Deutsche Seehäfen: Kurzstreckenseeverkehre immer wichtiger
Ein Hafen, den man nur mit dem Schiff erreichen kann, ein Paradoxon? Eher eine Standortfrage. Sicher ist: Schiffe, die Küsten entlang verkehren, gewinnen an Attraktivität auch für Landtransporte. Dem Bundesamt für Güterverkehr zufolge legte der Seegüterumschlag per Kümo kräftig zu.

Ein- und ausgeladene Güter in deutschen Seehäfen
Von rund 165,6 Millionen Tonnen (t) im Jahr 2020 um rund 9,3 Prozent auf rund 181 Millionen t 2021 ohne Eigengewichte der Ladungsträger – so erhöhten sich die Mengen ein- und ausgeladener Güter in den deutschen Seehäfen im Kurzstreckenseeverkehr (KSSV), in der Regel mit Küstenmotorschiffen (Kümo). Sein Anteil am gesamten Seegüterumschlag deutscher Seehäfen stieg in dieser Zeit von rund 60,1 Prozent auf rund 62,7 Prozent – um so viel wie nicht mehr in den letzten zehn Jahren. Das teilt das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) mit. Als Ursache für die Zunahme gibt es hauptsächlich Basiseffekte an, nachdem die Seegüterumschläge 2020 im Zuge der Corona-Pandemie stark eingebrochen waren.
Welthandel und deutscher Außenhandel
Danach belebten sich 2021 Welthandel und deutscher Außenhandel wieder. Die Güterumschläge übertrafen im Kurzstreckenseeverkehr das Vorkrisenniveau aus dem Jahr 2019 um rund 0,2 Millionen t. Dagegen sei der Gesamtgüterumschlag deutscher Seehäfen um rund 5,9 Millionen t hinter seinem Ergebnis von 2019 zurückgeblieben. Ein Grund hierfür seien schwerwiegende Einschnitte in die globalen Lieferketten gewesen, die 2021 vor allem die Containerschifffahrt beeinträchtigten.
Umschlagsteigerungen wiesen im selben Jahr die innerdeutschen wie auch die internationalen Kurzstreckenseeverkehre auf. Aufkommensstärkste Handelspartner deutscher Seehäfen waren
- die Russische Föderation,
- Schweden und
- Norwegen.
Der Containerumschlag deutscher Seehäfen im Kurzstreckenseeverkehr erreichte rund 5,9 Millionen TEU, ein Plus von rund 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im RoRo-Verkehr schlugen die deutschen Seehäfen insgesamt rund 2,3 Millionen Lkw und unbegleitete Anhänger bzw. Sattelauflieger um, rund 11,8 Prozent mehr als 2020. Der Großteil entfiel dabei auf die deutschen Ostseehäfen.
SPC sieht Shortsea-Segment bestätigt
Das ShortSeaShipping Inland Waterway Promotion Center (SPC) sieht damit die Bedeutung des Shortsea-Segments, dass auch in den vergangenen Jahren regelmäßig mehr als 60 Prozent zum Umschlag der deutschen Seehäfen beitrug, eindrucksvoll bestätigt. Der Kurzstreckenseeverkehr erholte sich dabei nach der Corona-Pandemie deutlich schneller als der Überseeverkehr. Die Zuwächse betrafen demnach nahezu alle Fahrtgebiete. Besonders hohe Zuwächse verzeichneten Verkehre mit anderen Häfen:
- der Nordrange,
- im Nordafrikaverkehr südliches Mittelmeer,
- im Ostseeraum sowie
- bei innerdeutschen Verkehren.
Im Verkehr mit dem Vereinigten Königreich zeigte sich ein uneinheitliches Bild. Das zeigten Daten von Eurostat für 2021. Der Containerverkehr erholte sich nach dem Rückgang auf dieser Relation aufgrund von Brexit 2021. Derweil brachen die Verkehre mit flüssigen Massengütern um 36,5 Prozent ein. Keine Ladungsart erreichte 2021 das Volumen wie vor Brexit. Gegenüber 2020 ging der Verkehr über alle Ladungskategorien um 15,4 Prozent zurück, so das SPC. Zumal im seezerklüfteten Europa konkurrieren seit langem See- mit Landverkehren. Und das immer erfolgreicher und mit potentiell gleichen Transportvolumina, wie Sie unserem Bericht „Kurzstreckenseeverkehr Nordrange immer wichtiger“ entnehmen können.
