13.10.2022

IW-Studie: Fakten zum deutschen Güterverkehr

Seit Jahren soll mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Doch ist der damit vornehmlich gemeinte Wechsel von Lkw zur Bahn überhaupt möglich? Dieser Frage ging das Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. (IW) im Auftrag von Pro Mobilität nach.

Güterverkehr

Gravierender Fahrpersonalmangel

Die Anteile der Transportwege in Deutschland waren im Stichjahr 2019 klar zugunsten der Straße verteilt:

  • Mehr als 84 Prozent des Frachtverkehrs bewegte der Lkw.
  • 13,6 Prozent reisten auf der Schiene oder auf dem Wasser.

Das zeigt die IW-Studie „Faktencheck Güterverkehr in Deutschland – Von der fehlenden Infrastruktur zum Verlagerungspotenzial”. Auffällig beim Transportmittel Lkw ist demnach:

  • zu 56 Prozent legt es Strecken von weniger als 50 Kilometern zurück.
  • nur acht Prozent seiner beförderten Tonnage fährt es mehr als 300 Kilometer weit. Diesen Wert finden die Forscher wichtig, wenn es um die Verlagerung des Güterverkehrs geht. Eine Transportweite ab 300 Kilometern gilt als Untergrenze für Lieferungen mit der Bahn, in USA ab 700 km.

Mehr als 84 Prozent des Frachtaufkommens wurde 2019 per Lkw transportiert. Davon entfielen fast 13 Prozentpunkte auf ausländische Lkw. Der Marktanteil ausländischer Lkw ist in zehn Jahren um 3,1 Prozentpunkte gewachsen, deutsche Lkw haben fast im gleichen Ausmaß Marktanteile aufgrund von Wettbewerbsverzerrungen verloren.

Ausländer fahren längere Strecken als deutsche LKW

Ausländische Lkw fahren längere Strecken als deutsche. Deswegen ist ihr Marktanteil gemessen an der Verkehrsleistung höher und stärker gewachsen.

  • Deutsche Lkw dominieren die Kurzstrecke. Sie kommen auf eine durchschnittliche Transportweite von 96 Kilometern.
  • Die wichtigsten Herkunftsländer ausländischer Lkw gemessen an der Frachtmenge in Tonnen sind Polen und die Niederlande. Gemessen an der Transportleistung in Tonnenkilometern sind es Lkw aus Polen und Spanien.
  • Niederländische Lkw transportieren ihre Fracht im Schnitt 244 Kilometer weit, liegen also relativ nahe an den Transporten der Deutschen.
  • In einem polnischen Truck wird eine Tonne im Schnitt 612 Kilometer weit transportiert, in einem spanischen sogar 1.657 Kilometer weit.

Auf der Langstrecke mit dem Lkw. Osteuropäer fahren Container und Holzwaren.

  • Deutsche Lkw haben die größten Marktanteile bei den bauaffinen Gütern, die auf der Kurzstrecke transportiert werden.
  • Bei allen Gütergruppen bedienen die ausländischen Lkw deutlich längere Strecken. Dies zeigt sich an den höheren Marktanteilen gemessen in Tonnenkilometern.
  • Herauszuheben ist der Transport von gefüllten Containern.
  • Deutsche Lkw transportieren Container im Schnitt gut 107 Kilometer weit.
  • Lkw aus Slowenien, Ungarn und Rumänien fahren mit einem Container im Schnitt über 600 Kilometer weit.
  • Die Daten sprechen dafür, dass osteuropäische Lkw Container für ihre Heimatländer in Duisburg abholen.

Verlagerungspotenzial fraglich

Deutsche Lkw bedienen einen ganz anderen Transportmarkt als Bahn und Binnenschiff. Der Lkw-Verkehr findet eher auf der Kurzstrecke statt, Bahn und Binnenschiff fahren lange Strecken. Schiene und Wasserstraße transportierten im Jahr 2019 etwas mehr als 600 Millionen Tonnen Fracht, was 13,6 Prozent Marktanteil entspricht. Der Marktanteil von Schiene und Wasserstraße ist gemessen an der Verkehrsleistung deutlich höher.

