17.05.2019

Zertifizierung: Was bringen ISO-9001-Zertifikate noch?

Die Diskussionen um die Praxis der Auditierung und Zertifizierung von Managementsystemen reißt nicht ab. Berichte über Auditoren, die nicht erschienen sind, Geschäftsführer, die den Auditor noch nie gesehen haben, oder Auditoren, die im Audit eingeschlafen sind, führen zu Unmut bei Qualitätern und Beratern. Macht ein Zertifikat da überhaupt noch Sinn?

Zukunft der ISO-9001-Zertifizierung

Mehr Schärfe angekündigt

Noch auf dem Deutschen Qualitätsmanagementkongress 2015 hat ein namhafter deutscher Zertifizierer angekündigt, dass künftig „schärfer“ zertifiziert wird. Als Beispiele wurden die deutlich längere Auditzeit bei der obersten Leitung sowie die konsequentere Einstufung von ehemaligen Verbesserungspotentialen in Nebenabweichungen benannt. Das sollte schließlich für mehr Ernsthaftigkeit beim Thema QM führen. Doch was hat sich tatsächlich geändert?

Unabhängigkeit versus Kundenorientierung

An dieser Stelle muss man sich schon wieder die Frage stellen, inwieweit ein Lieferant einen Kunden objektiv bewerten kann, wenn dessen Geschäft unter einem schlechten Auditergebnis leidet. Die Praxis zeigt es deutlich.

Erfahrungsbericht

Ich habe in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Audits begleitet und auch viele Rückmeldungen von Seminarteilnehmern und Kunden erhalten. Eines jedoch habe ich nicht gehört. Und zwar, dass die oberste Leitung nun deutlich mehr in die Verantwortung genommen wird. Im Gegenteil, mir wurde von Audits berichtet, bei denen die Geschäftsleitung noch nicht einmal anwesend war. Ich selbst kann dies von meinen Kunden bestätigen. Wie aber bitte ist das mit der ISO 9001 zu vereinbaren? Welchen Sinn macht ein ISO-Zertifizierung dann noch? Was sind ISO-9001-Zertfikate wert?

Wenn ich die Auditberichte meiner Kunden lese, fallen mir reihenweise Punkte auf, bei denen ganz klar eine Normforderung nicht erfüllt wurde, die aber lediglich als Verbesserungspotenzial seitens der Zertifizierungsauditoren deklariert wurden. Und ich selbst musste schon einmal um die Anerkennung einer Hauptabweichung kämpfen, da sonst das QM-System ad absurdum geführt worden wäre. Aber wie kann das sein?

Folgen fürs Unternehmen

Für das einzelne Unternehmen hat eine solche Zertifizierungspraxis enorme Auswirkungen. Zum einen ist ein solches Audit sein Geld nicht wert, denn immerhin sollen dem Unternehmen Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Viel schlimmer ist aber, dass der oder die eigenen Qualitätsverantwortlichen dadurch demontiert werden. Denn wie soll ein Qualitäter das System mit Hilfe seiner Kollegen verbessern, wenn es das Zertifikat so ganz ohne Auflagen gegeben hat. Ein Mitarbeiter hat es einmal auf den Punkt gebracht, indem er zum QMB sagte „Was willst du denn jetzt noch ändern? Wir haben das Zertifikat an der Wand, dann ist doch auch mal gut. Wir haben genug anderes zu tun.“ Aber wer kann es ihm verdenken? Sind doch heute in der Tat die meisten Mitarbeiter extrem eingespannt.

Der große Kontext

Sehen wir das Ganze doch auch einmal global. Welche Auswirkung hat diese Zertifizierungspraxis dann? Immer mehr Kunden vertrauen nicht dem Zertifikat und kündigen sich selbst zum Audit an. Also genau das, was man mit der „neutralen“ Überprüfung abschaffen wollte, wird wieder gemacht. Und die Zahl der Kundenaudits steigt weiter.

ISO Survey liefert den Beweis

Der letzte ISO Survey liefert Zahlen. Die Anzahl der ISO-9001-Zertifikate ist weltweit um ca. 4 % gesunken auf 1.058.504 Zertifikate. Auch wenn die ISO als Grund dafür eine veränderte Datenerfassung sieht, ist es Fakt, dass alleine in Deutschland seit 2000 acht Mal die Zertifikatszahlen im Folgejahr gesunken sind. Und das passiert doch nicht ohne Grund.

Fazit

Stellen Sie sich doch einmal kritisch die Frage, was Sie von Ihrem Zertifizierer erwarten. Wenn es das unkomplizierte und unkritische Zertifikat an der Wand ist, tragen vielleicht auch Sie zum Wertverlust der ISO-9001-Zertifikate bei. Schaffen Sie durch interne und externe Audits einen Mehrwert für Ihr Unternehmen und wählen Sie die Auditoren mit Bedacht aus. Dann ist zumindest Ihr ISO-9001-Zertifikat das Geld wert!

Autor*in: Stefanie Gertz