Kleine Kassenmängel berechtigen nicht zur Hinzuschätzung
Aus einer Mücke einen Elefanten machen? Ein Heimspiel für uns Journalisten – aber für einen Außenprüfer des Finanzamts? Das sprengte denn doch die Vorstellungskraft des Finanzgerichts (FG) Münster. Es entschied gegen ein zu große Hinzuschätzung bei einem Imbissbetrieb.

Wie kommt es überhaupt zu einer Schätzung bei einer Betriebsprüfung?
Pflichtgemäß sind die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn:
- Steuergrundlagen nicht ermittelt werden können
- der Ermittlungsaufwand zu hoch ist.
Damit will der Gesetzgeber eine gleichmäßige Steuererhebung gewährleisten. Deshalb hat er in § 162 Abgabenordnung (AO) eine entsprechende Regelung getroffen, die unter den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff, GoBD) und Kassenregelungen eine für den Steuerpflichtigen bittere Blütezeit erlebt.
Dabei schätzt der Betriebsprüfer:
- Besteuerungsgrundlagen und
- nicht die Steuer selbst.
Der Betriebsprüfer schätzt also
- die Betriebseinnahmen und/oder -ausgaben,
- aber nicht die im Ergebnis daraus resultierende Steuer.
So zumindest die Theorie in der AO. In der Praxis, d.h. während der Verhandlung mit dem Betriebsprüfer und seinem Sachgebietsleiter, geht es dagegen im Regelfall überwiegend um die nachzuzahlende Steuer, die Sie als Steuerpflichtiger inklusive oder exklusive Nachzahlungszinsen treffen soll. Da sich diese nachzuzahlende Steuer aus den Betriebseinnahmen oder -ausgaben ableitet, dürfte das Vorgehen nicht zu beanstanden sein.
Wie groß ist der Schätzungsrahmen für den Prüfer?
Er beschreibt die Schwankungsbreite der Schätzung, die noch zulässig ist. In den Betriebsprüfungen ist damit ein Verhandlungsspielraum gegeben, den der Steuerpflichtige nutzen muss, um mögliche Zuschätzungen zu minimieren. So führen beispielsweise unterschiedliche Kalkulationsmethoden zu unterschiedlichen Mehrumsätzen.
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Wenn der Prüfer sowieso schätzt – müssen Sie als steuerpflichtiges Unternehmen dann noch etwas dazu tun?
Ja, auf jeden Fall. „Soll das Finanzamt doch ermitteln, schließlich steht es so im Gesetz“, das hört man in den Betriebsprüfungen zwar immer wieder. Und so ganz unrecht hat man damit tatsächlich nicht. § 88 Abgabenordnung sieht vor: „Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.“ Die Schätzungen sollen die Besteuerungsgrundlagen bestmöglich „treffen“. Schätzungen sind deshalb weder Strafe noch Zwangsmittel, um die Mitwirkung des Steuerpflichtigen zu erzielen. Der Schätzrahmen des Prüfers ist gleichwohl unangenehm groß.
Aber Sie als Steuerpflichtiger haben Pflichten, wie z.B.:
- Belegsammlung,
- ordnungsgemäße Buchführung,
- revisionssichere Archivierung von Daten
Wenn Sie diesen Pflichten nicht nachkommen, kann es sich die Finanzbehörde einfacher machen und die Fehler gegen den Steuerpflichtigen auslegen. Eingeschränkt wird dieses Recht nur durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Grundsatz der Zumutbarkeit.
Können Sie als steuerpflichtiges Unternehmen eine Schätzung angreifen?
Ja, das können Sie. Sind Schätzungen wirtschaftlich überhaupt nicht möglich oder unschlüssig in der Herleitung, haben Sie als steuerpflichtiges Unternehmen gute Chancen, solche Schätzungen vor Gericht oder im Einspruchsverfahren anzugreifen. Hin und wieder drohen Prüfer mit höheren Schätzungen, wenn ein Zwischenergebnis nicht akzeptiert wird. Dann handelt es sich (mindestens) um „Strafschätzungen“, die unzulässig sind. Ihrem Einspruch gegen eine Schätzung legen Sie Belege Ihrer Betriebseinnahmen und -ausgaben bei. Der schätzende Betriebsprüfer hat ansonsten einen sehr großen Spielraum für seine Schätzung.
