19.07.2022

Einkäufer besorgt um Lieferkette und Kostendruck

Zwei Jahre Pandemie, Krieg in der Ukraine, Energiekrise – derlei Schicksalsschläge bleiben nicht ohne Wirkung, schon gar nicht auf den Einkauf der Unternehmen. Bei aller Nachhaltigkeit – sie sorgen sich jetzt hauptsächlich um ihre Lieferketten und den gestiegenen Kostendruck.

Lieferkette und Kostendruck

Nachhaltigkeit etwas aus dem Fokus geraten

  • 83 Prozent der Einkäufer sorgen sich um die Sicherung der Lieferketten,
  • 72 Prozent um den stark gestiegenen Kostendruck.

So das Ergebnis der Umfrage „Nachhaltigkeit im Einkauf“, die Expense Reduction Analysts zusammen mit dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) unter 216 Teilnehmern durchgeführt hat. Durch zwei Jahre Pandemie, den Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise sei das Thema Nachhaltigkeit mit 31 Prozent der Prioritäten der Unternehmen etwas aus dem Fokus geraten. Der Druck auf Kosten und Lieferketten sowie steigende Nachhaltigkeitsanforderungen habe zu einer Förderung des Re-Designs von Produkten geführt.

Weiterhin wichtig seien zudem:

  • die Digitalisierung
  • der Umgang der Unternehmen mit dem Fachkräftemangel.
Nachhaltigkeit im Einkauf
Nachhaltigkeit im Einkauf

Kosteneinsparungen gehen zu Lasten von Nachhaltigkeit

„Die Studie zeigt deutlich, dass monetäre Aspekte immer noch Vorrang haben vor Nachhaltigkeitskriterien“, sagt Matthias Droste, Länderchef Deutschland, Österreich und Schweiz von Expense Reduction Analysts. Expense Reduction Analysts wurde 1992 gegründet und ist auf die dauerhafte Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von mittelständischen Unternehmen, Einrichtungen der öffentlichen Hand und Non Profit Organisationen (NPO) spezialisiert. Mit mehr als 800 Partnern in über 40 Ländern unterstützt Expense Reduction Analysts seine Kunden mit einer umsetzungsorientierten Beratungsdienstleistung in den Feldern Sachkostenoptimierung, IT & Digitalisierung, Rohstoffeinkauf & Global Sourcing, Abgabenoptimierung (EEG, Berufsgenossenschaftsbeiträge), Personal, Marketing, Supply Chain Management, Produktions- und Prozesskosten sowie Unternehmensfinanzierung.

Ein Grund seien die derzeitigen weltweiten Krisenherde. Droste: „Im Moment machen Unternehmen das Dringende vor dem Wichtigen. Dennoch bleiben Nachhaltigkeit und die Reduzierung des CO2-Ausstoßes die Themen des Jahrzehnts.“ Laut den vorliegenden Studienergebnissen setzten viele Unternehmen aufgrund der zugespitzten geopolitischen Weltlage ihre Schwerpunkte neu, assistiert die BME-Bundesvorstandsvorsitzende Gundula Ullah. Das biete ihnen die Chance, Nachhaltigkeit in das Krisenmanagement mit einzubeziehen, „gerade weil die angespannte Versorgungslage alle dazu zwingt, Dinge neu zu denken“, so Ullah.

Nachhaltigkeit: mangelnde Transparenz, Standards und Kennzahlen

Ein weiterer Grund, warum Unternehmen bei Nachhaltigkeitsaktivitäten nicht schneller voranschreiten, sind fehlende Transparenz, Standards und Kennzahlen. Droste: „Hier sehen wir ganz deutlich den Gesetzgeber gefordert, klare und nachvollziehbare Rahmenbedingungen zu schaffen, an denen sich Unternehmen verlässlich orientieren können.“ Da 49 Prozent nachhaltiges Wirtschaften als gesellschaftliche Aufgabe sehen, könnten so die Aktivitäten der Unternehmen deutlich beschleunigt werden. Bisher reden Unternehmen viel über Nachhaltigkeit. Allerdings wird noch nicht viel umgesetzt. Hier müssten Unternehmen unbedingt ansetzen, so die Studienautoren. Pandemie und Krieg hätten vielleicht die Prioritäten etwas verschoben, aber der Klimawandel bleibe langfristig eine existenzielle Herausforderung. Um resilienter und nachhaltiger zu werden, müssten Unternehmen neue Wege gehen. Das Produkt-Redesign könne ein Weg sein, ebenso wie neue Supply-Chain- und Sourcing-Strategien. Hier liege in der Zukunft der Fokus liegen, um steigende Kosten aufzufangen. Der Nachhaltigkeitsmarkt sei intransparent und unübersichtlich. Hier gebe es dringenden regulatorischen Handlungsbedarf von Seiten des Gesetzgebers. Unternehmen bräuchten Standards, um Investitionen in Mitarbeiter und Initiativen vorantreiben zu können.

