Fall, wenn die Bezugnahmeklausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist (BAG, Urteil vom 18.11.2009 – 4 AZR 514/08). Insoweit hindert aber bereits eine vertragliche Erklärung, nach der „weitere Paragraphen des (bisherigen) Arbeitsvertrages … unberührt bleiben”, in der Regel die Annahme eines Altvertrags (BAG, Urteil vom 7.12.2016 – 4 AZR 414/14).

Hätte man demnach im vorliegenden Fall einen Altvertrag annehmen können?

Nein, ein solcher Altvertrag, der nach der von der früheren Rechtsprechung des BAG angewandten Vermutungsregel als Gleichstellungsabrede hätte ausgelegt werden können. Denn in den Änderungsverträgen aus den Jahren 2002 und 2006 hieß es jeweils: „Alle übrigen Punkte behalten weiterhin ihre Gültigkeit.“ Hierauf kam es dem BAG aber nicht an. Die Auslegungsgrundsätze bei Neuverträgen würden vorliegend zum Ergebnis führen, dass die Parteien eine ausdrückliche Gleichstellungsabrede vereinbart hätten. Dies sei auch bei Neuverträgen anzunehmen, wenn bereits im Wortlaut der Klausel mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck komme, dass die Anwendung der Tarifverträge von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängig sei. Im Wortlaut komme der Gleichstellungszweck jedenfalls dann ausreichend zum Ausdruck, wenn die einschlägigen Gesetzesvorschriften in die Bezugnahmeklausel aufgenommen würden.

Hätte die Arbeitgeberin die Normen des TVG zur Tarifbindung aufnehmen müssen?

Nein, das sei für die Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede nicht zwingend erforderlich. Entscheidend sei vielmehr, ob der Arbeitgeber, der die Klausel vorformuliert habe, den Zweck und die Folgen der Regelung ausreichend zum Ausdruck bringe. Mit dem Vorbehalt „soweit sie für den Arbeitgeber verbindlich sind“ mache die vorliegende Klausel die Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin an den in Bezug genommenen Tarifvertrag in hinreichend erkennbarer Weise zur auflösenden Bedingung der Vereinbarung, auch wenn die Folgen der Beendigung der Tarifbindung in der Klausel nicht ausdrücklich beschrieben würden.

Aber der Begriff „tarifgebunden“ steht nicht in der Vereinbarung?

Dafür aber das Wort „verbindlich“. Es bringe zum Ausdruck, dass eine Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin im Sinne des TVG Voraussetzung für die Anwendung der Tarifverträge sein solle. Für die Anwendung der Zweifelsfallregelung des § 305c Abs. 2 BGB sah das BAG keinen Raum. Diese setze voraus, dass die Auslegung nach den einschlägigen Auslegungsregeln zu nicht behebbaren Zweifeln führe. Dies sei hier auch deshalb nicht der Fall, weil es an einer ernsthaft in Betracht kommenden anderen Bedeutung der Klausel fehle.

Autor*in: Franz Höllriegel