Dazu folgendes Beispiel: Der Betriebsprüfer schätzt Ihre Betriebseinnahmen auf 200.000 Euro, die Betriebsausgaben auf 80.000 Euro. Legen Sie nun Einspruch ein, machen Sie sowohl die Betriebseinnahmen als auch die Betriebsausgaben zumindest plausibel, um überhaupt Erfolg zu haben. Selbst wenn Sie darlegen, dass die Einnahmen nur 180.000 Euro betragen haben, wird sich ein Richter nicht auf eine Änderung des Steuerbescheids einlassen, wenn Sie nicht gleichzeitig die Betriebsausgaben plausibel machen; denn hier könnte der Betriebsprüfer ja versehentlich ebenfalls 20.000 Euro zu viel geschätzt haben.
Wieso kam es zu der Hinzuschätzung in dem Fall beim FG Münster?
Bei der Prüfung des griechischen Imbissbetriebes entdeckte der Außenprüfer des Finanzamtes Kassenmängel, allerdings nur kleinere. Die Betreiberin des Imbisses ermittelte die Gewinne in den Streitjahren 2012 bis 2014 durch Einnahmenüberschussrechnung. Die Gewinne für die Streitjahre bezifferte sie mit jeweils rund 30.000 Euro. Die Bareinnahmen erfasste sie mit einer elektronischen Registrierkasse. Darin bewahrte die Imbissinhaberin auch die Bonrollen. Der Prüfer kontrollierte bei einer Betriebsprüfung nun Geldverkehrsrechnungen. Hierbei stellte er nur geringfügige Unterdeckungen fest. Des Weiteren bemängelte der Prüfer unter anderem:
- die fehlende Erfassung einer Getränkepfandgelderstattung von 11,94 Euro im Kassenbericht und in der Gewinnermittlung
- die Nichterfassung einer weiteren Getränkepfandgelderstattung von 11,94 Euro im und eines Außerhausverkaufs von 10,70 Euro, also insgesamt 22,64 Euro
- die Erfassung eines Bratwurstverkaufs erst am folgenden Tag in den Bons
- die Nichterfassung von vier Außerhausverkäufen, wobei die Betreiberin den Rechenfehler nach Ansicht des Prüfers hätte bemerken müssen
- die Erfassung des Einkaufs einer Küchenmaschine als Barausgabe im Kassenbericht, obwohl diese unbar mittels PayPal bezahlt wurde.
Insgesamt beliefen sich diese Beträge auf insgesamt unter 100 Euro – erfasst in der Barkasse
- an insgesamt fünf Tagen
- während des Prüfungszeitraums von drei Jahren.
- Zudem waren an neun weiteren Tagen Kassenbewegungen um ein bis wenige Tage verspätet in der Barkasse erfasst worden.
Was folgerte der Prüfer daraus?
Er nahm eine Ausbeutekalkulation für einen Teil des Warensortiments der Betreiberin vor. Ansonsten schätzte er anhand der amtlichen Rohgewinnaufschlagsätze. Er befand:
- die Aufzeichnungen seien nicht ordnungsgemäß,
- es habe eine Schätzungsbefugnis bestanden.
Folge daraus war ungefähr eine Verdreifachung der erklärten Gewinne. Im Einzelnen ergaben sich für den Prüfungszeitraum 2012
- gewinnwirksame Feststellungen in Höhe von 11,94 €
- gegenüber Mehrbetriebseinnahmen ausweislich der Betriebsprüfung von 55.736,81 Euro,
- für 2013 Feststellungen von 22,64 Euro gegenüber Mehreinnahmen von 60.952,98 Euro und
- für 2014 Feststellungen von 59,15 Euro gegenüber Mehreinnahmen von 46.557,99 Euro.
Wie nahm die Betreiberin das Prüfergebnis auf?
Sie klagte dagegen.
Und wie das FG Münster?
Es gab der Klage überwiegend statt und beschränkte die Hinzuschätzungen auf die knapp 100 Euro, die in der Barkasse nicht erfasst waren. Die geringe Anzahl der Mängel und der geringe Betrag stünden nicht im Verhältnis zu den gesamten Geschäftsvorfällen, die das Finanzamt selbst mit 25.000 bis 30.000 pro Jahr geschätzt habe (FG Münster, Urteil vom 09.03.2021, Az.: 1 K 3085/17). Zunächst hat das FG auf das Missverhältnis zwischen den von Finanzamt festgestellten Mängeln und dessen Hinzuschätzungen abgestellt, wobei das Gericht sehr deutlich wurde:
„Die […] beanstandeten Geschäftsvorfälle fallen weder im Vergleich zur Gesamtheit der im Betrieb der Klägerin anfallenden Geschäftsvorfälle, die der Beklagte selbst auf 25.000 bis 30.000 pro Jahr schätzt, noch angesichts ihrer Gewinnwirksamkeit ins Gewicht.“
Dabei hat das Gericht auch berücksichtigt, dass eine aufgrund der Mängel möglicherweise nicht gegebene Kassensturzfähigkeit sich nur auf kurze Zeiträume beschränkte.
