17.05.2023

TL 2023: Zweifel an Klimazielen im Straßengüterverkehr

„Nein! Ich bin nicht beruhigt.“ Mit diesen Worten leitete der Chef des Güterverkehrsverbandes Engelhardt auf der Fachmesse „Transport Logistic“ seine Kritik an der Klimapolitik ein. Schützenhilfe bekam er von führenden Vertretern der LKW-Hersteller und Tankstellenbetreiber.

TL 2023 Straßengüterverkehr

Erreichen der Klimaziele fraglich

Er könne die Kommunikation der Politik nicht verstehen, so der Vorstandssprecher des Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V., Prof. Dr. Dirk Engelhardt auf der von ihm moderierten hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion auf der Messe „transport logistic“ 2023 in München am 09.05.2023. Er stellte das Erreichen der Klimaziele im Straßengüterverkehr in Frage. Mit ihm diskutierten der Vorsitzende der Geschäftsführung der Toll Collect GmbH Dr. Gerhard Schulz, das Mitglied der Hauptgeschäftsführung des BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. Andrees Gentzsch, der Business Development Manager LNG der Shell Deutschland GmbH Jochen Momberger sowie der Leiter Emissionen und Sicherheit, Daimler Nutzfahrzeuge im Bereich External Affairs der Daimler Truck AG Dr. Manfred Schuckert.

Linear vs. exponentiell

Auf die Frage, ob die Diskussion der Experten seine Zweifel am Erreichen der Klimaziele ausräumen konnten und er jetzt beruhigter sei, Engelhardt gegenüber „Einkauf und Logistik“: „Nein! Ich bin noch nicht beruhigt.“ Er verstehe nicht, wie jemand Klimaschutzziele linear berechnen könne, allgemein aber bekannt sei, dass der Markthochlauf exponentiell sein werde. Wenn das Konsumverhalten so bleibe wie derzeit und die Verkehrsprognosen eintreffen, dann erwarte er von der Politik ebenfalls eine andere Kommunikation. Sie müsse lauten:

  • Der Verkehrssektor wird bis zum Ende der Dekade den größten Beitrag leisten können, unter der Voraussetzung, dass die entsprechenden Parameter erreicht werden.
  • Werden sie nicht erreicht, wird es zu massiven Problemen kommen. Dann wird es nicht ohne die vorhandenen Technologien gehen.

Politik muss Leitplanken setzen

In diesem Fall müsse die Politik die erforderlichen Leitplanken setzen. An die Stelle von immer neuen Reden müssten jetzt Taten treten. Die Kommunikation müsse unterlegt werden mit:

  • Förderprogrammen,
  • Hochlauf
  • Klarer Planung für Netzbetreiber und Tankstellenbetreiber

Egelhardt: „Wenn das umgesetzt würde, wäre ich wesentlich zuversichtlicher.“

Zudem verwies Engelhardt auf die Diskrepanz zwischen den fortwährend vorgebrachten Forderungen nach klimaschonenden Fahrzeugen, ohne einen Gedanken an die zu deren Betrieb nötige Stromversorgung zu verschwenden. Allein für den Verkehrssektor einschließlich Reise-, Individual- und Güterkraftverkehr seien über 190.000 zusätzliche Windkraftanlagen oder zum Vergleich 61 Kernkraftwerke (KKW) von der Größe des KKW Biblis, um den benötigten grünen Strom für den Verkehr von der Quelle bis zum Rad auf der Straße verfügbar zu haben. Stattdessen tue die Politik in ihrer Argumentation nicht genug dagegen, dass der Güterkraftverkehr unablässig als enfant terrible dargestellt werde.

BGL-Podium auf transport logistics (v.l.n.r.): Andrees Gentzsch (BDEW), Jochen Momberger (Shell), Gerhard Schulz (toll collect), Dirk Engelhardt (BGL), per Video zugeschaltet Manfred Schuckert (Daimler Truck).

Fahrzeugbauer zuversichtlich

Flankenschutz erhielt Engelhardt von Schuckert. Die Fahrzeugbauer sähen es mit Besorgnis, dass die EU-Kommission die Klimaziele verschärfen wolle. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts sollen Medienberichten zufolge in der EU 45 Prozent des Bruttoenergieverbrauchs mit Erneuerbaren Energien (EE) bestritten werden. Darauf haben sich laut „heise-online“ die EU-Kommission, das Europäische Parlament und der Europäische Rat nach zwei Jahren Verhandlungen geeinigt. Die zugrundeliegende EU-Richtlinie für Erneuerbare Energien (Renewable Energy Directive, RED) von 2018 sah ein Ziel von 32 Prozent vor. Diese werde erneuert, sofern sie vom EU-Parlament und vom EU-Rat formell angenommen werden.