  • Das wichtigste Frachtgut der deutschen Lkw sind Erze, Steine, Erden und sonstige Bergbauerzeugnisse mit 922 Millionen Tonnen. Das sind etwa 50 Prozent mehr Fracht als Schiene und Wasserstraße insgesamt transportieren.
  • Erze, Steine, Erden und sonstige Bergbauerzeugnisse gehören auch für Schiene und Wasserstraße zu den fünf wichtigsten Frachtgütern. Das ist aber der einzige Fall, wo es bezüglich der wichtigsten Frachtgüter eine Überschneidung zwischen der Straße und den anderen Verkehrsträgern gibt
  • Schiene und Wasserstraße überschneiden sich hingegen an vier von fünf Stellen.
  • Erhebliche Unterschiede in der durchschnittlichen Transportweite. Schiene und Wasserstraße transportieren ihre Frachten im Schnitt viel weiter als deutsche Lkw.
  • Das wichtigste Frachtgut deutscher Lkw wird im Schnitt nur 33 Kilometer weit transportiert. Kein wichtiges Frachtgut deutscher Lkw wird im Schnitt weiter als gut 180 Kilometer transportiert. Bei Schiene und Wasserstraße unterschreitet keines der wichtigsten Frachtgüter eine durchschnittliche Transportweite von gut 190 Kilometern.

Die Transportprofile von Straße und Schiene ergänzen sich. Die meisten Frachten, die auf der Straße bewegt werden, können nicht auf die Schiene verlagert werden – und umgekehrt.

Verkehrsträger Schiene: Nur begrenztes Potenzial

Schon lange fordern die Parteien in ihren Programmen zum Güterverkehr:

  • weniger Fracht mit Lkw
  • mehr Fracht mit der Bahn.

Das hat verschiedene Gründe:

  • verkehrspolitischer Art: z. B. weniger Staus auf Autobahnen,
  • ökologische: z. B. weniger CO2.

Zum Bestreben von Unternehmen, Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern, lesen Sie bitte unseren Beitrag „Güterverkehr auf die Schiene: Für viele Unternehmen ein Fremdwort“.

Doch viel passiert ist nach Erkenntnis der IW-Wissenschaftler nicht – und kann es bis auf Weiteres kaum. Das liegt laut IW-Studie an folgenden Umständen.

  • Infrastruktur: bereits mit dem heutigen Verkehrsaufkommen überfordert; viele Straßen und Brücken sind baufällig oder sanierungsbedürftig.
  • Bahn und Schiff transportieren überwiegend Massengut über weite Strecken.
  • LKW werden stark im Verteilerverkehr in der Fläche genutzt. Anders als Zug oder Schiff kann der Lkw dank dem ausgebauten Straßennetz so gut wie jedes mögliche Ziel anfahren.

Großteil des Gütertransports für den Bau

Lkw liefern vorwiegend auf kurzen Etappen baunahe Materialien und verderbliche Lebensmittel aus.

  • Baunahe Güter sorgen für annähernd die Hälfte der von deutschen Lkw bewegten Tonnage.
  • Natursteine, Sand und Kies sorgen bei deutschen Lkw allein für mehr Fracht, als alle anderen Verkehrsträger zusammen bewegen. Hinzu kommen Baustoffe und Bauschutt.
  • Bauboom: Das Frachtaufkommen aus den drei baunahen Gütergruppen wuchs zwischen 2010 und 2019 um mehr als 228 Millionen Tonnen.
  • Binnenschiff 2019: 205 Millionen Tonnen.
  • Widersprüchliche Politik: Es besteht der Trend, dass Kommunen ortsnahe Abbaugenehmigungen für Steine oder Kies nicht mehr verlängern. In der Folge stieg die durchschnittliche Transportweite des wichtigsten Frachtgutes zwischen 2011 und 2019 um fast fünf Kilometer. Der daraus resultierende Zuwachs in Tonnenkilometern entspricht fast vier Prozent der gesamten Gütertransportleistung der Schiene.

Bevorzugte Massengüterverkehre

Ein tieferer Blick auf die bevorzugten Massengüterverkehre lohnt sich. Steine werden auf der Straße transportiert, Erze auf Schiene und Wasserstraße. Erze, Steine, Erden und sonstige Bergbauerzeugnisse gehören bei allen Verkehrsträgern zu den fünf wichtigsten Frachtgütern. Dennoch sind die Transporte dieser Güter auf verschiedenen Verkehrsträgern kaum zu vergleichen.

  • Bei der Schiene machen Eisenerze fast 47 Prozent der Tonnage in der Gütergruppe Erze, Steine und Erden, sonst. Bergbauerzeugnisse aus – beim Lkw sind es 0,04 Prozent.
  • Auch die Transportweiten sind sehr unterschiedlich.
  • Natursteine, Sand, Kies etc. werden auf dem Lkw im Durchschnitt 32 Kilometer weit transportiert. Auf der Schiene sind es 221 Kilometer.
  • In der niedrigen Transportdistanz spiegelt sich die weitgehend flächendeckende Versorgung mit Baurohstoffen wider.
  • Eine weitere Verringerung der Zahl der Abbaustätten für Sand und Steine würde Transportdistanzen und Emissionen spürbar erhöhen.

