21.03.2018

Pflicht zur Obdachlosenunterbringung trotz etwaiger Ausreiseverpflichtung

Dem Unterbringungsbegehren eines (unfreiwillig) Obdachlosen kann nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden, weil sein aufenthaltsrechtlicher Status ungesichert ist, und es ist auch nicht Aufgabe der allgemeinen Sicherheitsbehörde, etwaige Ausreiseverpflichtungen durch Vorenthaltung einer menschenwürdigen Unterkunft faktisch durchzusetzen (VGH München, Beschluss vom 07.07.2015, Az. 4 CE 15.1275, 4 CE 15.1421).

Obdachlosenunterbringung trotz Ausreiseverpflichtung

Die Kläger begehren die Unterbringung in eine Notunterkunft nach vorübergehender Obdachlosigkeit. Die Behörde lehnte dies ab, da nach ihrer Ansicht mangels einer gesicherten aufenthaltsrechtlichen Position dem Begehren nicht stattzugeben sei (eventuelle Ausreisepflicht).

Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Beschwerdebegehren unter teilweiser Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts stattgegeben.

Entscheidungsgründe

  • Die Beschwerde ist begründet, denn für das von den Antragstellern im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemachte Begehren auf Zuweisung einer Notunterkunft besteht sowohl der erforderliche Anordnungsgrund als auch ein entsprechender Anordnungsanspruch.
  • Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, den Antragstellern zur Behebung ihrer Obdachlosigkeit eine Unterkunft zuzuweisen und zur Verfügung zu stellen.
  • Die Antragsgegnerin hat als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde (Art. 6 LStVG) die Aufgabe der Gefahrenabwehr; hierzu zählt auch die Beseitigung einer bestehenden (unfreiwilligen) Obdachlosigkeit als Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Aus dieser gesetzlichen Verpflichtung ergibt sich ein Anspruch des Obdachlosen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Unterbringung durch die Behörde.
  • Den Antragstellern kann derzeit auch nicht entgegengehalten werden, dass ihnen das Jobcenter vorläufige Regelleistungen sowie Unterkunfts- und Heizungskosten sowie ein Kautionsdarlehen für eine angemessene Unterkunft zu gewähren hat, sodass sie in Zukunft grundsätzlich in der Lage sein müssten, sich selbstständig eine Unterkunft zu besorgen. Denn die genannten Leistungen sind bisher ersichtlich nicht gewährt worden, da der Sozialleistungsträger, wie die Antragsgegnerin selbst vorträgt, gegen den entsprechenden sozialgerichtlichen Beschluss Rechtsmittel einzulegen beabsichtigt.
  • Dem grundsätzlichen Einwand der Antragsgegnerin, das Unterbringungsbegehren der Antragsteller sei mangels einer gesicherten aufenthaltsrechtlichen Position rechtsmissbräuchlich, kann nicht gefolgt werden. Die in der Obdachlosigkeit liegende Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entfällt nicht dadurch, dass der Betroffene sich (möglicherweise) in anderer Hinsicht rechtswidrig verhält.
  • Es ist auch nicht Aufgabe der allgemeinen Sicherheitsbehörde, etwaige Ausreiseverpflichtungen, zu denen bisher nicht einmal entsprechende (vollziehbare) ausländerrechtliche Bescheide vorliegen, durch Vorenthaltung einer menschenwürdigen Unterkunft faktisch durchzusetzen.
Autor*in: Georg Huttner (Oberamtsrat a.D. Georg Huttner ist Autor für die Titel Ordnungsamts- und Gewerbeamtspraxis.)