04.05.2023

Viessmann verkauft Geschäftsbereich Wärmepumpen

Unterschiedliche Auswirkungen der Wärmepolitik. Der niedersächsische Anbieter von Wärmepumpen Stiebel-Eltron weitet sein Geschäft aus, sein hessischer Wettbewerber Viessmann steigt aus ihm aus. Ihn bringen drei Marktbedingungen in unüberwindbare Bedrängnis.

Viessmann Wärmepumpen

Globaler Anbieter von Klima- und Energielösungen

Die Viessmann Group im nordhessischen Allendorf (Eder) hat bekanntgegeben, ihren Geschäftsbereich „Viessmann Climate Solutions“ an den US-Konzern Carrier Global Corporation mit Hauptsitz in Palm Beach Gardens, Florida (USA) zu verkaufen. Carrier sieht sich als ein weltweit führender Anbieter von intelligenten Klima- und Energielösungen. Mit diesem Schritt schüfen beide laut einer Pressemitteilung gemeinsam einen neuen globalen Anbieter von Klima- und Energielösungen.

Transatlantische Partnerschaft

Mit ihrer transatlantischen Partnerschaft wolle man unterstreichen, wie wichtig internationale, länderübergreifende Zusammenarbeit im Kampf gegen den globalen Klimawandel sei. Man sei entschlossen, mehr Verantwortung für eine nachhaltige Energiewende im Gebäudesektor zu übernehmen:

  • Leitbild der Viessmann Group: Lebensräume für zukünftige Generationen gestalten.
  • Leitbild von Carrier: für Menschen und die Erde wichtige Lösungen.

Beide Unternehmen sehen in den Klimazielen in Nordamerika und Europa ihre Chance, durch „aktive Gestaltung nachhaltiger Klima- und Energielösungen einen positiven Beitrag für zukünftige Generationen zu leisten“.

Vorteile über Vorteile

Als Vorteile des Zusammenschlusses des Geschäftsbereichs Climate Solutions mit Carrier nennt die Mitteilung von Viessmann:

  • Fortgesetztes Engagement der Viessmann Group: Das Familienunternehmen soll nach Abschluss der Transaktion einer der größten Anteilseigner von Carrier werden. Max Viessmann, CEO der Viessmann Group, rückt als neues Mitglied in den Verwaltungsrat von Carrier ein. Dies soll die Einbindung der unternehmerischen Gründerfamilie sicherstellen und eine klare Ausrichtung auf langfristiges Wachstum ermöglichen.
  • Weiteres Wachstum durch Größe und Reichweite: Der Konzern Carrier ist tätig bei Klimalösungen im Wohn- und Gewerbesegment in Nordamerika sowie im europäischen großen Gewerbemarkt. Der Geschäftsbereich Climate Solutions der Viessmann Group sieht sich als Marktführer im europäischen Premium-Wohnsegment. Durch den Zusammenschluss entstehe somit in Nordamerika und in Europa ein Marktführer im Wohn- und Gewerbesegment. Darüber hinaus habe Carrier über seine lokale Marke Toshiba Carrier Corporation eine starke Präsenz in Asien. Als neuer globaler Champion für intelligente Klima- und Energielösungen würden Carrier und Viessmann Climate Solutions mit rund 45.000 Mitarbeitern einen Gesamtumsatz von mehr als 17 Milliarden US-Dollar erwirtschaften – „eine starke Ausgangsposition im internationalen Wettbewerb“, so die Firmenmitteilung.
  • Führungsrolle in Europa: Nach Abschluss der Transaktion, der bis Ende des Jahres erwartet wird, soll Viessmann Climate Solutions unter der Leitung von CEO Thomas Heim zu einem der wesentlichen Treiber der Wachstumsstrategie von Carrier bei Klimalösungen im Wohn- und Gewerbesegment in Europa werden. Hauptsitz des Unternehmens bleibe Allendorf.
  • Breiteres Angebot an integrierten Klimalösungen: Kunden und Installationspartner beider Unternehmen können auf ein breiteres Produkt- und Serviceportfolio, mehr digitale Angebote und weitere Zusatzleistungen zugreifen. Außerdem werden sie von höheren Produktionskapazitäten und kürzeren Lieferzeiten für Lösungen im Bereich der erneuerbaren Energien profitieren. Das Angebot an Wärmepumpen, Batteriespeichern, Photovoltaik- und Klima- und Lüftungslösungen wolle man erheblich erweitern.
  • Fortschritt durch Kontinuität: gestützt auf die globale Aufstellung in den Bereichen Beschaffung, Logistik, Produktion, Lieferkette, Produktentwicklung, Vertrieb und Service sollen die langfristige Zukunft des Geschäftsbereichs langfristige Garantien sichern:
    • Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen auf drei Jahre,
    • Garantien für die wichtigsten Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsstandorte auf fünf Jahre
    • Hauptsitz in Allendorf auf zehn Jahre.