ESG-Kriterien in Ausschreibungen Fehlanzeige

Treiber von Nachhaltigkeitsinitiativen rund um die Begriffe „Environmental, Social, Corporate Governance“ (ESG) ist in den meisten Unternehmen die Geschäftsführung. Deren Unterstützung sehen die Autoren der Studie dabei als Schlüssel zum Erfolg. Erst dann könne der Einkauf nachhaltig tätig werden. Jedoch:

  • nur 15 Prozent der Unternehmen haben feste ESG-Kriterien in ihren Ausschreibungen
  • sogar nur sieben Prozent setzen soziale oder ökologische Aspekte monetären gleich.

Folge: wenig externer Druck, Nachhaltigkeitsaktivitäten zu starten. Veränderungsdruck von Einkäuferseite gibt es eher weniger. Bisher gebe es kaum Fälle, wo Unternehmen Aufträge aufgrund fehlender Nachhaltigkeitsanstrengungen verloren hätten.

40 Prozent mit Nachhaltigkeitsbericht

Die noch geringe Durchdringungsquote steht laut Studie dabei im Widerspruch zum eigentlichen Selbstverständnis vieler Unternehmen.

  • 42 Prozent der befragten Unternehmen haben einen Nachhaltigkeitsbericht erstellt, obwohl nicht alle gesetzlich dazu verpflichtet seien.
  • Zudem seien 41 Prozent nach Nachhaltigkeits-Standards auditiert oder zertifiziert,
  • 23 Prozent veröffentlichen Nachhaltigkeitsaktivitäten auf gängigen Plattformen.

Nach Eigenaussage entspricht nachhaltiges Wirtschaften der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen. Demnach müssten Unternehmen hier die Anstrengungen deutlich intensivieren. Andererseits überprüfen Unternehmen zunehmend das eigene Produktdesign, um gleich mehrere Benefits zu kreieren – Kosten reduzieren, Lieferkettenkomplexität senken und nachhaltigere Produkte erstellen.

Allianz-Studie: Ukraine-Krieg beflügelt Energiewende

Unterdessen kommt eine Studie von Versicherer Allianz zu dem Ergebnis, dass die energiepolitischen Folgen des Ukraine-Krieges die grüne Energiewende beflügeln könnten. Das gelte demnach selbst dann, wenn Deutschland im Wettlauf um Unabhängigkeit im Energiesektor kurzfristig wieder mehr eigentlich unerwünschte Kohle bei der Stromerzeugung einsetze. Nach Einschätzung des Kreditversicherers Allianz Trade (früher Euler Hermes), auf den sich ein dpa-Bericht beruft, kann die Energiewende sogar weitaus erfolgreicher gelingen als bislang erwartet. „Mittelfristig dürften die ehrgeizigen Ziele Deutschlands den Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix sogar über das Maß hinaus steigern, das für die Erfüllung der Pariser Klimaziele bis 2035 erforderlich wäre“, zitiert die Agentur den Allianz-Trade-Chef für den deutschsprachigen Raum, Milo Bogaerts. Auch die große Export-Umfrage „Allianz Trade Global Survey“ hat gezeigt, dass das Thema Nachhaltigkeit bei vielen Exportunternehmen bisher nur eine Nebenrolle spielt.

