09.10.2019

Negative Strompreise und wie sie entstehen

Tauchsieder in die Elbe? Irgendwo muss zu viel produzierter Strom ja hin. Eine andere Möglichkeit: den Strom verkaufen, wenn nötig zu Negativpreisen, will heißen: für Abnahme draufzahlen, wenn Kraftwerkbetreiber nicht flexibel auf Börsenpreise reagieren können.

Wie negative Strompreise entstehen

Energieerzeugung ohne CO2

Deutschland will CO2-frei werden. Um dieses Ziel zu erreichen, erfährt das deutsche Stromversorgungssystem seit einiger Zeit eine Strukturveränderung auf eine Energieerzeugung ohne CO2 und nicht-nuklear. Derzeit beobachten Wissenschaftler, dass ein gewisser Teil der Einspeisung aus konventionellen Kraftwerken nur unflexibel auf Börsenpreise reagiert. Stattdessen speisen sie sogar noch bei negativen Börsenpreisen ein. Negative Strompreise bedeuten, dass Betreiber von Kraftwerken dafür gezahlt haben, dass ihnen Strom abgenommen wurde.

Einspeiseleistung aus direkt netztechnischem Grund

Die Bundesnetzagentur hat dieses Phänomen in ihrem Bericht über die Mindesterzeugung untersucht. Die Mindesterzeugung entspricht der Einspeiseleistung aus direkt netztechnischem Grund oder bei einer Systemdienstleistung. Sie kann man daher nicht vom Netz nehmen.

Etwas anderes ist der sogenannte konventionelle Erzeugungssockel. Dieser umfasst ebenfalls preisunelastische Kraftwerksleistung, die selbst bei negativen Börsenpreisen Strom erzeugt. Die Gründe hierfür können beispielsweise Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Börse wie Wärmebelieferung und Eigenversorgung sein.

Die Bundesnetzagentur hat am 7. Oktober 2019 den Bericht über die Mindesterzeugung veröffentlicht. Darin werden Perioden mit negativen Strompreisen von 2016 bis 2018 analysiert. Viele Kraftwerke reagieren demnach nur eingeschränkt auf Börsenstrompreise.

„Dies liegt häufig an fehlender Flexibilität durch Wärmelieferverpflichtungen“,

erklärt Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur in einer Pressemitteilung.

Konventionelle preisunelastische Erzeugungsleistung

Demzufolge wurden 18- bis 26 Gigawatt konventionelle Stromerzeugung eingespeist, die „konventionelle preisunelastische Erzeugungsleistung“. Für den sicheren Netzbetrieb benötigt man aber nur einen kleineren Teil dieser Erzeugung von vier bis acht Gigawatt – diesen Teil bezeichnen die Fachleute als „Mindesterzeugung“.

Damit konventionelle Kraftwerke diese bereitstellen können, müssen sie am Netz sein. Die untere Leistungsgrenze dieser Kraftwerke ist Voraussetzung zur Bereitstellung von Mindesterzeugung. Sie machte im untersuchten Zeitraum 28 bis 43 Prozent der gesamten konventionellen preisunelastischen Erzeugungsleistung aus.

Negative Strompreise und konventioneller Erzeugungssockel

Der überwiegende Anteil der konventionellen Stromerzeugung in den analysierten Perioden mit negativen Strompreisen ist dem „konventionellen Erzeugungssockel“ von 14 bis 19 Gigawatt zuzuordnen. Die am Netz befindlichen Kraftwerke haben ihre Einspeisung zeitweise bis auf ihr gemeldetes technisches Minimum gesenkt. Die fehlende Flexibilität dieser Kraftwerke bestimmt maßgeblich die Höhe des konventionellen Erzeugungssockels.

In den zurückliegenden Jahren haben laut Bundesnetzagentur einige Betreiber bereits in die Flexibilisierung ihrer Anlagen investiert. Weitere Investitionen der Kraftwerksbetreiber könnten den konventionellen Erzeugungssockel weiter verringern. Wärmelieferverpflichtungen stehen also häufig einer flexibleren Fahrweise entgegen.

Eine Befragung der Kraftwerksbetreiber hinsichtlich ihrer Einsatzentscheidung bei einem hypothetischen Börsenpreis von -100 Euro/Megawattstunde (MWh) zeigte, dass insbesondere Betreiber von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) auch bei länger anhaltendem negativen Börsenpreis weiter Strom einspeisen würden. Anreize aus Regelungen zur Eigenerzeugung halten ebenfalls als Grund dafür her, negative Strompreise in Kauf zu nehmen.

Integration der Erneuerbaren Erzeugung

Bezogen auf Engpasssituationen hat die Bundesnetzagentur den Zusammenhang zwischen Mindesterzeugung und Einspeisevorrang bei erneuerbaren Erzeugungsanlagen (EE) untersucht. Ein nennenswerter Teil der EE-Abregelungen (39 bis 88 Prozent) war demnach auf Engpässe zwischen Übertragungs- und Verteilernetz zurückzuführen. In diesen Fällen sei das Abregeln von konventionellen Kraftwerken auf Übertragungsnetzebene wirkungslos.

Daher sollte man spezifische Anreize für eine zügige Beseitigung von solchen Engpässen schaffen, raten die Forscher – besser, als mit dem Tauchsieder in der Elbe herunter zu regeln.

Weiterführende Beiträge

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)