Aus diesen Fakten schließen die Autoren der Studie, dass der Verlagerung im Güterverkehr derzeit enge Grenzen gesetzt sind aus folgenden Gründen:

  • Finanzierung: die Verbesserung der Infrastruktur von Straßen- und Schienennetz würden große finanzielle Mittel erfordern. Bis diese umgesetzt sei, vergingen noch Jahre nicht zuletzt aufgrund begleitender juristischer und organisatorischer Herausforderungen.
  • zunehmender B2C-Onlinehandel: immer mehr kleinteilige Waren werden umgeschlagen, die eher für den flexiblen, feinverteilenden Transport auf der Straße geeignet seien.
  • abnehmender Transport von Massengütern wie Kohle und Mineralölerzeugnissen per Bahn.

Multimodaler Verkehr gewinnt an Bedeutung

Der Studie zufolge ist eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene in größerem Umfang kurzfristig also nicht möglich. Alle Prognosen deuteten stattdessen darauf hin, dass der LKW auch noch 2050 das wichtigste Transportmittel sein werde.

Dabei hatten noch 2018 Bahn-Wettbewerber sich zuversichtlich gezeigt in Bezug auf eine Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene, wie Sie unserem damaligen Beitrag „Bahn-Wettbewerber legen im Güterverkehr auf der Schiene zu“ entnehmen können. Auch könnten der noch 2021 festgestellte Zuwachs an reaktivierten stillgelegten Bahnkilometern und Initiativen interessierter Berufsverbände für den Ausbau von Gleisanschlüssen wesentliche Voraussetzungen dafür sein. Lesen Sie hierzu unsere Beiträge „Schiene doch kein Auslaufmodell für Transport?“ und „Mehr Gleisanschlüsse im Schienenverkehr gefordert“.

Ein wichtiges Nadelöhr in der Verlagerungsdiskussion bildet der Brenner-Verkehr. Eine Branchenveranstaltung im Mai 2022 zeigte Voraussetzungen auf, unter denen eine nachhaltige Verlagerung nicht nur der alpquerenden Güterverkehre auf die Schiene und übrigens auch auf die Wasserstraße möglich wäre. Dazu erfahren Sie alles Wissenswerte in dem Beitrag „Ohne Standardisierung keine Verlagerung beim Güterverkehr“.

Resultate der Erhebung

Federführend bei der Studie war IW-Chefvolkswirt Thomas Puls. Er interpretiert die Resultate der Erhebung wie folgt:

„Eine qualitativ hochwertige und umfassende Abdeckung mit Güterverkehrsleistungen wird nur möglich sein, wenn die Stärken der einzelnen Verkehrsträger in einem Gesamtsystem kombiniert werden. Ein Gegeneinander von Straße, Schiene und Wasserstraße ist der sichere Weg zum Scheitern, denn keiner der Verkehrsträger ist auf absehbare Zeit in der Lage, die Transportaufgaben eines anderen zu übernehmen.”

Neben mehr multimodalem Verkehr empfiehlt das Autorenteam der Verkehrspolitik:

  • den verstärkten Einsatz von klimaneutralen Antriebskonzepten im Güterverkehr, um so die Klimaziele zu erreichen
  • Sanierung maroder Verkehrswege: Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland hat nach vielen Jahren der Unterfinanzierung großen baulichen Nachholbedarf. Das gilt für Straße und Schiene gleichermaßen. Die Investitionen müssen nun stetig erhöht und dauerhaft gesichert werden – für alle Verkehrsträger.
  • Stärkung des Zusammenspiels der Verkehrsträger. Die Schnittstelle zwischen den Verkehren in Form des Kombinierten Verkehrs muss gefördert werden. Dieser erlaubt es den Spediteuren, die Stärken der Systeme zu vereinen.
  • engere Kooperation Deutschlands hinsichtlich des Güterverkehrs mit seinen Nachbarn, eine europäische Hafenpolitik und den gezielten Ausbau von Transportkorridoren; die Wahl eines Verkehrsträgers bei Langstreckentransporten wird von der Lage in verschiedenen Ländern bestimmt. Eine europäische Hafenpolitik und der gezielte Ausbau von Güterkorridoren müssen vorangebracht werden.
Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)