Ohne Standardisierung keine Verlagerung beim Güterverkehr
In nicht einmal zehn Jahren sollen Gütertransporte per Bahn unter dem Brenner verkehren. Hört sich nach lange an, ist es aber nicht bei allem, was bis dahin zu erledigen ist. Über die Anpassung von Sattelaufliegern dafür zerbrachen sich Experten auf einem LKZ-Symposium den Kopf.

Kamel durch ein Nadelöhr
Wie kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr? Leichter jedenfalls als ein LKW-Sattelauflieger per Bahn durch den künftigen Brenner-Basis-Tunnel (BBT). Dieser Eindruck drängt sich einem auf, der den Impulsvortrag „Welche Entwicklungen sind erforderlich, um mehr Verkehr und Trailer auf die Schiene zu bringen?“ von Roland Klement, Vorstand F&E bei Auflieger-Hersteller Schmitz Cargobull AG, vor mehr als 175 Teilnehmern auf dem 12. Symposium „Logistik Innovativ 2022“ im Logistikkompetenzzentrum (LKZ) in Prien am Chiemsee am 24. Mai 2022 gehört hat.
Empfang auf Schloss Herrenchiemsee
Höhepunkt des ersten Tages war der Empfang auf Schloss Herrenchiemsee. Rund 350 Gäste waren der Einladung des Bayerischen Staatsministers für Wohnen, Bau und Verkehr, Christian Bernreiter (CSU), gefolgt. Bernreiter konnte zu diesem Anlass seine Kollegin aus Tirol, die Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe, und den Landeshauptmannstellvertreter Daniel Alfreider aus Südtirol begrüßen. In seiner Festrede betonte Bernreiter den hohen Stellenwert der Logistik für die Bayerische Wirtschaft: „Die Logistik gehört zu den wichtigsten und wachstumsstärksten Wirtschaftszweigen in Bayern.“ 400.000 Beschäftigte erwirtschaften den Angaben zufolge einen Gesamtumsatz von rund 36 Milliarden Euro, das entspricht rund 18 Prozent des gesamtdeutschen Umsatzes. Damit liege Bayern an der Spitze im Ländervergleich.
Gestaltung der Lieferketten
Im Mittelpunkt des ersten Veranstaltungstages unter fachkundiger Moderation von Heinrich Klotz, Redakteur für Kombinierten Verkehr bei der DVV Media Group GmbH, standen dabei:
- die zuverlässige Gestaltung globaler Lieferketten, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen und Konflikte mit weltweiten Auswirkungen,
- die sinnvolle Auswahl und der kosteneffiziente Einsatz verschiedener Verkehrsträger,
- die effektive und nachhaltige Durchführung der letzten Meile im urbanen Verkehr sowie
- inspiriert durch einen Impulsvortrag von Prof. Dr. Robert Kuttler von der Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen der Technischen Hochschule Rosenheim eine Diskussion über die Einsatzmöglichkeiten der Digitalisierung zur Optimierung von Lieferketten.
Trag- und Verwindungsfähigkeiten eines Aufliegers
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, stellen sich für die effizientere Nutzung der Alpenquerung per Bahn durch den Eisenbahn-BBT neben anderen Problemen wie der Trassenführung der Bohrung selbst auch solche der technischen Auslegung der künftig auf der Strecke zu transportierenden LKW und vor allem ihrer Sattelauflieger. Klement veranschaulichte die technischen Herausforderungen an Trag- und Verwindungsfähigkeiten eines Aufliegers und die daraus resultierenden Konsequenzen für alle Beteiligten. Eine Grundvoraussetzung für die Auflieger: Sie sollten kranbar sein, um auf die für den Bahntransport bereitzustellenden Taschenwagen gehoben und wieder von ihnen heruntergenommen werden zu können. Durch den Kranvorgang entstehen vielfältige Belastungen über die Griffkanten am Fahrzeug.

