Kritik an Gaspreisbremse nimmt zu
Kanzler Scholz schreibt ein Machtwort. Die Nation erzittert. Die Parteien murren. Wird es über den Winter retten? Die Stromversorgung vielleicht. Die Versorgung mit Gas weniger. Eine Preisbremse soll seinen Kauf sichern. Kritik daran wird schärfer. Was hier fehlt: der Ukas vom Kanzler.

Industrie und Mittelstand leiden
Hauptleidtragender der ins Uferlose steigenden Gaspreise sind Industrie und vor allem der Mittelstand. Von den 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland gelten 98 Prozent als kleinere und mittlere, berichtet n-tv:
- Sie beschäftigen Abermillionen Menschen.
- Sie bilden überproportional aus.
- Die Unternehmerfamilien übernehmen häufig vor Ort Verantwortung.
- Nachhaltigkeit ist kein Modewort, sondern Haltung. Die Unternehmer denken in Generationen, nicht in Jahresabschlüssen.
- Innovation gehört zur Identität des Mittelstandes.
- Kompetenz, Kreativität und Fleiß bildeten das Fundament, Kriege und Krisen zu überstehen.
Alles steht und fällt mit der wirtschaftlich vernünftigen Verfügbarkeit von Energie: Öl, Holz, Strom – Gas. Die Insolvenzwelle rollt bereits:
- Bäckereien machen dicht.
- Gießereien stehen vor dem Aus.
- Markenhersteller wie Toilettenpapier-Hersteller Hakle – seine Produkte waren vor gut einem Jahr noch begehrtes Objekt einer bundesweiten Hamsterkaufwelle – schließen.
- Hersteller drosseln flächendeckend die Produktion:
- Laut n-tv Stahl bislang fünf Prozent,
- Chemie acht Prozent,
- Düngemittel 70 Prozent.
- Wer ins Ausland verlagern kann, sieht kaum noch einen anderen Ausweg.
- Immer weniger Firmen können ihre Rechnungen noch pünktlich zahlen.
Ausfallrisiko steigt wöchentlich
Das Ausfallrisiko bei den Unternehmen steigt wöchentlich, meldet Creditreform. Die Wirtschaft hat den Abgrund vor Augen. Angesichts der stark gestiegenen Energiepreise hat sich die Stimmungslage im deutschen Mittelstand deutlich verschlechtert. Die aktuelle Herbstumfrage der Creditreform Wirtschaftsforschung bei gut 1.200 kleinen und mittleren Unternehmen zeigt einen markanten Rückgang des Geschäftsklimaindex (CGK) von plus 25,2 Punkten im Vorjahr auf aktuell nur noch plus 3,1 Punkte. Der Einbruch war ähnlich stark wie im Corona-Jahr 2020. Die Auftrags- und Umsatzlage im Mittelstand zeigt Krisenanzeichen. Dabei ist der Energienotstand noch keineswegs vollumfänglich auf die Geschäftslage der Unternehmen durchgeschlagen:
- Gut ein Drittel der Befragten (34,1 Prozent) meldet noch einmal ein Umsatzplus, allerdings bedeutend niedriger als im Vorjahr mit 42,5 Prozent.
- 21 Prozent der Unternehmen verzeichneten Umsatzeinbußen (Vorjahr: 12,6 Prozent).
- Nur 23,6 Prozent verbuchten steigende Auftragsbestände (Vorjahr: 38,2 Prozent)
- 25,2 Prozent einen Rückgang (Vorjahr: 12,0 Prozent).
Mittelstand pessimistisch
Noch stärker als die Lageeinschätzungen haben sich laut Creditreform die Geschäftserwartungen im Mittelstand verschlechtert. Vielfach blicken die befragten Unternehmen pessimistisch in die Zukunft:
- 14,7 Prozent der Unternehmen rechnen mit steigenden Auftragseingängen (Vorjahr: 28,9 Prozent).
- 26 Prozent erwarten in den nächsten Monaten weniger Aufträge, vorrangig begründet in den Preissteigerungen infolge der Inflation.
- 25,2 Prozent rechnen mit weniger Umsatz. Zum Vergleich: im Vorjahr tat dies noch 9,1 Prozent. D
- Die Investitionsbereitschaft ist ebenfalls zurückgegangen. Nachdem im Vorjahr noch 51,6 Prozent der Befragten ein Investitionsvorhaben planten, ist dieser Anteil auf 46,2 Prozent gefallen.
- Personaleinstellungen planen noch 20,6 Prozent der Befragten – im Vorjahr waren es 28,3 Prozent. Jedes zehnte Unternehmen will Personal abbauen.