Auch aus weiteren Gründen sah das Gericht keinen Grund, die sachliche Richtigkeit der Aufzeichnungen der Betreiberin zu bezweifeln. Denn ihre zugrunde gelegten Ergebnisse bewegten sich innerhalb der amtlichen Richtsätze. Ferner genüge die vom Prüfer durchgeführte Ausbeutekalkulation (Ausbeute aus dem Wareneinsatz) nicht, um die sachliche Richtigkeit der überwiegend formell ordnungsgemäßen Aufzeichnungen zu widerlegen. Eine solche Kalkulation unterläge hohen Anforderungen. Im Entscheidungsfall bestünden bereits bei den vom Prüfer unterstellten Portionsgrößen der verkauften Speisen erhebliche Unsicherheiten. Der Prüfer habe keine repräsentativen Testkäufe durchgeführt, sondern nur aufgrund zweifelhafter Erfahrungswerte geschätzt. Außerdem seien nicht alle Warengruppen kalkuliert worden, womit es sich teilweise um eine Richtsatzschätzung handele.
Was folgt daraus für Ihre Praxis als GmbH?
Gerade wenn bei Ihnen als steuerpflichtige GmbH das Finanzamt trotz überwiegender sachlicher Richtigkeit der Aufzeichnungen zu unverhältnismäßigen Hinzuschätzungen kommt, sollten Sie sich dagegen rechtlich zur Wehr setzen. Hinzu kommt, dass das Finanzamt nicht schätzen darf, wenn Sie einen Betrieb mit Einnahmenüberschussrechnung und Unschärfen bei der Warenverarbeitung haben wie
- einen Imbiss,
- einen gastronomischen Betrieb,
- eine Bäckerei oder
- eine Metzgerei.
Vor allem: achten Sie unbedingt auf eine einwandfrei funktionierende Technik Ihrer Kassen. Es kann nämlich sonst schnell der Verdacht auftauchen, Sie wollten manipulieren. Jahr für Jahr nimmt der Staat zu wenig ein. Ein Grund: Unternehmen betrügen mit manipulierten Kassen. Zehn Milliarden Euro sollen so dem Finanzamt jährlich entgehen. Der Bundesrat will Kassen der Unternehmen besser überwachen. Sie sollen dafür neue Technik anschaffen. Mehr dazu lesen Sie in unserem Beitrag „Steuerbetrug mit manipulierten Kassenaufzeichnungen“. Generell stellen die Prüfer an die Verbuchung von Bareinnahmen und -ausgaben hohe Anforderungen. Decken sie dabei Kassenfehlbeträge auf, können sie die gesamte Buchführung verwerfen, sozusagen der Super-Gau einer Betriebsprüfung. Lesen Sie hierzu auch unseren Beitrag „Unternehmen dokumentieren Bargeschäfte prüfungssicher“ aus dem Jahre 2016, der nichts an seiner Aktualität eingebüßt hat. Noch ein Tipp: Ihr Kassensystem: System, Typ, Hersteller? Hätten Sie’s gewusst? Nein? Das sollten Sie aber. Genauso wie welche anderen Geräte mit ihm zusammenarbeiten und welche Personen sie bedienen. So etwas möchte das Finanzamt wissen. Ihre Verfahrensdoku sollten Sie also topfit halten. Alles Wissenswerte hierzu finden Sie in unserem Beitrag „Die Verfahrensdokumentation – lästig, aber Pflicht“.
Selbst bei sehr hohen Zuschätzungen bleibt ein daraus hergeleiteter Steuerbescheid zunächst gültig. Eine Nichtigkeit, d.h. der Steuerbescheid ist trotz Zusendung an den Steuerpflichtigen so zu behandeln, als wäre er nicht existent, liegt nur in den allerseltensten Fällen vor. Es bleibt deshalb dabei, dass Sie gegen jeden Steuerbescheid, der eine – aus Ihrer Sicht – unzulässig hohe Schätzung enthält, Einspruch einlegen müssen.
Was sind typische Fallstricke bei der Kassenführung?
Sie sind vielfältig. Das wissen die Prüfer des Finanzamts. Sie schauen besonders kritisch hin, gerade wenn Sie einen bargeldintensiven Betrieb haben. Fehler hier wirken sich für Sie als bargeldintensiver Betrieb verhängnisvoll aus, wie Sie in unserem Beitrag „Gut vorbereitet in die Kassenprüfung“ erfahren.