Von den auf dem Symposium vertretenen Herstellern, darunter neben Schmitz Cargobull mit Krone und Kögel drei Hersteller unter den Top-12-Herstellern von Sattelaufliegern weltweit, sind laut Klement im Durchschnitt 14 Prozent der produzierten Sattelauflieger kranbar. Planen- und Koffer-Auflieger machen demnach rund 80 Prozent der von ihnen produzierten Sattelauflieger aus. Diese Teilmenge wäre für eine Verlagerung geeignet. Klement: „Alle anderen Typen sehen wir nicht auf der Schiene.“
Top 12 Hersteller Sattelauflieger Juli 2020-Juni 2021 | |||
Rang | OEM Hersteller | Land | Produktion Stück |
1 | CIMC Vehicles Group | China | 161.066 |
2 | Schmitz Cargobull | Deutschland | 49.137 |
3 | Great Dane | USA | 48.651 |
4 | Krone | Deutschland | 45.000 |
5 | Wabash National | USA | 36.400 |
6 | Hyundai Translead | USA | 34.700 |
7 | Utility Trailer Manufacturing | USA | 33.800 |
8 | Randon | Brasilien | 31.534 |
9 | Wielton Group | Polen | 20.200 |
10 | TIRSAN Group | Türkei | 15.340 |
11 | Kögel | Deutschland | 12.797 |
12 | Librelato | Brasilien | 11.800 |
Quelle: Global Trailer |
Laut der Internationalen Vereinigung für den Kombinierten Verkehr Schiene-Straße (UIRR) sind derzeit 25.000 Taschenwagen intermodal im Einsatz.

Aus den Projekten „Future Trailer“ und „Futur Intermodal Wagon“ zitiert Klement folgende noch zu bearbeitenden Herausforderungen mit Blick auf einen Intermodaltransport:
- Verstärkung von Sattelanhänger-Chassis und -Aufbau: Durch den Transport mit entlüfteter Luftfederung treten größere Kräfte am Trailer auf. Dies könnte durch eine Verbesserung der Federung am Taschenwagen kompensiert werden.
- Verbesserung der Federung am Taschenwagen: erste Versuche haben bereits Ergebnisse gebracht.
- Einheitlicher Achsabstand: 1.310 mm jeweils im Vor- und Nachlauf des Kombinierten Verkehrs als Forderung an den Gesetzgeber mit Anpassung der nationalen Regelung an EG-Regelung.
Nicht alles ist Standardisierung – aber alles nichts ohne sie
Die Forderungen an den Gesetzgeber griff Gero Schulze Isfort, Geschäftsführer von Mitbewerber Bernard Krone Beteiligungs GmbH und zugleich Vorstandsmitglied des Verbandes der Automobilindustrie e.V. (VDA) auf. Er verweist im Diskussionspanel zu dem Thema „wie kann man die vorhandene Infrastruktur effizienter nutzen“ auf den dringenden Bedarf an weiterer Standardisierung. Er legt den Fokus auf das am weitesten verbreitete System der Vertikalverladung von Sattelaufliegern. Schulze Isfort: „Industrie wie Politik haben hier noch ein großes Aufgabenfeld vor sich.“ Allein in Form einer besseren Auslastung vorhandener Systeme seien schnell Fortschritte realisierbar. Dies setze aber gesetzliche Anpassungen voraus. Eine gesetzliche Verpflichtung, alle Sattelauflieger in Deutschland und Europa kombiverkehrstauglich zu machen, hält Schulze Isfort aus Gründen des Mehrgewichtes und des damit verbundenen höheren CO2-Ausstoßes für einen völlig falschen Ansatz. Schulze Isfort: „Damit brächten wir die Verlagerung von Transporten von der Straße auf die Schiene nicht voran.“
Des Weiteren betonte Schulze Isfort, dass eine vollständige Standardisierung notwendig sei bei:
- den Achsabständen im kombinierten Verkehr,
- den Anforderungen an die Aufbaufestigkeit sowie
- den Zertifizierungen.
Erst dann könnten die Hersteller die entsprechenden Huckepack-Auflieger mit reduzierter Komplexität so liefern, dass der Erhöhung der Effizienz bei den LKW-Transporten und deren Verlagerung auf die Schiene durch den BBT nichts im Wege steht.
