Logistik-Branche erwartet Abschwung
Die Logistik-Branche blickt pessimistisch in die Zukunft – zum Teil. Insgesamt sieht sie sich aber robust dafür gewappnet. Was alle eint, ist der Mangel an Fachkräften und Fahrern in einem von Inflation geprägten Marktumfeld. Doch hat der Fachkräftemangel auch positive Seiten.

Zwei Drittel auf Herausforderungen vorbereitet
Jedes dritte Logistik-Unternehmen rechnet derzeit mit einem Abschwung. Eine Zweidrittelmehrheit will sich aber bereits darauf eingestellt haben. Das geht aus dem aktuellen Trendindex der Fachmesse „transport logistic“ (München 9. bis 12.05.2023) hervor. An einer Online-Befragung im Januar für den Index haben laut einer Pressemitteilung des Unternehmens mehr als 2.500 Dienstleister, Verlader und Ausrüster ihre Einschätzung der Lage abgegeben. Demnach rechnet die Branche mit allen Eventualitäten:
- Rund drei Viertel erwarten weitere Störungen in den Lieferketten.
- Ebenso viele könnten jedoch eine weitere Verschärfung durch den Krieg in der Ukraine ohne wirtschaftliche Folgen abfedern.
Die Logistik beweist nach Ansicht der Meinungsforscher damit, dass sie ihre Probleme und die anderer lösen kann, wenn man sie ließe. Was alle eint, ist:
- Mangel an Fachkräften
- Mangel an Fahrern
- ein von Inflation geprägtes Marktumfeld.
Rahmenbedingungen schränken Handlungsfreiheit ein
Die größte Herausforderung für die Branche ist der Mangel an Fachkräften und Fahrern. Über alle Branchen und Unternehmensgrößen hinweg ist jeder zweite Befragte am stärksten von den Problemen des Fachkräftemangels betroffen. Ausrüster und Logistikdienstleister sowie mittlere und große Unternehmen ziehen den Durchschnitt mit über 50 Prozent nach oben. Der Mangel an Fahrern verschärft die Situation für fast jedes dritte Unternehmen. Dienstleister (38,2 Prozent) seien mehr gefordert als Verlader (28,4 Prozent).
Darüber hinaus leiden kleinere Unternehmen stärker unter Inflation, Preis- und Wettbewerbsdruck. Größere Unternehmen sehen sich eher durch die Verknappung von Energie und Rohstoffen sowie durch Störungen in der logistischen Wertschöpfungskette herausgefordert. Dies sind überwiegend makroökonomische, demografisch oder geopolitisch bedingte Probleme, die einzelne Unternehmen kaum beeinflussen können. Vor diesem Hintergrund erfasst der Trendindex die Herausforderungen der Logistikbranche.
Trommeln gehört nicht genug zum Handwerk
In Sachen Image sollte die Logistikbranche zeigen, was sie kann, empfehlen die Forschers. Ohnehin bewerten ihnen zufolge gut drei Viertel das Image der Branche als eher positiv und gehen dabei von einer weiteren Verbesserung aus. Gleichzeitig bezeichneten über 40 Prozent der Befragten die Logistik nicht als attraktiven Arbeitgeber. Es kranke am Arbeitgeberimage, klagt jeder dritte Logistiker auf Dienstleisterseite und jeder Zweite bei den Verladern. Dabei könnte sich die Branche in Punkto Arbeitgeberimage etwas lauter trommeln. Denn neun von zehn Befragten würden das eigene Unternehmen weiterempfehlen. Leider glaubt nur die Minderheit, dass das die Suche nach Fachkräften generell erleichtert.
Logistikketten unter Druck
Mehr als jedes vierte Unternehmen belasteten zusätzlich zum Fachkräfte- und Fahrermangel:
- die steigende Inflation (29 Prozent)
- der zunehmende Preis- und Wettbewerbsdruck (28 Prozent).