„Der Mittelstand befindet sich seit fast drei Jahren in einer Ausnahmesituation bisher ungekannten Ausmaßes“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Die Wirtschaft leide unter dem Energiepreisschock und der Verteuerung anderer Rohstoffe. Die Eskalationsspirale in Osteuropa verhindere die notwendige Erholung der deutschen Unternehmen nach der Corona-Zeit. Der Krieg und dessen Auswirkungen bestimmten die Konjunkturentwicklung Deutschlands unmittelbar mit. „Wirtschaftspolitische Stützungsmaßnahmen sollten trotzdem nicht nur die Liquidität der Betriebe in den Blick nehmen, sondern vor allem die Rentabilität, um mittelfristig den Krisenmodus zu durchbrechen“, so Hantzsch weiter.
Hauptthema Energiepreise
Das Hauptthema des Jahres 2022 für den Mittelstand sind die Energiepreise. Gegenüber dem Frühjahr hat sich die Wahrnehmung der Unternehmen noch stärker auf das Energiethema verlagert – von 3,2 auf 80,6 Prozent der Befragten.

Auch der Krieg in der Ukraine beschäftigt die Unternehmen weitaus stärker als im Frühjahr (32,5 Prozent; Frühjahr 2022: 4,0 Prozent). An zweiter Stelle der wichtigsten Themen steht die Inflationsrate (73,0 Prozent). Weiterhin im Fokus stehen noch der Fachkräftemangel (63,2 Prozent) und die Lieferschwierigkeiten (62,5 Prozent).
Gaspreisbremse soll retten
Am 10.10.2022 hat die von der Bundesregierung einberufene Gaskommission ihren Vorschlag zur Gaspreisbremse vorgelegt.
Über ein Wochenende arbeitete die Kommission für 20 Millionen Haushalte, Gewerbetreibende und Firmen ein Erste-Hilfe-Paket aus. Das Ergebnis zeigt „eine Kombination aus Schrotflinten-Schnellschuss und späterer, befristeter Preissubventionen“, so die Buchhaltungsplattform „Lexware“. Mehr als Milderung von ersten trauen die Beobachter dem Vorschlag allerdings nicht zu. Sich dauerhaft darauf zu verlassen, dass jetzt für lange Zeit alles gut wird, wäre ein Fehler. Zwar habe sich die Gewissheit durchgesetzt, dass Gas in ausreichender Menge zur Verfügung stehe, trotz Lieferstopp aus Russland.
Laut Lexware sieht der Vorschlag der Kommission ein zweistufiges Modell vor:
- Eine Einmalzahlung im Dezember: der Bund soll in einem ersten Schritt Abschlagszahlungen im Dezember 2022 auf Gas und Fernwärme übernehmen. Diese Einmalzahlung erfolgt nicht in Höhe des tatsächlichen Verbrauchs im Dezember. Stattdessen soll ihre Höhe auf Basis des Verbrauchs der Abschlagszahlung im September ermittelt werden. Die Zahlung des Staates soll dann direkt an die Versorger gehen. Im Gegenzug verzichten diese auf die Abschlagszahlungen. Diese Einmalzahlung gilt allerdings nur für Privathaushalte sowie kleine und mittlere Unternehmen. Für Industrie-Unternehmen gelten andere Regelungen.
- Bremse durch Deckelung des Gaspreises ab März 2023: In einem zweiten Schritt soll ab März oder spätestens April 2023 eine Preisbremse für Gas und Fernwärme in Kraft treten. Sie ist bis mindestens Ende April 2024 angedacht. In diesem Zeitraum gilt dann für eine bestimmte Grundmenge an verbrauchtem Gas ein staatlich garantierter Bruttopreis von zwölf Cent pro Kilowattstunde. Für Fernwärme liegt der Preis bei 9,5 Cent. Darin sind Steuern und Abgaben auf Gas und Fernwärme enthalten. Die Grundmenge, für die der reduzierte Preis gelten soll, liegt bei 80 Prozent des Verbrauchs bei der Abschlagszahlung für September 2022. Wird mehr verbraucht als diese Grundmenge, fällt für diesen Mehrverbrauch der Marktpreis in all seiner tatsächlichen Höhe an. So soll die Gaspreisbremse dazu anhalten, den Verbrauch entsprechend zu senken.
Gaspreisbremse für Industrieunternehmen im Januar 2023.
