MES und RFID: Fertigungsprozesse steuern und routen
Wie lässt sich wirtschaftliche Fertigung mit den Bestrebungen von Industrie 4.0 zur Produktion in Losgröße 1 verbinden? Diese Frage ist für viele Unternehmen von eminenter Bedeutung. Denn nicht die Entwicklung neuer Technologien treibt die Industrie 4.0, sondern die Chancen durch diese Technologien zu wirtschaftlichen Vorteilen zu gelangen. Und da eröffnet das Zusammenwirken zwischen dem MES und den RFID-Systemen erhebliche Potenziale.

Material- und Informationsfluss mittels MES und RFID verknüpfen
Einer der wesentlichen Ansätze von Industrie 4.0 zur Fertigungsoptimierung besteht in der Verschmelzung von Material- und Informationsfluss. Das Produkt wird zum Träger seiner eigenen Informationen.
In dieses Produkt ist der Arbeitsplan integriert. Auf ihm sind abgespeichert, welche Fertigungsschritte mit welchen Parametern bereits vollzogen wurden und welche Schritte folgen werden. Auf dieser Basis sucht es sich seinen Weg durch die Produktion. Es teilt dem jeweiligen Arbeitsschritt mit, welche Bearbeitungsvorgänge mit welchen Parametern notwendig sind, und speichert diese nach Abschluss mit allen notwendigen Daten.
Wie lange dauerte der Vorgang, wann wurde er begonnen und wann beendet, welche Qualitätsparameter wurden erzielt? Das sind nur einige der zur Verfügung stehenden Informationen.
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Zwei Technologien machen diesen Ansatz möglich:
- MES (Manufacturing Execution System) und
- RFID (Radio Frequency Identification).
Hinweis für die Elektrofachkraft:
Als Elektrofachkraft sind Sie maßgeblich an der Planung, Einführung und Wartung der Systeme beteiligt. Das betrifft vorrangig die physische Seite, also die elektrischen und elektronischen Systeme. Sie stehen aber den Kollegen aus der Produktions-IT ebenso als Experte zur Verfügung, um den elektronischen Datenaustausch zwischen Produkt bzw. Maschine und den Datenbanken zu gewährleisten.
MES (Manufacturing Execution System) als Brücke zwischen Unternehmenssteuerung und Fertigungsautomatisierung
Grundlage für die Kommunikation zwischen der Unternehmenssteuerung und der Fertigungsautomatisierung ist die sogenannte vertikale Integration. Sie folgt der hierarchischen Unternehmensstruktur: von oben nach unten bzw. umgekehrt von unten nach oben.
Sie konkretisiert einerseits die Daten von der planerischen zur Ausführungsebene und fasst andererseits die verschiedenen Informationen aus dem Wertschöpfungsprozess zu Entscheidungsvorlagen für das Management zusammen. Das betrifft die Produktion ebenso wie die Logistik und die Disposition, die Entwicklung/Konstruktion und den Service.
Damit werden folgende Ansprüche verfolgt:
- Schaffen einer durchgängigen Transparenz
- flexibles Reagieren im Falle unerwarteter Unterbrechungen im Prozess (Maschinenstörungen, Ausfall von Mitarbeitern oder Qualitätsprobleme)
- Optimierung des kompletten Wertschöpfungsprozesses
Ebenen der vertikalen Integration
Diese vertikale Integration definiert fünf Ebenen, wie sie üblicherweise in produzierenden Unternehmen zu finden sind, und wird häufig als Pyramide dargestellt:

Jede Ebene der Pyramide ist mit speziellen Aufgaben im Wertschöpfungsprozess verbunden.
Ebene | Aufgaben | Häufig verwendete technische Systeme |
Unternehmensebene | Produktionsgrobplanung, Vertriebsplanung, strategische Einkaufsprozesse, Bestellabwicklung, betriebswirtschaftliches Controlling | Enterprise Resource Planning (ERP) |
Betriebsleitebene | Produktionsfeinplanung und -steuerung, Disposition, Qualitätsmanagement, Erfassung von Produktionsdaten | Manufacturing Execution System (MES), Management-Informationssystem (MIS), Labor-Informations- und –Management-System (LIMS) |
Prozessleitebene | Bedienen, Beobachten, Visualisieren, Rezepturverwaltung, Messwertarchivierung | Prozessleitsystem, Human-Machine-Interface (HMI), Supervisory Control and Data Acquisition (SCADA) |
Steuerungsebene | Steuerung des technischen Fertigungs- und Transportprozesses, Verknüpfung der Eingangsdaten und Erzeugung von Ausgangsdaten | SPS, Feldbus |
Feldebene | Erzeugen von Eingangssignalen, Wandeln der Ausgangssignale in konkrete technische Reaktionen | Sensoren, Aktoren, I/O-Link |
Aus dem Zusammenspiel der Aufgaben und Ebenen wird so die vollständige Abwicklung von Kundenaufträgen inklusive der notwendigen Unterstützungs-, Management– und Beschaffungsprozesse abgebildet.
MES übernimmt dabei die Verbindung der planenden Unternehmensebene mit den ausführenden Ebenen und gestattet zugleich das betriebswirtschaftliche Controlling. So sorgt es für die fortwährende Optimierung des Durchsatzes im Wertschöpfungsprozess.
Fortlaufende Durchsetzung ermöglichen, Rückmeldungen aus Prozess sammeln
Dazu übernimmt das MES die Daten des ERP und vervollständigt diese für den Produktionsprozess, beispielsweise für die Fertigungssteuerung. Anschließend werden die Daten vom MES an die Prozessleitebene weitergegeben. Umgekehrt übernimmt das MES Rückmeldedaten aus der Prozessleitebene, gestattet die entsprechende Auswertung von Kennzahlen und aggregiert Meldungen für das ERP. Das MES ermöglicht so die fortlaufende Durchsetzung einer bestehenden und gültigen Planung aus dem ERP und sammelt die Rückmeldungen aus dem Prozess.
Die wesentlichen Aufgaben des MES nach Empfehlung des VDI 5600 sind in nachfolgender Grafik beschrieben:

Zusätzlich gestattet das MES die Ermittlung und Auswertung wichtiger Kennzahlen, die auch als Key Perfomance Indicators (KPI) bezeichnet werden. Dazu gehören unter anderem:
- Wartezeiten und freie Puffer
- Durchlaufzeit
- Maschinenauslastung
- Maschinenverfügbarkeit
- Bestände
- Produktivität
- Fehlerrate
RFID (Radio Frequency Identification): Lesen und Schreiben von Daten im Produktionsprozess
Wie bereits erwähnt, ist es nun eine der wesentlichsten Ideen von Industrie 4.0, den Material- mit dem Informationsfluss zu verschmelzen und das Produkt selbst zum Träger seiner Informationen zu machen. Das geschieht in der Praxis über sogenannte RFID-Chips. Diese winzigen und preisgünstigen Speicher sind entweder Bestandteil des Produkts oder werden auf dem Werkstückträger aufgebracht. Sie gestatten jedem Fertigungsschritt das Auslesen der benötigten Informationen sowie nach Beendigung des jeweiligen Arbeitsschritts deren Fortschreiben.

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Logische Informationen mit physischer Umgebung verschmelzen
RFID ist eine Transpondertechnologie. Das Besondere an dieser Technologie ist die berührungslose Identifikation der RFID-Transponder, sodass im Gegensatz zu herkömmlichen Identifikationssystemen noch nicht einmal ein visueller Kontakt zwischen Code und Leseeinheit benötigt wird.
Dieser Vorteil allein macht RFID aber noch nicht zu einer Schlüsseltechnologie für Industrie 4.0. Stattdessen wird es mittels RFID möglich, logische Informationen mit der physischen Umgebung zu verschmelzen, so dass Objekte selbstständig Informationen mit sich tragen und autonom mit ihrer Umgebung austauschen können.
RFID-Infrastruktur besteht aus mindestens drei Hauptkomponenten:
- Transponder
- Schreib- und Lesegerät
- IT-System