Umbau von Abläufen des Stromsystems

Voraussetzung dafür sei allerdings ein kräftiger Umbau von Abläufen in zentralen Bereichen des Stromsystems. „Die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Erneuerbare-Energien-, Strom- und Wasserstoffnetze müssen konsequent vereinfacht und beschleunigt werden“, gibt dabei der Allianz-Energieexperte Markus Zimmer zu Protokoll. Darüber hinaus bedürfe der Infrastrukturausbau für Strom-, Gas- und Wasserstoffnetze dringend einer Koordinierung. „Ohne sie ist ein integrierter Systementwicklungsplan nicht zu erreichen“, so Zimmer. Der Ausbau der erneuerbaren Energien bringe erhebliche Wachstums- und Beschäftigungsvorteile mit sich.

Energieausbau treibt Beschäftigung

Schon der Ausbau der Stromerzeugungskapazität aus erneuerbaren Energien erfordere bis 2035 jährliche Investitionen von durchschnittlich 28 Milliarden Euro. Diese führten mittel- und unmittelbar zu jährlich 40 Milliarden Euro zusätzlicher Wertschöpfung, was aktuell mehr als einem Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes entspräche. „Zudem wird der Ausbau der erneuerbaren Energien von 2022 bis 2035 insgesamt durchschnittlich 440.000 Arbeitskräfte in Deutschland beschäftigen“, zitiert dpa die Ökonomen des Kreditversicherers.

Dass ein kurzfristig höherer Kohleeinsatz bei der Stromproduktion mit entsprechendem Anfall des klimaschädlichen Gases CO2 nicht die Klimaziele gefährdet, erklärt Allianz Trade mit der Funktionsweise des EU-Emissionshandelssystems. In dessen Rahmen führe ein zusätzlicher Kohleeinsatz zu einer Steigerung der Preise für CO2-Emissionen. Das bedinge wiederum weniger CO2-Emissionen in anderen Branchen. „In Anbetracht der hohen EU-Emissionshandelspreise ist es zudem sehr unwahrscheinlich, dass Kohle langfristig als Ersatz für russisches Gas dienen wird“, so Zimmer.

Ampelregierung: mehr Strom aus erneuerbaren Energien

Bis 2030 soll die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien nahezu verdreifacht werden. Das sieht das von der Ampelregierung vorgelegte „Osterpaket“ vor, der Startschuss für die nächste Phase der grünen Transformation in Deutschland. Wenn dies gelinge, nimmt nach Einschätzung von Allianz Trade Deutschland nicht nur eine Vorreiterrolle innerhalb Europas ein, sondern dürfte in den Genuss von zusätzlichem Wachstum und Arbeitsplätzen kommen. Dafür müssten demzufolge allerdings zahlreiche Herausforderungen gemeistert werden. Der Startschuss falle in eine schwierige Zeit, geprägt von Inflation und der Invasion in der Ukraine.

„Das Osterpaket könnte ein echter Job-Motor werden und in den kommenden zehn Jahren mehr als 400.000 Jobs schaffen“, ist auch Katharina Utermöhl überzeugt, Chefvolkswirtin bei Allianz Trade. Auch für die Wirtschaft dürfte es ihr zufolge mittelfristig das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Die Pläne seien „durchaus ehrgeizig“ und setzte auf dem Weg die Überwindung noch vieler Hürden voraus:

  • Bürokratiehemmnissen
  • Preissteigerungen,
  • Störungen der Lieferketten
  • Verknappung von Rohstoffen
  • Arbeitskräftemangel.

Investitionen der Privatwirtschaft

Zudem erfordere das Paket entsprechende Investitionen der Privatwirtschaft. „Wenn dies gelingt, ist das ein Wendepunkt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft“, so Utermöhl. Die Pläne und das damit verbundene Potenzial könnten ein Umdenken der Unternehmen bewirken, das Thema Nachhaltigkeit stärker zu priorisieren und ihre Nachhaltigkeitsstrategien zu schärfen.

„Die Invasion in die Ukraine hat zwar nicht zu ehrgeizigeren langfristigen Klimaziele geführt, aber zu einer deutlichen Beschleunigung der kurz- bis mittelfristigen Investitionsziele in erneuerbare Energien“, sagt Zimmer. „Zudem dürfte der Krieg in der Ukraine auch zu einer größeren Unterstützung dieser Pläne führen – sowohl in der Regierungskoalition als auch in der deutschen Bevölkerung. Beides ist ein entscheidender Erfolgsfaktor bei der Energiewende.“

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)