Viessmann bleibt eigenständiges Familienunternehmen

Die Viessmann Group soll ein eigenständiges Familienunternehmen im vollständigen Besitz der Unternehmerfamilie Viessmann bleiben. Die Familie wird ihre unternehmerischen Aktivitäten fortführen, um weiterhin Lebensräume für zukünftige Generationen zu gestalten. Hierzu wird sie ihr Ökosystem ausbauen und sich über die Heizungsbranche hinaus auf CO2-Vermeidung, CO2-Reduktion und CO2-Speicherung fokussieren. Der Erlös aus dem Zusammenschluss mit Carrier wird größtenteils in die Viessmann Group reinvestiert. Daneben wird ein erheblicher Anteil in philanthropische Aktivitäten fließen. Die Viessmann Group wird überdies Eigentümerin ihrer Traditionsmarke bleiben. Carrier soll die Marke Viessmann im Wärmesektor lizenzieren und ausbauen. Viessmann soll derweil ihre Präsenz in anderen Branchen stärken. Auf operativer Ebene werden beide Unternehmen über die Unternehmensgrenzen hinweg in engem Austausch stehen.

Das Beste aus zwei Welten

Bei Viessmann – ohne das Geschäftsfeld Climate Solutions – erwirtschaften den Angaben zufolge rund 4.000 Mitarbeiter einen Gesamtumsatz von einer Milliarde Euro einschließlich nicht konsolidierter Gesellschaften. Zielsetzung und Ambition der Viessmann Group sei es, spätestens bis zum Ende des Jahrzehnts auf eine Größe zu wachsen, die den Geschäftsbereich Climate Solutions heute übertrifft. Prof. Dr. Martin Viessmann, Vorsitzender des Verwaltungsrats der Viessmann Group: „Um unserem Leitbild noch stärker Rechnung zu tragen, kombinieren wir das Beste aus zwei Welten: eine breit aufgestellte Viessmann Group und eine globale Partnerschaft mit Carrier für den Geschäftsbereich Climate Solutions.“

Jahrhundertpartnerschaft Viessmann-Carrier

Ihre neue Partnerschaft sehen Viessmann Climate Solutions und Carrier als eine „Jahrhundertpartnerschaft“. Die Unternehmerfamilie würdigt die Teamleistung aller Climate Solutions-Familienmitglieder nach erfolgreichem Abschluss der neuen Partnerschaft mit einem Betrag von 106 Millionen Euro für 106 Erfolgsjahre. Die Prämie wird als einmaliger Bonus an alle Mitarbeiter der Climate Solutions ausgeschüttet. Alle anderen Aktivitäten der Viessmann Group außerhalb des Geschäftsfelds Climate Solutions seien von der Transaktion nicht betroffen.

Viessmann: Starke Partnerschaften Erfolgsrezept seit 106 Jahren

Prof. Dr. Martin Viessmann, Vorsitzender des Verwaltungsrats der Viessmann Group: „Starke Partnerschaften waren in den vergangenen 106 Jahren immer grundlegend für den Erfolg unseres Familienunternehmens. Und Carrier ist ein starker Partner für unseren Geschäftsbereich der Klimalösungen. Mit der Bündelung unserer Kräfte heben wir unseren Beitrag zur Dekarbonisierung des Gebäudesektors auf die nächste Stufe, mit einer größeren Relevanz und Reichweite auf globaler Ebene – für unsere Familienmitglieder, für unsere Handwerkspartner und vor allem für mehr Klimaschutz.“