Das Ziel von 42,5 Prozent sei verbindlich durch die Mitgliedsländer zu erbringen, zitiert die Plattform das Bundeswirtschaftsministerium. Hinzu komme ein zusätzliches indikatives Ziel von 2,5 Prozent, das durch weitergehende freiwillige Beiträge der Mitgliedsstaaten oder auf gesamteuropäischer Ebene erreicht werden soll. Im Verkehrssektor erhöhe sich das verbindliche Ziel von 14 auf 29 Prozent. Das entspricht einem Treibhausgas-Reduktionsziel durch erneuerbare Energien von 14,5 Prozent. Ein neues Unterziel von 5,5 Prozent im Verkehr umfasse eine Kombination von strombasierten erneuerbaren Kraftstoffen (RFNBOs) und fortschrittlichen Biokraftstoffen.

Hochriskante Entwicklung

Man sehe darin eine „hochriskante Entwicklung“, so Schuckert. Ein etwaiges Nichterreichen der Ziele solle mit extrem substantiellen Strafen geahndet werden. Schuckert: „Wir alle sind gezwungen, alles uns mögliche zu tun, um diese Ziele zu erreichen.“ Er rechne allerdings mit einem Anstieg erst gegen Ende der Dekade. Das folge aus dem üblichen Entwicklungsprozess im Fahrzeugbau. Entwicklung und Erprobung bis zur Marktreife der Fahrzeuge brauche einige Jahre. Hinzukämen die Kosten. Deren Anteil bleibe weiterhin hoch. Dies alles müsse man sehr sorgfältig beachten. Es sei niemandem gedient, wenn die Industrie letztendlich nicht die notwendigen Fahrzeuge liefern könne, so Schuckert.

Wasserstoff in den Kinderschuhen

Gentzsch weist auf die nach der Gaskrise 2022 gewachsene Bedeutung der Entwicklung der Wasserstoff-Technologie insbesondere für den Schwerlastverkehr, aber auch die Industrie und die gesamte Energiebranche hin. Man befinde sich in Gesprächen mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Man werde zeitnahe Vorschläge unterbreiten, wie ein Wasserstoffnetz in Deutschland aufgebaut werden kann. Allerdings sei man noch erst am Anfang einer Transformation. Man müsse sich ehrlich machen, was wann möglich sei.

Das kleinste Molekül

Die Tankstellenbetreiber setzen Momberger zufolge ebenfalls auf Wasserstoff als Energieträger der Zukunft insbesondere für den Fernverkehr. Hier erwähnte er das Projekt der ersten LKW-Wasserstofftankstelle in Passau. Allerdings verfolge man aufmerksam die Entwicklung bei der Batterieelektrik. Noch vor nicht einmal drei Jahren hätte sich nicht unbedingt jedermann vorstellen können, dass es batterieelektrische Sattelzugmaschinen für 40-t-Einsatz geben könnte. Inzwischen wisse man: diese Fahrzeuge werden kommen. Vorbedingung beim Wasserstoffeinsatz bleibe:

  • Der Wasserstoff muss grün sein. Sonst ergebe sein Einsatz keinen Sinn. Es müsse klar sein, wo er herkommt.
  • Wasserstoff ist das kleinste Molekül. Das ist nicht trivial physikalisch zu beherrschen, wenn er transportiert oder im Tank gespeichert werden soll.

Wasserstoff-Fahrzeuge werden nicht günstig

Deswegen würden Fahrzeuge mit seiner Technik nicht günstig sein. Der für batterieelektrische LKW veranschlagte zusätzliche Kostenfaktor von 2 oder 3 gegenüber Verbrenner-LKW werde für Wasserstoff-LKW nicht reichen. Irgendwann müssten sich die Technologien ohne Subvention durchsetzen, so Momberger. Etwas optimistischer als er sehen es die LKW-Hersteller. Sie sind in Sachen Wasserstoff bereits einigermaßen weit. Daimler entwickelt entsprechende Fahrzeuge. Schuckert: „Die Technologie ist reif.“ Man könne bereits Reichweiten für LKW von 1000 km und mehr darstellen, ohne dass diese Fahrzeuge zwischendurch auftanken müssen. Überall, wo es auf große Reichweiten ankommt, werde der Verbraucher zukünftig auf Wasserstoff-Antrieb zurückgreifen.