Bedeutung des KSSV nicht auf EU beschränken
Für das SPC ist es richtig, die Bedeutung des KSSV nicht nur auf das Gebiet der EU-Staaten zu beschränken, sondern in seiner gesamten Dimension zu betrachten. Dazu zählten das geographische Europa und Nordafrika:
- Etwa drei Fünftel des KSSV (106,7 Millionen t) entfielen auf EU-Länder.
- Mit 25,5 Millionen Tonnen verzeichnet der Verkehr mit Schweden den höchsten Wert,
- gefolgt von Finnland mit 15,5 Millionen Tonnen und
- Dänemark mit 12,4 Millionen Tonnen.
Einen großen Anteil von knapp 65 Millionen t haben europäische Länder, die nicht Mitglied der EU sind:
- Hier war 2021 für die deutschen Seehäfen insbesondere die Russische Föderation mit einem Umschlagsanteil von 26,6 Millionen Tonnen der wichtigste Handelspartner,
- gefolgt von Norwegen mit 20,2 Millionen Tonnen und
- dem Vereinigten Königreich mit 12,9 Millionen Tonnen.
Weitere 9,4 Millionen Tonnen entfallen auf Drittstaaten wie z. B.
- Marokko,
- Algerien oder
- Ägypten.
Alle Ladungsarten im KSSV
Wie die Daten der BAG zeigen, bewegt der KSSV erhebliche Mengen aller Ladungsarten. Dieser Ladungsmix spiegelt sich in der breiten deutschen Hafenlandschaft wider. Von den 181 Millionen Tonnen Umschlagsvolumen im KSSV entfielen
- 78,8 Millionen Tonnen auf Massengüter
- 38,5 Millionen t. flüssig,
- 40,3 Millionen t. fest
- Im Containerverkehr wurden 52,4 Millionen Tonnen bzw. 5,9 Millionen TEU umgeschlagen und
- im RoRo-Verkehr 32,8 Millionen Tonnen mit rund 2,3 Millionen Fahrzeugen und Trailern jeweils ohne Eigengewichte der Ladeeinheiten.
- Darüber hinaus wurden 17 Millionen Tonnen konventionelles Stückgut ohne Ladungsträger umgeschlagen einschließlich Handelsware Automobil.
Unterschiede zwischen Nord- und Ostseehäfen
Mit Blick auf die Ladungsarten gibt es zwischen den Nord- und Ostseehäfen deutliche Unterschiede:
- Der Containerverkehr wird überwiegend in Nordseehäfen wie Hamburg, Bremerhaven und zunehmend auch Wilhelmshaven abgewickelt,
- das Gros der RoRo-Verkehre über die Ostseehäfen und hier insbesondere Kiel, Lübeck, Puttgarden und Rostock.
Das Containervolumen im KSSV kehrte 2021 etwa auf das Volumen vor der Pandemie zurück. Das der RoRo-Verkehr erreichte neue Rekordvolumina.
EU-Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität
„Insbesondere mit Blick auf das in der EU-Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität (Sustainable and Smart Mobility Strategy, SSMS) festgeschriebene Ziel der Europäischen Kommission, den Kurzstreckenseeverkehr gegenüber dem Jahr 2015 bis 2030 um 25 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent zu steigern, sieht das SPC laut seinem Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Nowak als Garant für die weitere Entwicklung des KSSV eine breit aufgestellte Hafenlandschaft in Deutschland an
- mit kurzen Distanzen,
- guter see- und landseitiger Erreichbarkeit und
- einem leistungsfähigen und breit gefächerten Dienstleistungsportfolio.
Der Aktionsplan zur Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität umfasst 82 Initiativen zur Senkung der Emissionen im Verkehrssektor bis 2050 um 90 Prozent. Es konzentriert sich auf:
- emissionsfreie Autos,
- Hochgeschwindigkeitszüge,
- automatisierte Mobilität und
- emissionsfreie Seeschiffe bis 2030.
Bis 2050 sollen dann emissionsfrei sein fast alle:
- Autos,
- Transporter,
- Busse sowie
- neue schwere Nutzfahrzeuge.
