Künstliche Intelligenz: Bundesregierung investiert in Schlüsseltechnologie
Better late than never – bis vor kurzem schien es noch, als würde Deutschland nach der E-Mobilität auch die Künstliche Intelligenz verschlafen. Doch jetzt hat die Bundesregierung ein Aufbruchsignal gegeben. Bis 2025 will sie rund drei Milliarden Euro dafür locker machen.

Mensch im Mittelpunkt
Im vergangenen Jahr kündigte China an, die globale Führung beim Thema Künstliche Intelligenz (KI) bis 2030 übernehmen zu wollen. In diesem Jahr preschte Frankreich in Europa mit Milliardeninvestitionen vor. Nun gibt laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ auch Deutschland die Zurückhaltung auf. Die Bundesregierung will demnach in den kommenden Jahren deutlich mehr tun, um die Schlüsseltechnologie des Jahrhunderts voranzutreiben. Bis 2025 will sie Erforschung und Einsatz neuer Technologien mit rund drei Milliarden Euro fördern, beschloss das Kabinett jetzt. Die Bundesregierung hat in diesem Jahr zu einem „Digital-Gipfel“ nach Nürnberg geladen, um ihr Konzept vorzustellen. „Made in Germany“ solle auch bei der Künstlichen Intelligenz ein Markenzeichen sein, zitiert das Blatt Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Mensch solle dabei aber im Mittelpunkt stehen und die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft weiter gelten.
Medizintechnik, automatische Autos, lernende Maschinen
Neue Präzision in der Medizintechnik, automatische Autos, lernende Maschinen und kommunizierende Roboter – all das soll künftig auch aus Deutschland kommen. Die Bundesregierung erwarte einen rasanten Wandel durch die Digitalisierung mit massiven Folgen für den Arbeitsmarkt. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezifferte dem Bericht zufolge den Verlust von herkömmlichen Arbeitsplätzen durch Automatisierung und den Einsatz künstlicher Intelligenz bis 2025 auf etwa 1,6 Millionen. Gleichzeitig entständen etwa 2,3 Millionen neue Arbeitsplätze in Deutschland. Künstliche Intelligenz ist ein Sammelbegriff für Computersysteme, die in der Lage sind, Probleme eigenständig zu erfassen und zu lösen.
Forschungsergebnisse schneller in tatsächliche Anwendungen bringen
Als eines der wichtigsten Ziele der Strategie will man Forschungsergebnisse schneller in tatsächliche Anwendungen bringen. Zentraler Punkt sei die Wissensvermittlung an kleine und mittelständische Unternehmen. Die Anstrengungen sind nach Einschätzung der Regierung dringend nötig. Das Gros der Unternehmen in Deutschland habe bislang noch keine KI-Erfahrung. Von den Investitionen erhofft sich die Bundesregierung auch einen Effekt in der Industrie. Zu jedem staatlichen Euro solle ein privater kommen.
Digitalgipfel mit Schwerpunkt KI
Der diesjährige Digitalgipfel hat Künstliche Intelligenz zum Schwerpunkt. Die Aufstockung ist dringend nötig, kommentiert das „Handelsblatt“. Bisher gebe es viele Worte, aber wenig Taten. Das Blatt bezieht sich auf Zahlen der Bundesregierung. Danach seien die Investitionen derzeit gering. Das Forschungsministerium plane für 2019 gerade mal mit 61,5 Millionen Euro. Und das ist unter allen Ressorts schon die größte Summe. Es folgt das Wirtschaftsministerium mit knapp 30 Millionen Euro. Für weitere 50 Millionen Euro ist noch unklar, wofür und von welchem Ministerium sie verwendet werden sollen. Insgesamt hat die Bundesregierung nur 142 Millionen Euro im Haushalt 2019 für die Förderung der Künstlichen Intelligenz eingeplant, zitiert die Zeitung aus einem Schreiben von Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär im Forschungsministerium. Zum Vergleich: Der Bundesetat 2019 sieht insgesamt Ausgaben von 356 Milliarden Euro vor.
