21.07.2022

EU: Förderung von Wasserstofftechnologie im Verkehr

Früher galt Wasserstoff als Vorbote der Apokalypse – heute reißen sich alle um seine Nutzung. Sogar die EU-Kommission, sonst knauserig bei Förderzusagen, macht für das Kleinstgas jetzt eine Ausnahme. Vor allem im Verkehr will sie Wasserstoff-Entwicklungen nicht im Wege stehen.

Wasserstofftechnologie im Verkehr

Wertschöpfungskette der Wasserstofftechnologie

Forschung und Innovation für die erste gewerbliche Nutzung in der Wertschöpfungskette der Wasserstofftechnologie – die Europäische Kommission macht sie jetzt zur Chefsache. Vor allem will sie erstmals den Einsatz von auf Wasserstoff gestützte Verkehrstechnologien ermöglichen. Nach den EU-Beihilfevorschriften hat sie ein wichtiges Vorhaben von „gemeinsamem europäischem Interesse“ (Important Project of Common European Interest – IPCEI) genehmigt. Das Vorhaben heißt dementsprechend „IPCEI Hy2Tech“. Fünfzehn Mitgliedstaaten – darunter Deutschland – haben es gemeinsam vorbereitet und bei der Kommission zur Genehmigung angemeldet, heißt es in einer Mitteilung der Kommission. Das IPCEI soll rund 20.000 direkte Arbeitsplätze schaffen.

Mobilisierung privater Investitionen

Die Mitgliedstaaten werden demnach bis zu 5,4 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln mit dem Segen der EU bereitstellen. Dadurch dürften zusätzliche private Investitionen von 8,8 Milliarden Euro mobilisiert werden. 35 Unternehmen, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, nehmen dabei an 41 Vorhaben teil. Unter den Unternehmen finden sich kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Start-up-Unternehmen.

IPCEI
IPCEI

Die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager, hob das enorme Zukunftspotenzial von Wasserstoff hervor. Er sei für die Diversifizierung der Energiequellen und den ökologischen Wandel unverzichtbar. Investitionen in solche innovativen Technologien könnten jedoch für einen Mitgliedstaat oder ein Unternehmen allein riskant sein. Hier hätten die Vorschriften über staatliche Beihilfen für IPCEI eine Rolle zu spielen. Das jetzt genehmigte Vorhaben sei ein Beispiel für eine wirklich ehrgeizige europäische Zusammenarbeit für ein zentrales gemeinsames Ziel. Vestager: „Es zeigt, wie die Wettbewerbspolitik bahnbrechende Innovationen unterstützt.“

Großer Teil der Wertschöpfungskette der Wasserstofftechnologie

Das IPCEI soll einen großen Teil der Wertschöpfungskette der Wasserstofftechnologie abdecken:

  • Wasserstofferzeugung,
  • Brennstoffzellen,
  • Speicherung, Transport und Verteilung von Wasserstoff
  • Anwendungen für Endverbraucher, insbesondere im Mobilitätssektor.

Es soll den Weg für wichtige technologische Durchbrüche bereiten, angestrebt beispielsweise mit Blick

  • auf neue hocheffiziente Materialien für Elektroden,
  • leistungsfähigere Brennstoffzellen und
  • innovative Verkehrstechnologien.

Prüfung durch Kommission

Die Kommission hat das geplante Vorhaben nach den EU-Beihilfevorschriften geprüft, insbesondere nach ihrer Mitteilung über wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse. Wenn es wegen der signifikanten Risiken solcher Vorhaben an privaten Initiativen zur Förderung bahnbrechender Innovationen fehlt, können die Mitgliedstaaten laut der IPCEI-Mitteilung diesem Marktversagen begegnen, indem sie die Finanzierungslücke gemeinsam schließen. Gleichzeitig stellen demnach die Vorgaben sicher, dass die EU-Wirtschaft insgesamt von den Investitionen profitiert und mögliche Wettbewerbsverzerrungen begrenzt werden.