David L. Gitlin, CEO von Carrier: „Der Geschäftsbereich ‘Climate Solutions’ der Viessmann Group hat eine extrem starke Marktposition, einzigartige Vertriebskanäle und enorme Wachstumschancen. Der Erfolg des Geschäftsbereichs hat zwei Gründe: Eine hervorragende Mannschaft mit einer wertorientierten Kultur und ein unschlagbares integriertes Lösungsangebot. Martin und Max haben Europas bekannteste Marke für Premium-Klimalösungen aufgebaut. Carrier ist fest entschlossen, diesen Erfolg weiter auszubauen. Wir freuen uns darauf, gemeinsam die Zukunft von intelligenten Klima- und Energielösungen zu gestalten.“

Nachteile über Nachteile

Der Frankfurter Strategieforscher Prof. Dr. Christian Rieck sieht in dem Schritt der Viessmann-Gruppe eine Konsequenz aus der derzeitigen Wirtschaftspolitik. Ein Unternehmen könne in eine finanzielle Notlage gelangen, wenn:

  • sich die Produkte besonders schlecht verkaufen und der Markt schrumpft, oder
  • im Gegenteil der Markt plötzlich sehr schnell wächst.

Das Unternehmen müsse in letzterem Fall in der Lage sein, Wachstum zu finanzieren. In einem solchen Fall habe ein Unternehmen eine Vielzahl von Auszahlungen vorstrecken muss – und das für ein Geschäft, das erst noch in der Zukunft bevorsteht. Das Unternehmen hat also einen relativ großen zeitlichen Abstand zwischen dem, was es im Augenblick auszahlen muss, und dem Zeitpunkt, wenn sich die Auszahlungen refinanzieren. Ein statisches Unternehmen können sich relativ gut darauf einstellen. Etwas anderes ist es, wenn einmal wächst dieser Markt ganz stark anwächst. Hier öffnet sich eine Finanzierungslücke. Rieck sieht darin eine große Gefahr für ein Unternehmen.

Als weitere Besonderheit stellt sich aus Sicht Riecks ein Dilemma ein, wenn

  • einerseits ein Unternehmen in dem einen Bereich sehr stark wachsen soll wie z.B. Viessmann im Markt der Wärmepumpen,
  • und andererseits gleichzeitig das Geschäft mit der bisherigen Cash-Cow mit fossilen Brennstoffen verboten wird.

Dieses Stammgeschäft mit klassischen Heizungen Gas und Öl hätten an dem Gesamtumsatz einen relativ kleinen Anteil von etwa 15 Prozent. Aus diesem heraus müsse das Unternehmen ein gigantisches Wachstum des neuen Marktes der Wärmepumpen finanzieren. Rieck: „Das Unternehmen hat damit gleich ein doppeltes Problem.“ Das Problem sei wesentlich stärker, als es gewesen wäre, wenn dem Unternehmen eine längere Übergangsfrist zur Verfügung gestanden hätte bei einem weiterhin möglichen Verkauf von Gas- und Ölheizung. Dafür aber hat die Regierungskoalition die Ampel auf Rot gestellt – sozusagen mit Vollbremsung, ohne vorbereitende Gelbphase.

Plötzlich viel größeres Marktfeld

Schließlich stelle sich als weiteres Problem für einen Anbieter, dass er im Markt der Wärmepumpen nicht über die nötige Marktmacht weltweit verfüge, um sich auf ihm durchzusetzen. Selbst wenn man annehme, Viessmann sei schon Marktführer in diesem Bereich, dann stellt sich aufgrund der politischen Vorgaben dieser Markt quasi über Nacht als viel größer als bisher dar. Das sich damit auftuende sehr viel größere Marktfeld locke nicht nur ein solches Unternehmen an, sondern auch viele weitere weltweit. Konkurrenten aus aller Welt wie vor allem Asien und Nordamerika sähen in Deutschland einen neuen großen Markt, den die dortigen bisherigen Marktführer alleine gar nicht auszufüllen in der Lage sein dürften. Vor diesem Hintergrund war der Entschluss der Viessmann Group strategisch gesehen nur folgerichtig, sich einen internationalen Marktführer wie Carrier ins Boot zu holen.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)