Der Transponder wird an dem physischen, zu identifizierenden Objekt angebracht. Der Transponder selbst setzt sich grundsätzlich aus einem Microchip, auf dem die Daten gespeichert werden, einer Spule bzw. Antenne zur Kopplung mit der Lese-/Schreibeinheit und einem Transponderträger zusammen. Dieser Transponder kann nun 1-Bit-Informationen liefern oder aber mithilfe eines Speichers komplexere Daten aufnehmen. Er kann gelesen und in bestimmten Ausführungsarten auch beschrieben werden.
Dafür erzeugt das RFID-Schreib-/-Lesegerät ein elektromagnetisches Feld mit geringer Reichweite, welches der Transponder über eine integrierte Antenne aufnimmt. Das elektromagnetische Feld der Leseeinheit versorgt auch den Transponder mit Energie (sofern es sich um einen passiven Transponder handelt) und erzeugt in ihm ein Signal, welches zurückgesendet und von der Leseeinheit aufgenommen wird.
Das RFID-Schreib-/-Lesegerät kommuniziert per Funk mit dem Transponder. Durch das Erzeugen einer hochfrequenten Sendeleistung wird der Transponder von dem Lesegerät aktiviert. Anschließend werden die Informationen ausgelesen und über eine Netzwerkanbindung an die Middleware (Master) gesendet. Dabei erfolgt der Vorgang nach dem Master-Slave-Prinzip, d.h., die Middleware (Master) sendet Befehle und Daten an das Lesegerät (Slave), und dieses sendet Antworten zurück.
Die Signale selbst werden von der Middleware decodiert, nach vorgegebenen Regeln gefiltert und an die angeschlossenen Systeme weitergeleitet. Zudem sorgt die Middleware für Fehlervermeidung bzw. Fehlerbehebung beim Auslesen und Beschreiben der RFID-Tags. Damit werden Kompatibilitätsprobleme bei der Nutzung von Geräten unterschiedlicher Hersteller und Systemprobleme beim gleichzeitigen Auslesen mehrerer RFID-Datenträger vermieden.
Hinweis für die Elektrofachkraft:
RFID-Sensoren arbeiten mit Schutzkleinspannung und sind damit bezüglich der Unfallverhütungsvorschriften gegen elektrischen Schlag unbedenklich.
MES und RFID in der Praxis anwenden
Der Verein SmartFactoryKL e.V. entwickelt unter anderem Forschungsanlagen, in die Produkte und Subsysteme verschiedener Hersteller integriert werden und die im Weiteren dazu dienen, Antworten auf folgende Fragen zu finden:
- Wie kann ein Produkt die Anweisung zu seiner Herstellung selbstständig an die Produktion geben?
- Wie lassen sich an einer Produktlinie unterschiedliche Produktvarianten bei kleinsten Losgrößen realisieren?
- Wie kann man innerhalb kürzester Zeit eine Fertigungsstraße einrichten oder umstellen?

Die in Esslingen ansässige Festo AG & Co. KG ist Mitglied in diesem Verein und nutzt die erarbeiteten Prinzipien für die Gestaltung der eigenen Produktionsanlagen. Nachfolgendes Foto zeigt eine solche modulare Anlage, in dem Fall für die automatische Montage von Pneumatikventilen.

Diese modulare Montagelinie übernimmt den kompletten Montageprozess. Der umfasst insgesamt 65 Arbeitsschritte, vom Prüfen des Ventilgehäuses bis zur finalen Dichtigkeitsprüfung des fertigen Ventils.
Die Anlage hat bei einer Taktzeit von elf Sekunden einen jährlichen Ausstoß von 1,2 Millionen Ventilen. Diese können in 56 Produktvarianten hergestellt werden. Das Umrüsten von einer Variante zur anderen erfolgt mittels Leertakt, also innerhalb von elf Sekunden. Damit wird eine wirtschaftliche Fertigung von Losgröße 1 möglich.
Die Kommunikation erfolgt dabei zwischen dem MES (in dem Fall SAP-ME) und den unter den Werkstückträgern angebrachten RFID-Chips. In der Summe verfügt die Anlage aktuell über 400 IP-Adressen.
Literatur zu MES und RFID
- Brauer, Gernot: Die Bit-Revolution, München, 2019
- Christian, Marius: Produktionsplanung und -steuerung mit dem MES4, Denkendorf, 2017
- Greißl, Heike, u.a.: Objektidentifikation mit RFID, Denkendorf, 2018
- Syska, Andreas; Lièvre, Philippe: Illusion 4.0, Landsberg am Lech, 2016