Lean Maintenance als Instandhaltungsstrategie
Die Lean Maintenance versucht, alle Instandhaltungsaktivitäten ins Verhältnis zum erwartbaren Nutzen zu setzen. Welche Instandhaltungsstrategie passt am besten zu einer bestimmten Maschine? Dafür entwickelten Bodo Wiegand, Ralf Langmaack und Thomas Baumgarten das sogenannte Lean Maintenance System (Aachen 2005).

Lean Maintenance
Instandhaltung bzw. Instandhaltungsstrategien betrachten die Maschine als Ganzes. Das schließt die Mechanik ebenso ein wie die Pneumatik bzw. Hydraulik, die Maschinensteuerung und den elektrischen Leistungsteil. Manche Maschinen sind für den Produktionsprozess besonders wichtig, denn ungeplante Stillstände ziehen unweigerlich Lieferschwierigkeiten und Umsatzausfälle für das Unternehmen nach sich. Es ist also nur konsequent, dass für diese Maschinen die Maximierung der Gesamtanlageneffektivität verfolgt wird. Im Folgenden lesen Sie, wie Lean Maintenance dabei unterstützen kann.
Hinweis für die Elektrofachkraft
Das betrifft nicht nur klassische Produktionsmaschinen, sondern ebenso alle Anlagen der Elektroenergieversorgung.
Wahl der Instandhaltungsstrategie
Manche Maschinen werden eher selten benötigt. Sie stellen möglicherweise gar keinen Engpass im Prozess dar: Ein ungeplanter Stillstand ist zwar immer noch ärgerlich, aber für den Gesamtprozess durchaus zu verkraften. Also wird man für solche Maschinen eher eine kostenoptimierte Instandhaltungsstrategie wählen.

Lean Maintenance: Priorisieren der Anlagen
Wie bereits erwähnt, besitzen Anlagen eine unterschiedliche Bedeutung für das Werk bzw. das Unternehmen. Um diese Bedeutung genauer zu erfassen und zu klassifizieren, werden drei Kriterien verwendet:
- Bedeutung für den Wertstrom
- Bedeutung für das Produktionssystem
- Bedeutung für den Kunden
Bedeutung für den Wertstrom
Unter Wertstrom versteht man den Prozess vom Eingang der Kundenbestellung bis zur Auslieferung der fertigen Produkte. Dazwischen passiert das Produkt verschiedene Stationen: Auftragseingang, Fertigungssteuerung, mechanische Vorfertigung, Farbgebung, Montage, Kontrolle … Also Schritte, die sich je nach Produkt und gewählter Fertigungstechnologie unterscheiden.
Diesen Wertstrom kann man nun mit der sogenannten Wertstromanalyse erfassen. Dabei durchläuft man gedanklich die verschiedenen Schritte.