Diese Themen zählen für zwei Drittel der kleinen und mittleren Unternehmen zu den größten Herausforderungen. Anders sieht die Rangfolge bei den Großunternehmen mit 1.000 und mehr Beschäftigten aus. Hier rangierten nach dem allgegenwärtigen Mangel an Personal vor allem Rohstoff- und Energieknappheit (31 Prozent) sowie gestörte Lieferketten (26 Prozent) unter den Top 3.
Innovation entsteht im Kleinen
Die City-Logistik zeigt, wie die Logistik der Zukunft schon heute smart, schnell und sauber gestaltet werden kann. Der Trendindex deckt auf, worauf es dabei besonders ankommt:
- Im Mittelpunkt stehen die Kooperation mit anderen Akteuren (26 Prozent) und
- der Einsatz von Antriebsalternativen (24 Prozent).
- Darüber hinaus muss die Logistik anbieterübergreifend bündeln (18 Prozent) und
- Warenströme verlagern können (15 Prozent).
Was im Kleinen funktioniert, gilt auch für die großen Logistikketten. „Für einen großen Teil unserer Herausforderungen braucht es mehr Zusammenarbeit in der Logistikkette“, erklärt Axel Plaß, Präsident des Bundesverbandes Spedition und Logistik (DSLV). Auf der transport logistic kämen alle Beteiligten an einen Tisch, um gemeinsam mit Ausrüstern, Verladern und Empfängern Ideen zu entwickeln. „Eine gemeinsame Nutzung der Ressourcen ist so bestmöglich sichergestellt“, so der Logistiker.
Messe wichtiger denn je
Rund drei Viertel der Befragten seien in Führungspositionen auf der Suche nach Lösungen für weitere große Herausforderungen. Dazu zählen laut Trendindex
- Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Energieeffizienz (19 Prozent),
- zunehmende Bürokratie (18 Prozent),
- Digitalisierung von Geschäftsprozessen (17 Prozent),
- Informations- und IT-Sicherheit inklusive Cybersicherheit (14 Prozent) sowie
- zunehmender Zeitdruck bei Lieferungen und Projekten (8 Prozent).
Gemeinsam ließen sich Probleme besser lösen, weshalb persönliche Treffen seit dem Ende der Corona-Pandemie deutlich an Bedeutung gewonnen hätten. Branchenveranstaltungen seien für drei Viertel gleich und für jeden zweiten Befragten sogar wichtiger denn je. Kooperationen entlang der Supply Chain rückten in den Fokus.
Logistiker packen Probleme an
Stefan Rummel, Geschäftsführer der Messe München, zieht folgendes Fazit aus den Ergebnissen der Umfrage: „Die Logistik kann ihren Platz als drittgrößte Branche selbstbewusst einnehmen. Dazu kann jedes einzelne Unternehmen beitragen, indem es positiv auf die Erfolge aufmerksam macht. Logistiker packen Probleme an und optimieren Prozesse. In Zeiten knapper werdender Ressourcen ist das wichtiger denn je.
Auf der transport logistic kann die Logistikindustrie vier Tage lang zeigen, wie attraktiv und innovativ sie ist.“ An der Online-Befragung beteiligten sich von den 2.556 Ausstellern und Besuchern der transport logistic 2019 und 2023 75 Prozent leitendes Personal und etwa zur Hälfte aus dem Ausland. Logistik, Ausrüster und Verlader sind im Verhältnis 60:15:25 vertreten. Nach Mitarbeiterzahlen (1 bis 249, 250 bis 999, 1000+) nahmen kleine, mittlere und große Unternehmen im Verhältnis 50:15:35 teil. Das Meinungsinstitut ifaD hat die Onlineumfrage vom 12. bis 25. Januar 2023 durchgeführt.
Gefahr für den Wohlstand in Deutschland
Der zunehmende Arbeitskräftemangel wird gemeinhin als Gefahr für den Wohlstand in Deutschland angesehen. Dementsprechend richten sich politische Gegenmaßnahmen eher darauf, zusätzliche Arbeitskräfte zu gewinnen als darauf, den Bedarf an Arbeitskräften zu verringern. Wie Prof. Dr. Joachim Ragnitz, stellvertretender Geschäftsführer der Niederlassung Dresden des ifo Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V. in einem Aktuellen Kommentar für sein Haus schreibt, hat Deutschland in den kommenden Jahren einen enormen Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften.