Die Kommission ist insbesondere aus folgenden Gründen zu dem Ergebnis gekommen, dass das IPCEI Hy2Tech alle in der Mitteilung festgelegten Voraussetzungen erfüllt:

  • Es sei auf eine strategische Wertschöpfungskette ausgerichtet. Es sei für die Zukunft Europas und die Ziele wichtiger politischer EU-Initiativen wie des Grünen Deals, der EU-Wasserstoffstrategie und von REPowerEU von entscheidender Bedeutung.
  • Alle 41 Vorhaben im Rahmen des IPCEI seien sehr ehrgeizig. Ihr Ziel bestehe darin, Technologien und Verfahren zu entwickeln, die über den derzeit auf dem Markt verfügbaren Stand hinausgehen. Sie würden große Verbesserungen hinsichtlich Leistung, Sicherheit und Umweltschutz ermöglichen.
  • Das IPCEI berge überdies erhebliche technologische und finanzielle Risiken. Deswegen sei eine öffentliche Förderung erforderlich, um Investitionsanreize für Unternehmen zu schaffen.
  • Beihilfen für einzelne Unternehmen seien auf das erforderliche und angemessene Maß beschränkt. Sie bewirkten daher keine übermäßige Verfälschung des Wettbewerbs. Die Kommission habe sich insbesondere vergewissert, dass die geplanten Beihilfehöchstbeträge mit den beihilfefähigen Kosten der Vorhaben und den Finanzierungslücken im Einklang stehen. Außerdem sorge der Rückforderungsmechanismus dafür, dass die Unternehmen einen Teil der erhaltenen Steuergelder an die betreffenden Mitgliedstaaten zurückzahlen, wenn große Vorhaben im Rahmen des IPCEI erfolgreich sind und zusätzliche Nettoerträge abwerfen.
  • Die beteiligten Unternehmen, die die öffentliche Förderung erhalten, geben die Ergebnisse des Vorhabens an die europäische Wissenschaftsgemeinschaft und viele andere Unternehmen aus anderen Ländern weiter. Auf diese Weise erziele ganz Europa positive Spill-over-Effekte.

Daher sei die Kommission zu dem Schluss gelangt, dass das Vorhaben mit den EU‑Beihilfevorschriften vereinbar ist.

Finanzierung, Empfänger und Beträge

Die 35 Unternehmen der 41 IPCEI-Vorhaben sind in einem oder mehreren Mitgliedstaaten tätig. Dazu zählen auch acht kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Neugründungen. Die direkten Teilnehmer sollen untereinander und mit über 300 externen Partnern aus Europa wie z. B. Hochschulen, Forschungseinrichtungen und KMU in zahlreichen geplanten Vorhaben zusammenarbeiten. Für dieses IPCEI gelten unterschiedliche zeitliche Vorgaben nach Maßgabe der einzelnen Vorhaben und der beteiligten Unternehmen. Informationen über die Höhe der Beihilfen für die einzelnen Teilnehmer will die Kommission in der öffentlich zugänglichen Fassung des Kommissionsbeschlusses veröffentlichen, sobald man mit den Mitgliedstaaten und Dritten Einvernehmen über etwaige vertrauliche Geschäftsgeheimnisse erzielt habe, die aus der öffentlichen Fassung entfernt werden müssten.

Eine nachhaltige europäische Wasserstoffindustrie

Die Genehmigung dieses IPCEI ist Teil umfassenderer Bemühungen der Kommission, die Entwicklung einer innovativen und nachhaltigen europäischen Wasserstoffindustrie zu unterstützen. 2018 richtete sie das Strategische Forum für IPCEI ein, dem Vertreter der Mitgliedstaaten und der Industrie angehören. Laut dem im November 2019 veröffentlichten Bericht des Strategischen Forums zählen Wasserstofftechnologien und ‑systeme zu den strategischen Wertschöpfungsketten für Europa. Im Juli 2020 veröffentlichte die Kommission ihre EU-Wasserstoffstrategie, in der sie ehrgeizige Ziele für die Erzeugung und Nutzung von sauberem Wasserstoff festgelegt und die Europäische Allianz für sauberen Wasserstoff ins Leben gerufen hat. Diese soll die europäische Wasserstoffgemeinschaft zusammenbringen aus:

  • Industrie,
  • Zivilgesellschaft,
  • Behörden.

