Deutsche Einkäufer reagieren auf Corona-Epidemie
Jetzt reagiert auch die Einkäufer-Gilde auf die weltweite Virus-Epidemie, die ihren Ausgang in China nahm. Mit Task-Force-Einheiten wollen Einkäufer, Logistiker und Supply-Chain-Manager sich vor schlimmsten Auswirkungen schützen. Die Versorgung mit Medizin stockt bereits.

Maßnahmen zum Schutz von Einkauf und Logistik
Mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen wappnen sich derzeit deutsche Einkäufer, Logistiker und Supply Chain Manager gegen die negativen Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie in China. Das teilt der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) mit.
„In vielen der betroffenen Unternehmen werden Task-Force-Einheiten gebildet, die mögliche Störungen der Lieferketten schnell aufspüren und zeitnah beheben sollen“, sagte der China-Beauftragte des BME, Riccardo Kurto, am 24.02.2020 in Eschborn.
Risikomanagement bei Beschaffung in Fernost
Der Einkauf wisse um seine Verantwortung. Das Risikomanagement wende derzeit viel Zeit für die genaue Überprüfung der Beschaffungsaktivitäten in China und Ostasien auf. Einige Unternehmen würden gemeinsam mit ihren chinesischen Lieferanten bestehende oder drohende Lieferengpässe in der Volksrepublik untersuchen und geeignete Notfallpläne entwickeln, so Kurto.
Dazu gehöre die Analyse von Ausmaß und möglicher Dauer der Epidemie. Sie prüften zudem, wie lange Unternehmen auf ausbleibende oder sich verzögernde Sendungen von Rohstoffen und Produktionsmaterial ohne größere finanzielle Einbußen warten könnten. Weitere Aufgabe sei die Prüfung alternativer Verkehrsträger, um Transportausfällen oder -verzögerungen rechtzeitig entgegenzuwirken.
Untersuchung alternativer Lieferquellen
Wie der BME aus seinem Mitgliedernetzwerk in China erfahren haben will, erschließen Unternehmen derzeit alternative Lieferquellen in anderen Teilen der Welt. Dazu stünden die Firmen in engem Kontakt mit ihrer chinesischen Zuliefererbasis. Geschäftspartner des BME hätten berichtet, dass ihre Lagerbestände mittlerweile einen kritischen Punkt erreichten.
„Deshalb ordern sie fehlendes Produktionsmaterial vereinzelt von alternativen Lieferanten außerhalb Chinas – so beispielsweise von Zulieferbetrieben aus Europa“, erläutert Kurto.Dieser Lösungsweg habe jedoch nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf Logistik und Lieferkette der Auftraggeber. Sie gelte es zu berücksichtigen.
Nicht massive, aber empfindliche Störung durch Virus
Auf Nachfrage des BME hätten mehrere deutsche Industrieunternehmen bestätigt, dass ihre Geschäftsaktivitäten in China durch die Coronavirus-Epidemie – wenn nicht massiv, so zumindest empfindlich – gestört seien. Bereits geschlossene Fabriken würden aufgrund der Quarantänebestimmungen nur sehr langsam wieder hochgefahren – und das auch nur mit begrenzter Mannschaft.
Die meisten Lieferanten arbeiteten nicht mit voller Kapazität. Daher müsse man die Produktionszahlen senken. Einige Firmen teilten mit, sie könnten kein Personal zur Durchführung von Freigabeinspektionen schicken. Das verzögere die Lieferungen nach Europa weiter. Manche Unternehmen hielten die zur Produktion benötigten, industriellen Rohstoffe in größeren Mengen auf Lager. Ob es demnächst zu gravierenden Versorgungsengpässen beim Nachschub komme, hänge von der Dauer der Epidemie ab. In jedem Fall werde diese Situation dazu führen, dass Unternehmen sowohl ihre Lieferantenstruktur als auch das Bestandsmanagement der für die Produktion notwendigen Rohstoffe und Komponenten einer grundlegenden Analyse für die Zukunft unterziehen werden.
Kurto betonte, dass sowohl das Verständnis der deutschen und europäischen Unternehmen für die dramatische Situation in der größten Volkswirtschaft der Welt als auch deren Solidarität mit dem chinesischen Volk sehr groß sei. Die chinesischen Lieferanten täten alles, was in ihrer Macht stehe, um mit dieser Situation fertig zu werden.
Europas Versorgung mit Arzneien bedroht
Unterdessen nehmen Besorgnisse von Pharmaexperten zu, Produktionsausfälle bei der Herstellung von Arzneien in China wegen des Coronavirus könnten schlimmstenfalls zu Antibiotika-Engpässen in Deutschland führen. Die Herstellung von Wirkstoffen in der stark betroffenen Provinz Hubei stehe still. Deswegen schwänden die Lagervorräte für die Weiterverarbeitung, sagte Morris Hosseini, Pharmaexperte bei der Beratungsgesellschaft Roland Berger, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Kurzfristig reichten die Antibiotika-Lagerbestände aus, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Doch bei einem längerfristigen Stopp in den chinesischen Werken drohten Lieferengpässe. Weltweit sei die Pharmabranche in der Wirkstoffproduktion abhängig von China.
Herstellung von Arznei in Europa lohnt sich nicht
Die Herstellung in Europa lohne sich nicht. So würden etwa Vorstufen der Penicilline vorwiegend in der Volksrepublik produziert. Die Provinz Hubei mit der Hauptstadt Wuhan sei zwar nicht der einzige, aber ein maßgeblicher Standort für die Wirkstofferstellung, so Hosseini.
Im Fall von Lieferengpässen könnten indische Produzenten einspringen, aber nicht kurzfristig in der benötigten Größenordnung. In Deutschland würden etwa nötige Vorstufen von Antibiotika seit dem Produktionsende am Pharmastandort Frankfurt Höchst 2017 gar nicht mehr hergestellt.
Es lägen allerdings „bislang keine Hinweise vor, dass es aufgrund des Coronavirus zu kurzfristigen Liefer- oder Versorgungsengpässen kommen wird“, zitiert das Netzwerk das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn.
Lieferprobleme bei Arzneien wie Schilddrüsenmitteln oder Schmerztabletten in Deutschland stehen unabhängig vom Coronavirus immer wieder in der Kritik. Viele Wirkstoffe werden in wenigen Betrieben nur noch in Asien hergestellt. Seit Ende der 1980er Jahre beschaffen Pharmakonzerne viele Wirkstoffe immer mehr aus China. Dort hat man mit staatlichen Subventionen Produktionskapazitäten aufgebaut – und das fällt jetzt der medizinischen Versorgung anderswo auf die Füße, und letztlich womöglich dem Verbraucher.