Binnenschifffahrt – der vergessene Verkehrsträger
Markus Zweckstätter, Gesellschafter und Geschäftsführer der SZG GmbH Nürnberg und der Hafenlogistik Straubing GmbH, Straubing, sowie Sprecher der Interessengemeinschaft Güterverkehrszentrum Hafen Nürnberg e .V. (IGVZ), Nürnberg, setzte in der offenbar auf Straße und Schiene fokussierten Diskussion einen Punkt bei dem dritten Verkehrsträger Binnenschifffahrt. Er vermisst die Behandlung dieses Themas in der allgemeinen Diskussion zumal angesichts so drängender Probleme wie:
- der prekären wirtschaftlichen Lage in Deutschland,
- der Verkehrsverlagerung auf marode Straßen und
- unzulänglicher Schienenverbindungen.
Zweckstätter: „Wir haben in den bayerischen Häfen wie auch an unseren Standorten in Straubing und Nürnberg sowie den uns im IGVZ angeschlossenen Binnenhäfen ausgereifte Konzepte zur Aufnahme wesentlicher Anteile des Güterverkehrs von Straße und Schiene auf die Wasserstraße.“ Wenn man über nachhaltige Entwicklung des Verkehrs spreche, sollte man auch über Binnenschifffahrt reden – „sonst wird das nichts mit der Nachhaltigkeit im Güterverkehr“, so Zweckstätter. Es werde so viel Fracht auf Straße und Schiene transportiert, die gar nicht so eilig wäre. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt e.V., Martin Staats schon vor zehn Jahren gegenüber dem Autor: „Ich habe nie verstanden, wieso Waren vier Wochen und länger auf dem Ozean von Fernost nach Rotterdam unterwegs sind und niemand hat etwas dagegen – und ab Rotterdam kann es dann auf einmal nicht schnell genug gehen, obwohl es das mit dem LKW oft nicht einmal tut.“
Einfacher ist nicht ökologischer
Nur weil es vielleicht einfacher sei, sei es aber, so Zweckstätter, eben nicht ökologisch sinnvoll, z. B. Massengüter wie Salz, Düngemittel, Baustoffe oder Agrarprodukte im großen Stil auf der Straße zu transportieren. Der Autor hat 2013 in seinem Buch „Brücken, Bauten, Biotope – Im Fadenkreuz der Libellen-Mafia“ (ISBN 978-3-7322-5532-0) auf die bestehenden Verlagerungsmöglichkeiten von Güterverkehr von Straße und Schiene auf die Binnenwasserstraße hingewiesen. Zweckstätter auf dem Symposium 2022: „Wir haben ein leistungsfähiges Wasserstraßennetz.“ Man müsse aufpassen, dass der Verlagerungstrend nicht in die falsche Richtung verlaufe. Bei der Binnenschifffahrt seien noch erhebliche Kapazitäten frei. Die Verladerschaft nutze sie teilweise bewusst nicht, egal ob privat oder bei öffentlichen Aufträgen und Ausschreibungen. Hier hätte die Politik sofort die uneingeschränkte Möglichkeit, durch entsprechende Vorgaben über z. B. CO2-Prämien oder Gutschriften einen Regelungseffekt umgehend und nachhaltig zu erzielen.
Binnenschifffahrt gegen Flächenfraß und Versiegelung
Dies würde zu einer erheblichen Belebung der staatseigenen, bereits bezahlten und vorgehaltenen Infrastruktur in den Häfen beitragen und immer wieder angemahnten Flächenfraß der Logistik und des Verkehrs mit der entsprechenden Flächenversiegelung fast vollständig aushebeln. Seit 2010 sei die Massengutlogistik des Staates zukünftig auf das Binnenschiff ausgerichtet gewesen. Zweckstätter: „Nun wird wieder die absolute Kehrtwende und Rolle rückwärts gemacht, obwohl die Kapazitäten alle in den Häfen aufgebaut wurden. Wieso sollen sie jetzt nach zehn Jahren befruchtender Zusammenarbeit leer stehen und ungenutzt bleiben?“ Europaweite Ausschreibungen und gleiche Bedingungen für alle Anbieter würden zur Begründung „zwanghaft und gebetsmühlenartig“ vorgeschoben, in anderen Fällen seit Jahren Massengüter per LKW transportiert, obwohl das Binnenschiff sich dafür als weit geeigneter anbietet.
