21.07.2020

Schiffsversicherer: Totalverluste in der Schifffahrt auf Rekordtief

Das Jahr 2019 war ein nicht schlechtes Jahr für die Schifffahrt. Es brachte einen Rückgang der Totalschäden. Größere Schiffe gingen so wenig verloren wie noch nie in den letzten zehn Jahren. Das belegt eine Studie von Schiffsversicherer Allianz. Doch Corona ist da noch nicht eingepreist.

Schiffsversicherer

Warten auf die Pandemie

Die Totalverluste in der Schifffahrt befanden sich auf einem Rekordtief – 2019. Im Jahresvergleich dazu sind sie um mehr als 20 Prozent gesunken, so die Studie „Safety & Shipping Review 2020“ des Schiff- und Industrieversicherers Allianz Global Corporate & Specialty SE (AGCS). Allerdings könnten die Folgen der Covid-19-Pandemie die langfristigen Sicherheitsverbesserungen in der Schifffahrt in diesem Jahr und darüber hinaus gefährden, schwant den Marktforschern in einer Pressemitteilung. Schwierige Betriebsbedingungen und der drohende wirtschaftliche Abschwung stellten die Branche vor große Herausforderungen.

Coronavirus trifft Schifffahrt

„Das Coronavirus hat die Schifffahrt in einer für sie ohnehin schwierigen Zeit getroffen. Die Branche ist dabei, ihre Emissionen zu reduzieren, Themen wie Klimawandel, politische Risiken und Piraterie zu bewältigen und sich mit Dauerproblemen wie Bränden auf Schiffen auseinanderzusetzen“, sagt Volker Dierks, der bei AGCS in Zentral- und Osteuropa für die Schiffs- und Transportversicherung zuständig ist.
Nun müsse die Schifffahrt in einem völlig neuen Umfeld navigieren. Darin schaffe die Covid-19-Pandemie neue Unsicherheiten für Gesundheit und Wirtschaft, so Dierks.

Die jährlich veröffentlichte Studie der AGCS analysiert die gemeldeten Verluste von Schiffen über 100 Bruttoregistertonnen. Sie identifiziert zudem zehn Herausforderungen, die sich aufgrund der Covid-19-Pandemie auf die Sicherheit und das Risikomanagement in der Schifffahrt auswirken könnten. Im Jahr 2019 wurden weltweit 41 Totalschäden von Schiffen gemeldet, im Vergleich zu 53 im Jahr 2018. Dies trägt zu einem Rückgang von rund 70 Prozent innerhalb der zurückliegenden zehn Jahre bei – ein Ergebnis nachhaltiger Verbesserungen der Schifffahrtsindustrie bei:

  • Regulierung
  • Ausbildung
  • Technologieeinsatz

Ab 2010 registrierte der Versicherer insgesamt mehr als 950 Schiffsverluste.

Herausforderungen durch Coronavirus

Die Schifffahrtsbranche hat ihren Betrieb während der Pandemie weitgehend fortgesetzt – trotz Unterbrechungen in Häfen und bei dem Wechsel der Besatzungen. Während weniger Schiffsverkehr aufgrund der Coronavirus-Restriktionen zu einem Rückgang der Schadensfrequenz führen könnte, verweist die Studie auf zehn Corona-Herausforderungen, die die Risiken wiederum erhöhen, wie z.B.:

  • Aussetzen des turnusmäßigen Besatzungswechsels wirkt sich aus auf:
    • Wohlergehen der Crews
    • Deren Leistungsfähigkeit
    • menschliche Fehleranfälligkeit.
  • Störungen bei Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten: größeres Risiko von Maschinenschäden, schon heute eine Hauptursache für Versicherungsansprüche.
  • Reduzierte oder verzögerte gesetzlich vorgeschriebene Besichtigungen und Hafeninspektionen: unsichere Praktiken oder defekte Ausrüstung könnten unentdeckt bleiben.
  • Ladungsschäden und Transportverzögerungen, da Lieferketten unter Druck geraten.
  • Probleme bei schneller Aktivierung zusätzlicher Unterstützung im Notfall: größere, von der Besatzung nicht selbst behebbare Zwischenfälle.
  • extreme Wetterereignisse, Piraterie oder politische Risiken: wachsende Zahl von weltweit aufliegenden Kreuzfahrtschiffen und Öltankern, potenziell erhebliches finanzielles Risiko.

„Schiffseigner sehen sich zudem mit einem zusätzlichem Kostendruck durch den Abschwung in Wirtschaft und Handel konfrontiert“, sagt Volker Dierks.
In früheren Rezessionen habe man mit als erstes die Budgets für Besatzung und Wartung gekürzt. Dies könne den sicheren Betrieb von Schiffen und Maschinen beeinträchtigen und möglicherweise Störungen oder Ausfälle verursachen, die wiederum zu Grundberührungen oder zu Kollisionen führen können. Dierks:
„Es ist sehr wichtig, dass Sicherheits- und Wartungsstandards nicht durch wirtschaftliche Schwierigkeiten beeinträchtigt werden.“

Unfall-Hotspots und am stärksten betroffene Schiffstypen

Die Meeresregion Südchina, Indochina, Indonesien und die Philippinen bleibt dem Bericht zufolge mit zwölf Schiffsverlusten im Jahr 2019 und 228 Schiffen in den letzten zehn Jahren weiterhin globaler Unfall-Hotspot. Ein Viertel aller Verluste passieren demnach in dieser Region, u.a. aufgrund von:

  • hohem Handelsaufkommen,
  • stark befahrenen Schifffahrtswege,
  • älteren Flotten,
  • Taifunen,
  • Sicherheitsprobleme auf einigen inländischen Fährrouten.

2019 gingen die Verluste jedoch das zweite Jahr in Folge zurück. Der Golf von Mexiko und die westafrikanische Küste stehen an zweiter und dritter Stelle der Unfall-Hotspots.

Auf Frachtschiffe entfiel mehr als ein Drittel der Totalschäden im letzten Jahr. Zu den Hauptursachen zählen:

  • Drei von vier Schiffen gingen unter,
  • schlechtes Wetter war für einen von fünf Verlusten verantwortlich.
  • Probleme mit Autotransportern
  • Sicherheitsprobleme mit Roll-on/Roll-off-(Ro-Ro)-Schiffen. Die Totalschäden bei diesen Schiffstypen sind im Vergleich zum Vorjahr gestiegen – zugleich haben auch die kleineren Zwischenfälle um 20 Prozent zugenommen.
Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)