Als Grund hierfür gibt er an, dass die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach in die Rente gingen und die nachrückenden zu schwach besetzt seien, um dies ausgleichen zu können. Ragnitz: „Um die Zahl der Personen im Erwerbsalter bis 2040 auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten, müssten pro Jahr 490.000 Personen zwischen 20 und 66 Jahren zuwandern.“ Es sei schwer vorstellbar, dass dies zu schaffen sein wird, weil:
- viele potenzielle Herkunftsländer ähnliche demografische Probleme aufweisen wie Deutschland,
- eine Zuwanderung in dem erforderlichen Umfang aus anderen Kulturkreisen erhebliche Integrationsprobleme aufwerfe.
- zuwandernde Arbeitskräfte fehlen dann in ihren Heimatländern, eine Art „beggar-my-neighbor“-Politik, die die Entwicklungsmöglichkeiten der Herkunftsländer beeinträchtigen könnte und nicht zu den sonstigen Prinzipien der deutschen Außenpolitik passe.
Nettozuwanderung reicht nicht
Die Nettozuwanderung in bisherigem Umfang beziffert der Wissenschaftler auf rund 340.000 Personen pro Jahr. Selbst wenn es gelänge, eine solche im Zeitraum von 2017 bis 2021 zu erreichen, gäbe es im Jahr 2040 rund 3,4 Millionen potenzielle Arbeitskräfte weniger als derzeit. Ragnitz: „Natürlich ist es deshalb wichtig und richtig, dass man über Maßnahmen zur Deckung dieses Arbeitskräftedefizits nachdenkt.“ Dazu zählt er:
- bessere Ausschöpfung vorhandener Erwerbspotenziale z. B. durch
- Abbau unfreiwilliger Teilzeitarbeit und
- Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
- Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit von bereits hier lebenden Migranten
- Erhöhung der Attraktivität Deutschlands als Arbeitsort für qualifizierte Zuwanderer
- Abbau von Fehlanreizen im Steuer- und Transfersystem könne helfen, das Arbeitskräfteangebot zu erhöhen.
Dennoch werde sich die deutsche Wirtschaft darauf einstellen müssen, dass künftig nicht mehr alle freiwerdenden Arbeitsplätze besetzt werden können.
Den zunehmenden Arbeitskräftemangel sieht der Wissenschaftler als Chance für eine Modernisierung der deutschen Wirtschaft. Wenn Arbeitskräfte fehlen, erhöhe dies den Anreiz, für einen effizienteren Einsatz der noch vorhandenen Arbeitskräfte zu sorgen, etwa durch:
- Vermittlung relevanter Qualifikationen,
- bessere technische Ausstattung der Arbeitsplätze
- Entwicklung und Einsatz arbeitssparender Technologien.
- Strukturwandel, der weniger produktive Unternehmen aus dem Markt drängt und damit Arbeitskräfte für rentablere Verwendungen freisetzt.
Mehr Lohn, mehr Arbeitskräfte
Der zugrundeliegende Mechanismus sei in allen diesen Fällen derselbe. Werden Arbeitskräfte knapper, steige ihr Preis, sprich der Lohn. Unternehmen müssten deshalb höhere Löhne bieten, um freiwerdende Stellen besetzen zu können. Zur Vermeidung innerbetrieblicher Spannungen gelte dies im Zweifel für alle Beschäftigten eines Betriebes. Höhere Arbeitskosten gäben wiederum einen Anreiz zur Substitution von Arbeit durch Kapital und Technologie. Folge, so Ragnitz: eine Steigerung der Arbeitsproduktivität. Dies sei das alte Argument der „Produktivitätspeitsche“, welches von Gewerkschaftsseite in der Vergangenheit häufig zur Begründung hoher Lohnforderungen vorgebracht worden sei. Ragnitz: „Bei andauernder Arbeitslosigkeit war das natürlich falsch, bei Arbeitskräfteknappheit hat diese Argumentation aber durchaus ihre Berechtigung.“