Salz nach Österreich – aber nicht von Baden-Württemberg nach Bayern?
Zweckstätter verweist in diesem Zusammenhang auf den Fall der Belieferung der bayerischen Autobahnen und Gemeinden mit Salz durch die Südwestdeutsche Salzwerke AG (SWS Süd Salz) aus Heilbronn. Bei jeder neuen Belieferung sei es ein Kampf, dass die Saline die Zentrallager der bayerischen Autobahnen nicht per LKW, sondern per Schiff beliefert. Zweckstätter: „Hier musste oftmals telefoniert und nachgehakt werden, damit die Belieferung von LKW auf Schiff umgestellt wird.“ Die Zentrallager lägen fast ausnahmslos in den Häfen. 2021 und für den Sommer 2022 sei die Belieferung ausschließlich auf LKW umgestellt worden. Keines der Zentrallager in den Häfen sei mehr eingebunden. Als Betreiber der Zentrallager habe man sich an die baden-württembergische Landesregierung und an den Bürgermeister der Stadt Heilbronn gewandt. Vergeblich. Aus dem Ministerium habe man lapidar eine abwertende und abwehrende Antwort erhalten. Aus dem Bürgermeister-Büro kam zunächst Nachricht, dass ein Gesprächstermin stattfinden könne. Dann erschien in der Presse ein der Verkehrswende in Sachen Massengut-Transporte gegenüber kritisch eingestellter Artikel. Daraufhin kippte das Bürgermeister-Büro von Heilbronn den angesetzten Gesprächstermin mit den beigeladenen Teilnehmern der Firma Süd Salz und der Reederei Schwaben. Zweckstätter: „Wie kann es sein, dass Importsalz mit dem Binnenschiff bereits erfolgreich bis nach Österreich gefahren wird, gleiches aber in Deutschland nicht möglich sein soll?“
BBT-Eröffnung in zehn Jahren
Das LKZ begeht heuer sein 25-jähriges Jubiläum: Im Jahr 1997 wurde feierlich der erste Spatenstich „auf der grünen Wiese“ zum Bau des LKZ gesetzt. Das Symposium findet seit 2000 alle zwei Jahre statt. Das LKZ ist ein Innovationszentrum für Logistik, Verkehr und Mobilität mit interdisziplinärer Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft und internationaler Ausrichtung. Die LKZ Prien GmbH entwickelt, steuert und koordiniert umfassendes Logistik-Know-how als innovativer Projektentwickler. Das Expertenteam bringt alle Beteiligten der logistischen Kette an einen Tisch, konzipiert und optimiert Prozesse. Gesellschafter der LKZ Prien GmbH sind der Landkreis Rosenheim und die Marktgemeinde Prien. Der bisherige Geschäftsführer Karl Fischer wurde auf dem 12. Symposium feierlich in den Ruhestand verabschiedet, seine Nachfolgerin Dr. Petra Seebauer ins Amt eingeführt. Die Schwerpunkte der LKZ Prien GmbH liegen in den Bereichen:
- nachhaltiger Güterverkehr,
- Kombinierter Verkehr,
- alpenquerender Güterverkehr,
- Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene,
- innerbetriebliche Logistikprozesse,
- Vernetzung von Verkehrsträgern,
- urbane und städtische Mobilitätslösungen,
- Regionalentwicklung,
- Prozesse im Baugewerbe,
- Versorgungsprozesse in Kliniken, bei Rettungsdienst und Katastrophenschutz, u.v.m.
Außerdem werden Projekte für an das LKZ angeschlossene Partner – vom Erstkontakt bis zur Umsetzung – akquiriert und umgesetzt. Mit dieser übergreifenden Zusammenarbeit werde die Wettbewerbsfähigkeit von Firmen und Regionen im Zukunftsfeld Logistik gestärkt sowie Arbeitsplätze und Standorte sowohl bei den Kunden als auch im LKZ-Netzwerk gesichert. Das nächste Symposium ist turnusgemäß für den 7. bis 8. Mai 2024 geplant – ob bis dahin auch die Frage nach dem Kamel und seiner Durchlauffähigkeit durch ein Nadelöhr beantwortet sein wird, bleibt abzuwarten.