Für Industrieunternehmen soll ein einstufiges Modell gelten. Für sie tritt die Gaspreisbremse bereits ab Januar 2023 in Kraft. Sie sollen die Kilowattstunde Gas für sieben Cent beim Beschaffungspreis erhalten, was laut Industrieverband einem Endverbraucherpreis von zwölf Cent entspricht. Dafür erhalten sie keine Einmalzahlung im Dezember. Das Grundkontingent für Industrieunternehmen liegt bei 70 Prozent des Verbrauchs, den sie im Jahr 2021 hatten. Unternehmen, die verbilligtes Gas erhalten, können dieses auch weiterverkaufen. Dafür müssen sie allerdings im Gegenzug Garantien abgeben, wie z. B. den Erhalt des Standortes.
Zum Schutz von Mietern und Eigentümern soll es von Anfang Januar bis Ende Februar spezielle Hilfsfonds geben. Unter anderem soll es eine zinslose Liquiditätshilfe für Mieter geben, die durch die steigenden Energiepreise trotz den Entlastungen weiterhin finanziell überfordert sind. Für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen ist ebenfalls ein Hilfsfonds vorgesehen. Ursprünglich hatte die Bundesregierung eine Gasumlage geplant, die am 1. Oktober in Kraft treten sollte. In diesem Zuge wurde eine Mehrwertsteuersenkung auf Gas und Fernwärme auf den Weg gebracht. Von diesen Planungen soll die Mehrwertsteuersenkung als zusätzliche Entlastungsmaßnahme weiter bestehen bleiben. Sie wurde von Bundestag und Bundesrat verabschiedet und tritt rückwirkend zum 1. Oktober in Kraft. Die Mehrwertsteuersenkung soll bis März 2024 gelten. In dieser Zeit fallen statt der sonst üblichen 19 Prozent nur sieben Prozent Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme an.
Sollten die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen so umgesetzt werden, rechnen die Fachleute von Lexware mit Gesamtkosten in Höhe von etwa 90 Milliarden Euro. Finanziert werden soll die Gaspreisbremse über den bestehenden Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF).
Gießkannenlösung, nicht sozial ausgewogen
Während die Bundesregierung den Vorschlag zum Gaspreisdeckel positiv bewertet, gibt es auch viele kritische Stimmen. Ein großer Kritikpunkt ist der, dass die Vorschläge nicht ausreichend sozial ausbalanciert seien und mit der Einmalzahlung und der eigentlichen Gaspreisbremse eine kleine Wohnung genauso behandelt werden würde wie ein großes Einfamilienhaus. Die Kommission räumt diesen Kritikpunkt ein. Da der Staat aber nicht wisse, wer wieviel Gas verbrauche, sei die vorgeschlagene „Gießkannen-Lösung“ die einzige gewesen, die zeitnah umsetzbar sei.
Von Unternehmensseite kommt zudem die Kritik, dass die Gaspreisbremse für viele Betriebe zu spät komme. Lexware zitiert Hans-Peter Rauch, Präsident der Handwerkskammer Schwaben, mit dem Hinweis, die beschlossene Einmalzahlung an die Unternehmen reiche nicht aus, um die Firmen in ihrer Existenz zu sichern. Der Gaspreisdeckel müsse deshalb bereits im Januar 2023 kommen, ansonsten sei es zu spät. Schließlich kritisieren vor allem private Vermieter, mit der Berechnung und der Erstattung der Dezember-Abschlagszahlung überfordert zu sein.
Die Bundesregierung will die Vorschläge zur Gaspreisbremse und deren Umsetzung zeitnah beraten. Hierbei ist eine europarechtliche Prüfung notwendig. Die Ampel-Koalition hat außerdem angekündigt, den Vorschlag der Kommission an einigen Stellen nachzubessern. Unter anderem wollen sie Nutzer von Öl- und Pelletheizungen in das Hilfsprogramm aufnehmen. Welche der übrigen Kritikpunkte aufgenommen werden, bleibt abzuwarten.
Hoffnungen auf ein zweites Machtwort des Kanzlers wie bei der Frage der Laufzeit von drei Atomkraftwerken, ohnedies angesichts des ausstehenden verpflichtenden Votums des Bundestages ohne entscheidende Wirkmächtigkeit, zerstreuen die Kommentatoren. Dieses scharfe Schwert, eigentlich vorgesehen für weitreichende Entscheidungen über Krieg und Frieden mit der Alternative eines Rücktritts einer Regierung, habe Bundeskanzler Olaf Scholz ohne eine derartige Entscheidungssituation verbraucht. Es sei damit stumpf geworden. Eine zweite Verwendung wäre ohne irgendwelche Bedeutung.