Maut-Politik strotzt vor Ausnahmen

Als LKW-Unternehmer versteht Engelhardt die Maut-Politik nicht, warum Handwerker von der Maut ausgenommen sein sollen. Deren Fahrzeugen nützten die Straßen genauso ab wie andere Fahrzeuge. Schulz: „Als Mautbetreiber wären wir dankbar, wenn es überhaupt keine Ausnahmen geben würde.“ Jeder, der die Straße befahre, nutze sie ab. In Deutschland gebe es so viele Ausnahmen bei der Maut wie in keinem anderen europäischen Land, angefangen bei Schaustellern bis zu landwirtschaftlichen Betrieben, alle öffentlichen Fahrzeuge. Die Entscheidung zur Ausnahme für das Handwerk sei politisch begründet.

Faktische Mautverdopplung

Der BGL lehnt die faktische Mautverdopplung mangels Klima-Lenkungswirkung aktuell entschieden ab und geht von einer spürbaren Verteuerung für den Endverbraucher aus. Die Verbraucher werden ihm zufolge mit 7,62 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich zur bereits bestehenden Inflation belastet – „im Gegenzug für nichts“, so der BGL. Dadurch fühlten sich die mittelständischen Transportunternehmen zu reinen Inkassounternehmen des Bundes degradiert.

CO2-Komponente für LKW-Maut

Die LKW-Maut soll zum 01.12.2023 zusätzlich mit einer CO2-Komponente versehen werden, die einer annähernden Mautverdoppelung entspricht. Mit der CO2-Maut werde damit etwas als Klimaschutzmaßnahme propagiert, was gar keine sei. Eine Klimawirkung sei in den nächsten Jahren nicht absehbar, weil zur Zeit weder Fahrzeuge mit alternativen Antrieben noch die zugehörige Tank- und Ladeinfrastruktur vorhanden seien.

Anteil Batterie- und Brennstoffzellenantrieb verschwindend gering

Der Anteil der Fahrzeuge mit Batterie- oder Brennstoffzellenantrieb am Kfz-Bestand in Deutschland liegt nach Angaben des BGL bei Sattelzugmaschinen bei nur verschwindend geringen 0,03 Prozent. Auf absehbare Zeit fehle es überdies an der für den Betrieb der alternativ angetriebenen LKW unverzichtbaren Lade- bzw. Tankinfrastruktur. „Mega-Charger“ für das Schnelladen unterwegs gibt es demnach bislang z.B. nur auf dem Papier. Auf die Bahn auszuweichen sei ebenfalls keine Lösung. Sie fahre selber kapazitätsmäßig am Anschlag. Interessanterweise rechne sogar das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) selbst nicht mit fallenden, sondern steigenden CO2-Maut-Einnahmen in den kommenden Jahren. Eine Lenkungswirkung sehe das Ministerium also selbst nicht.

Maut größtenteils für Eisenbahn

Die zusätzlichen CO2-Maut-Einnahmen sollen fast ausschließlich für die Bahn verwendet werden. Gegen höhere Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur spricht im Grunde nichts. Der BGL spricht sich für einen Investitionshochlauf in die Schieneninfrastruktur aus, solange diese aus allgemeinen Haushaltsmitteln des BMDV finanziert werden. Mit dem neuen Mautgesetz würden die hohen Vorstandsboni im Bahnkonzern finanziert. Dadurch fehlten die Mittel:

  • für die klimafreundliche Transformation des Straßengüterverkehrs,
  • die Sanierung der Brücken und des maroden Fernstraßennetzes sowie
  • den Ausbau der LKW-Parkplätze.

Die Zusage aus dem Koalitionsvertrag über eine Vermeidung der Doppelbelastung durch nationalen Emissionshandel einerseits und CO2-Maut andererseits werde mit dem Gesetzentwurf nicht eingehalten. Engelhardt: „Der BGL lehnt diesen Entwurf entschieden ab. Besser wäre eine schrittweise Einführung der CO2-Maut ab 2025, wie vom BGL bereits vorgeschlagen. Die Glaubwürdigkeit einer Regierung und damit der Politik in toto entscheidet sich gerade bei Maßnahmen, die schwierig umzusetzen sind.“

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)