Lockdowns in chinesischen Häfen
Zu Beginn des Jahres 2022 wurde zunächst trotz der durch Lockdowns in chinesischen Häfen weiter belasteten Lieferketten eine weitere Erholung des Umschlagvolumens erwartet. Mit dem Krieg in der Ukraine brach seit Mitte Februar 2022 ein Teil des für den Kurzstreckenseeverkehr wichtigen Geschäfts mit der Russischen Föderation weg. Die regelmäßige direkte RoRo-Linie, die zuvor noch Lübeck mit St. Petersburg verband, wurde bereits Anfang März eingestellt.
Trotzdem war im ersten Quartal 2022, für das inzwischen detaillierte Daten bei Eurostat vorliegen, in den deutschen Häfen insgesamt noch ein Plus von 2,8 Prozent im Russland-Verkehr zu verbuchen. Das Handelsvolumen mit dem Vereinigten Königreich war dagegen, so das SPC, im ersten Quartal 2022 noch deutlich unter dem Niveau von 2021. Neben der Corona-Pandemie hat auch der Brexit diese Verkehre belastet. Positive Entwicklungen zeigten sich jedoch beispielsweise im RoRo-Verkehr mit Dänemark und Finnland, wo die guten Werte des Vorjahres im ersten Quartal noch einmal übertroffen wurden.
Energiepreise und damit verbundene Inflation
Im weiteren Jahresverlauf hätten sich die Aussichten durch die hohen Energiepreise und die damit verbundene Inflation insgesamt eingetrübt. Jüngste Daten des Statistischen Bundesamtes bis Juli 2022 zeigten das Gleiche beim Seeverkehr der deutschen Häfen vor allem im Stückgutverkehr, während der Import von Kohle und Rohöl im laufenden Jahr deutlich zunahmen. Laut Internationaler Energie-Agentur (IEA) wird der weltweite Kohleverbrauch 2022 einen neuen Höchststand erreichen, da die Energiekrise die Märkte erschüttere. Der weltweite Kohleverbrauch wird im Jahr 2022 voraussichtlich um 1,2 Prozent steigen, erstmals acht Milliarden Tonnen in einem einzigen Jahr überschreiten und den bisherigen Rekord von 2013 übertreffen, so Coal 2022, der jüngste jährliche Marktbericht der IEA über den Sektor.
Basierend auf den aktuellen Markttrends prognostiziert der Bericht, dass der Kohleverbrauch dann bis 2025 auf diesem Niveau stagnieren wird, da Rückgänge in reifen Märkten durch eine anhaltend robuste Nachfrage in den asiatischen Schwellenländern ausgeglichen werden. Dies bedeutet, dass Kohle weiterhin die mit Abstand größte Einzelquelle für Kohlendioxidemissionen im globalen Energiesystem sein wird.
Im Ergebnis stand im Vorjahresvergleich ein Minus von 1,4 Prozent. In der Entwicklung der monatlichen Umschlagszahlen der größten deutschen Containerhäfen ist die Auswirkung des Ukraine-Krieges besonders deutlich zu erkennen. Kumuliert bis zum Februar lagen die deutschen Häfen noch knapp über dem Vorjahresniveau. Im Zeitraum März bis August lag das Umschlagvolumen dagegen 5,8 Prozent unter dem Vorjahresniveau, wie es in der Mitteilung des SPC mit Bezug auf den ISL Monthly Container Port Monitor heißt.
Wachstumsziele für den KSSV
„Wir erwarten trotzdem, dass der Anteil des KSSV am Gesamtumschlag 2022 wieder bei rund 60 Prozent liegen wird. In den kommenden Jahren rechnet das SPC mit Blick auf die in der SSMS festgeschriebenen Wachstumsziele für den KSSV in den deutschen Seehäfen wieder mit einem Wachstum. Mehr Transport über den Wasserweg sei gewünscht. Dies leiste einen bedeutenden Beitrag zur Erreichung des Ziels einer 90-prozentigen Reduktion der Emissionen des Transportsektors in der EU bis 2050. „Daher ist es sehr wichtig, dass die Hinterlandanbindungen zu und von den Häfen über beste Voraussetzungen verfügen, vor allem in Bezug auf den Zustand der Infrastruktur und Zuverlässigkeit. Nicht nur auf der Straße, sondern auch auf den Wasser- und Schienenwegen, denn der Hinterlandverkehr entscheidet mit über die Frage, ob ein Transport über den Seeweg geht oder nicht“, meint Nowak abschließend.