Kritik von Opposition und Wirtschaft
Die Opposition wirft der Regierung angesichts schlechter Netze vor, zu spät zu reagieren. Die Koalition schaue bei Missständen zu und lasse Potenziale der Digitalisierung verstreichen.
„Wenn die Bundesregierung nicht langsam aufwacht und die Digitalisierung endlich als zentrales Zukunftsthema begreift, müssen wir uns nicht wundern, wenn wir schon bald nicht mehr in der wirtschaftlichen Champions-League mitspielen“, sagt der FDP-Abgeordnete Christian Dürr.
Auch die Wirtschaft fordert mehr Engagement.
„Die KI-Strategie geht in die richtige Richtung“, so Tanja Rückert, Leiterin des Geschäftsbereichs Building Technologies bei Bosch und Lenkungskreismitglied in der Plattform Lernende Systeme, im Gespräch mit dem „Handelsblatt“.Hans-Georg Krabbe, Vorstandsvorsitzender von ABB Deutschland und Lenkungskreismitglied der Plattform Industrie 4.0, forderte, dass Pilotprojekte im Bereich KI stärker unterstützt werden müssten.
„Wir haben ja konkrete Beispiele, wo Künstliche Intelligenz einen Mehrwert bietet, etwa bei der Steuerung von Schiffen oder der Fehlersuche in Produktlebenszyklen“, so Krabbe.Die Bundesregierung falle bisher vor allem durch die Schaffung zahlreicher neuer Gremien auf wie des Digitalrats und einer Enquete-Kommission zur Künstlichen Intelligenz, die die Bundesregierung beraten sollen.
Rückert und Krabbe begrüßten dieses Engagement, sehen aber auch Gefahren. „Wir müssen aufpassen, dass man sich nicht verzettelt und der eine auf den anderen wartet. Ich hoffe, dass die vielen Aktivitäten auch gut koordiniert werden“, so Bosch-Managerin Rückert. Eine Sorge, die auch ABB-Deutschlandchef Krabbe teile. Er hofft, dass die Bundesregierung aus dem Durcheinander in der vergangenen Legislaturperiode gelernt hat und nicht wieder aneinander vorbei arbeitet.
Vorsichtiges Lob vom Branchenverband Bitkom
Der Digitalverband Bitkom hat an Politik und Wirtschaft appelliert, die Chancen neuer Technologien wie Blockchain und Künstliche Intelligenz noch stärker zu nutzen. Mit ihrer KI-Strategie und dem Gipfel habe die Bundesregierung ein deutliches Aufbruchssignal gegeben. Die Botschaft lautet:
„Deutschland will KI – und Deutschland kann KI“, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg laut einer Pressemitteilung seiner Organisation.
Geteiltes Echo in der Bevölkerung
Deutschlands Wirtschaft hängt nach Ansicht einer großen Mehrheit der Bundesbürger vom Einsatz Künstlicher Intelligenz ab. Zwei Drittel (64 Prozent) sind laut einer Bitkom-Umfrage der Meinung, dass der Wohlstand hierzulande in Gefahr gerät, wenn Deutschland bei der Künstlichen Intelligenz nicht zu den führenden Nationen gehört. Zugleich sehen vier von zehn Befragten (44 Prozent) die Bundesregierung in der Pflicht, Regeln für den Einsatz von KI aufzustellen. Jeder Dritte (35 Prozent) sieht diese Aufgabe bei internationalen Organisationen wie der EU oder Uno.
Nur eine Minderheit möchte damit unabhängige Prüforganisationen (9 Prozent) oder Richter (fünf Prozent) betrauen, gerade einmal zwei Prozent die Programmierer von KI-Anwendungen und einem Prozent die Unternehmen.
„Wir brauchen eine politische Flankierung, die KI fördert. KI ist eine riesige Chance für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft“, so Berg.Von KI-Anwendungen könne jeder Einzelne profitieren: ob als Fahrgast in einem selbstfahrenden Auto, als Patient, als Bewohner eines smarten Zuhause oder als Schüler, Student oder lebenslang Lernender.“
Was bedeutet Künstliche Intelligenz eigentlich?