Europäischer Grüner Deal

Zusammen mit den im europäischen Grünen Deal festgelegten politischen Prioritäten, insbesondere in Bezug auf die ökologische Nachhaltigkeit und den ökologischen Übergang der Industrie und des Verkehrs zur Klimaneutralität, hätten diese Initiativen eine wichtige Rolle für die Ziele des IPCEI Hy2Tech gespielt und den Aufbau von Industriepartnerschaften erleichtert. Der jetzige Genehmigungsbeschluss sei der erste, der sich auf die IPCEI-Mitteilung von 2021 stütze. In dieser legte die Kommission fest, unter welchen Voraussetzungen mehrere Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Artikels 107 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (VAEU) gemeinsam grenzübergreifende Vorhaben unterstützen können, die für die EU von strategischer Bedeutung sind. Die Mitteilung soll die Mitgliedstaaten dazu ermutigen, hochinnovative Vorhaben zu fördern, die einen klaren Beitrag zum Wirtschaftswachstum, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Wettbewerbsfähigkeit leisten.

IPCEI ergänzt andere Beihilfevorschriften

Die IPCEI-Mitteilung ergänzt andere Beihilfevorschriften wie die Leitlinien für Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen, die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung und den Unionsrahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation (F&E&I), die die Förderung innovativer Vorhaben ermöglichen und gleichzeitig gewährleisten, dass etwaige Wettbewerbsverzerrungen begrenzt sind.

Sie ermögliche zudem Investitionen in Forschung, Entwicklung und Innovation (FuEuI) und für die erste gewerbliche Nutzung unter der Voraussetzung, dass die geförderten Vorhaben hoch innovativ sind und nicht die Massenproduktion oder kommerzielle Tätigkeiten abdecken. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse müssten in der gesamten EU verbreitet werden und Spill-over-Effekte bewirken. Ferner sei eine eingehende wettbewerbsrechtliche Prüfung erforderlich, um unverhältnismäßige Wettbewerbsverfälschungen zu vermeiden.

Sobald alle Fragen im Zusammenhang mit dem Schutz vertraulicher Daten geklärt sind, wird die nichtvertrauliche Fassung dieses Beschlusses unter den Nummern der Wettbewerbssachen im Beihilferegister auf der Website der Generaldirektion (GD) Wettbewerb veröffentlicht:

  • 64625 Österreich,
  • 64651 Griechenland,
  • 64642 Belgien,
  • 64644 Italien,
  • 64640 Tschechien,
  • 64649 Niederlande,
  • 64633 Dänemark,
  • 64626 Polen,
  • 64646 Estland,
  • 64753 Portugal,
  • 64632 Finnland,
  • 64635 Slowakei,
  • 64671 Frankreich,
  • 64624 Spanien
  • 64647 Deutschland.

Breton: Resilienz, Beschäftigung und Wachstum in Europa

Der für den Binnenmarkt zuständige Kommissar Thierry Breton ergänzte: „Die Förderung der Entwicklung und Einführung der Wasserstofftechnologie bringt uns nicht nur bei unseren Zielen im Hinblick auf den ökologischen Wandel und die Resilienz voran, sondern unterstützt auch die Beschäftigung und das Wachstum in Europa.“ Sie ermögliche den Übergang energieintensiver Industrien zu sauberen Energien und eine größere Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Mit diesem IPCEI gelinge in der Wasserstofferzeugung der Übergang vom Labor zur Produktion, sodass Unternehmen durch die technologische eine wirtschaftliche Führungsposition erlangen können. Breton: „Natürlich fördern wir die Wasserstofftechnologie nicht nur durch Finanzmittel.“ Man habe durch die europäische Allianz für sauberen Wasserstoff entscheidende Fortschritte beim Aufbau von Partnerschaften erzielt und entwickele nun Regeln für den Aufbau des Wasserstoffmarkts und der Wasserstoffinfrastruktur in der gesamten EU. Breton: „Wir wissen, worum es hier geht: die führende Stellung Europas bei der Umstellung der Industrie auf Wasserstoff.“

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)