Idealerweise fließt das Produkt direkt von einem Bearbeitungsschritt zum nächsten. Es gibt keine Wartezeiten. Die Produktion beginnt in dem Moment, in dem das Teil eintrifft. Anschließend wird es direkt weitergeleitet. In diesem Fall ist die Durchlaufzeit sehr gering und entspricht annähernd der Summe der Bearbeitungszeiten. Bestände an Halbteilen gibt es kaum und auch die Bestände an Fertigware sind äußerst gering, da sehr flexibel auf die Kundenbedarfe reagiert werden kann. Man bezeichnet diesen Ansatz als Flow-Prinzip oder als One-Piece-Flow.
Verzögerung durch Staustufen
Allerdings ist dieses Flow-Prinzip in der Praxis nur bei äußerst exzellenten Unternehmen oder bei bestimmten Arten der Fertigung (Prozessindustrie) zu finden, und das auch oft nur phasenweise. Viel häufiger stehen dem Flow-Prinzip in der Praxis Staustufen entgegen. Solche Staustufen können sein:
- (lange) Wege zwischen den einzelnen Fertigungsschritten
- Rüst- und Einrichtzeiten an Maschinen und Anlagen
- ungeplante Stillstände an Maschinen und Anlagen
- unterschiedliche Schichtmodelle zwischen Abteilungen und Bereichen
- qualitätskritische Prozesse
Diese Staustufen sorgen für Verzögerungen und Losbildung. Es bewegt sich nicht mehr ein Produkt von Fertigungsschritt zu Fertigungsschritt, sondern ein Paket. Das hat den Effekt, dass die Durchlaufzeiten steigen, die Flexibilität sinkt und die Bestände an Halbteilen sowie Fertigware anwachsen.
Erinnern Sie sich nur an die Rüstzeiten an Ihren Maschinen und Anlagen. Nehmen wir an, die Zykluszeit für ein Produkt an einer Anlage beträgt eine Minute, für den Umbau auf eine andere Produktvariante sind jedoch 30 Minuten erforderlich. Dann ist es betriebswirtschaftlich unsinnig, die Maschine für lediglich ein Produkt umzurüsten. Stattdessen ermittelt man die optimale Losgröße, bei der sich Rüst- und Gesamtbearbeitungszeit in einem angemessenen Verhältnis zueinander befinden, und definiert ein entsprechendes Los. Schon ist eine Staustufe bewältigt.
Ähnliches geschieht bei ungeplanten Stillständen an Maschinen und Anlagen. Läuft die Maschine nur bedingt stabil, wird die Neigung, größere Lose zu bilden, zunehmen. Ist sie dagegen permanent verfügbar, kann vielleicht gar ein One-Piece-Flow über diese Anlage realisiert werden.
Stellung der Maschine im Wertstrom
Aus der Stellung der Maschine im Wertstrom leiten sich nun Anforderungen an die Instandhaltung ab. Ist die Maschine permanent eingebunden, so führt ein Defekt zum Unterbrechen des gesamten Wertstroms. Man spricht in diesem Fall von einem Engpass. Natürlich hat dieser für die Instandhaltung absolute Priorität: Jede Störung, die die sogenannte maximale Entstörzeit übersteigt, führt unweigerlich zu Verlusten an Fertigprodukten bzw. zu Zeitverschiebungen.
Dabei wird unter Entstörzeit die Zeit verstanden, die vom Auftreten einer Störung bis zum Wiederanlauf der Anlage vergeht. Die maximale Entstörzeit ermittelt sich mittels folgender Formel:
Für den Auftrag zur Wicklung von Statoren für Elektromotoren ist eine Durchlaufzeit von vier Stunden vorgesehen. Die Wickelzeit für jeden der 500 Statoren beträgt 0,4 min. Also ergibt sich folgende Entstörzeit:
In unserem Beispiel verbleiben dem Instandhaltungsbereich maximal 40 Minuten, um die Störung zu beheben. Im anderen Fall wird der gesamte Auftrag zeitlich verschoben bzw. es treten Mengenverluste auf.
Beachten Sie allerdings bitte, dass wir an dieser Stelle immer von einer maximalen Entstörzeit sprechen. Sollte der Auftrag bereits an das Ende der Schicht verschoben worden sein, dann reduziert sich die Entstörzeit entsprechend. Ebenso verkürzend auf die Entstörzeit wirken sich natürlich vorhergehende Aufträge aus.
Hinweis für die Elektrofachkraft
Die Entstörzeit für Elektroenergieversorgungsanlagen wird prinzipiell mit Null angesetzt.
Lean Maintenance: Ermitteln von Schadenseinflüssen
Mittels der Anlagenpriorisierung haben Sie nun ermittelt, auf welche Ihrer Maschinen Sie ein besonderes Augenmerk richten müssen, welche Sie mit geringerem Aufwand betreuen können oder an welchen Sie gar das Risiko eines ungeplanten Stillstands eingehen dürfen. Sie haben somit einen groben Überblick, welche Anlagen und Maschinen mit welcher Instandhaltungsstrategie in Verbindung gebracht werden sollten.
Allerdings ist diese Anlagenpriorisierung noch zu ungenau. Sie betrachtet die Maschine als Einheit, als Element. Tatsächlich besteht jede Anlage aber aus mehreren oder gar vielen Teilsystemen.
Hinweis für die Elektrofachkraft
Als Teilsysteme werden im weiteren Anlagenteile verstanden, die über eine eigene Steuerung verfügen und so autonom betrieben werden könnten.
Es ist also nun in einem zweiten Schritt zu ermitteln, auf welche Komponenten und Anomalien Sie besonders achten müssen: wo welche Fehler auftreten können, wie diese auftreten und welchen Einfluss sie wiederum auf die gesamte Anlage besitzen.
Es sind also die Störungsschwerpunkte an den Maschinen und Anlagen zu identifizieren, sodass Sie in die Lage versetzt werden, Ihre Instandhaltungsressourcen wesentlich zielgerichteter einzusetzen. Anderenfalls betreiben Sie vielleicht viel Aufwand an unkritischen Komponenten und finden nicht die Zeit, sich um die tatsächlich kritischen Bestandteile zu kümmern.

Legende:
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Man bezeichnet dieses Vorgehen bei Lean Maintenance auch als Ermitteln von Schadenseinflüssen. Dies geschieht ähnlich einer Fehlermöglichkeiten- und -einflussanalyse (FMEA) in folgenden Schritten:

Es sollte noch erwähnt werden, dass die Analyse natürlich nur für jene Maschinen sinnvoll ist, die eine hohe bis sehr hohe Priorität aufweisen. Anlagen, die mit einer eher geringen Priorität eingestuft wurden, sollten für diese Analyse ausgeklammert werden. Anderenfalls laufen Sie Gefahr, viel Zeit und Aufwand zu investieren, ohne dem Ziel eines möglichst störungsfreien Betriebs tatsächlich näher zu kommen.
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