In Unternehmen, aber auch in der Politik gebe es allerdings häufig noch Unsicherheit darüber, was genau sich hinter dem Begriff KI verbirgt und welchen konkreten Nutzen Unternehmen aus ihrem Einsatz ziehen können. Bitkom hat aus diesem Grund anlässlich des Digitalgipfels ein „Periodensystem der Künstlichen Intelligenz“ veröffentlicht. Darin werden insgesamt 28 Elemente vorgestellt, die Teil von KI sind – von Category Learning bis Speech Recognition. Für jedes einzelne Element wird auf insgesamt 100 Seiten beschrieben, was es leistet, wie es sich im Unternehmen einsetzen lässt und welche wirtschaftliche Bedeutung es derzeit hat und künftig haben wird.
Berg: „Wir wollen mit dem Periodensystem der KI Mut machen, schon heute KI einzusetzen, damit zu experimentieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.“
Die besten KI-Experten für Deutschland
Dazu sei auch erforderlich, dass Deutschland die besten KI-Experten gewinnt, um an Hochschulen und in Instituten zu forschen und zu lehren.
„Und es muss gelingen, diese hier ausgebildeten Spezialisten im Land zu halten. Dabei sind die Unternehmen gefragt, sehr attraktive Aufgaben und Arbeitsbedingungen zu schaffen“, sagte Berg.Zugleich appellierte Berg auf dem Digitalgipfel dafür, die beste Infrastruktur für eine erfolgreiche Digitalisierung aufzubauen.
Berg: „Wir müssen weg vom ‚Wünsch-Dir-Was‘-Modus und stattdessen etwa beim 5G-Rollout jetzt die richtigen Weichen stellen: mit klaren Prioritäten auf Ballungsräume, Betriebsgelände, vielbefahrene Straßen und Bahntrassen sowie Krankenhäuser.“
Vom Digitalgipfel sind schon in der Vergangenheit zahlreiche wichtige Initiativen für das digitale Deutschland ausgegangen. Neben den ersten Smart Schools gehört dazu die Digital-Hub-Initiative zur Digitalisierung der deutschen Leitindustrien. Im vergangenen Jahr wurde auf dem Digitalgipfel mit Darmstadt die Siegerstadt des Wettbewerbs „Digital Stadt“ ausgezeichnet.
Siemens treibt Entwicklung voran
Unterdessen treiben Hersteller wie Siemens die digitale Transformation in der Fertigungs- und Prozessindustrie weiter voran. Das Unternehmen baut derzeit sein Digital-Enterprise-Portfolios aus.
„Immer mehr Industrieunternehmen, insbesondere aus dem Mittelstand, sind auf dem Weg zur Industrie 4.0 und erhöhen schon jetzt mit digitalen Lösungen ihre Wettbewerbsfähigkeit.“, erklärte Klaus Helmrich, Mitglied des Vorstands der Siemens AG laut einer Mitteilung des Unternehmens.Dies betreffe alle Branchen mit sich schnell wandelnden Marktanforderungen, wo zunehmend Produkte in kleinerer Stückzahl schnell und flexibel hergestellt werden müssen. Mit der weiteren Integration von Technologien wie Künstlicher Intelligenz und Edge Computing in das Portfolio stelle man die Weichen für die Zukunft der Industrie.
Künstliche Intelligenz unterstützt bei digitaler Transformation
Durch die Integration von KI-Technologien unterstützt Siemens Kunden bei ihrer digitalen Transformation. Erste KI-Anwendungen sind bereits bei Siemens im Einsatz. Mit KI auf Basis von Edge-Geräten werden im Siemens Elektronikwerk Amberg ungeplante Maschinenstillstände durch Motorlagerschäden an Leiterplatten-Fräsmaschinen mithilfe vorausschauender Wartungsmaßnahmen um 100 Prozent reduziert. Zudem bringt Siemens ein neues Modul mit integriertem, KI-fähigem Chip für die Simatic-S7-1500-Steuerung auf den Markt. Durch die Anwendung von Machine-Learning-Algorithmen lassen sich so beispielweise Qualitätskontrollen und Roboter-basierte Handling-Vorgänge optimieren.