Corona: Anforderungen an Einkauf ändern sich fast täglich
Hohe Dynamik, schnelle Organisation, Kontrolle – die Pandemie des Covid19 stellt die Unternehmen vor große Herausforderungen. Vor allem Einkauf und Lieferketten ändern sich derzeit täglich. Den Industriesektor haben die Maßnahmen zur Bekämpfung rasant einbrechen lassen.

Dramatische Rückgänge bei Produktion und Auftragseingängen
Die jüngsten Daten von IHS Markit und BME zum Einkaufsmanager-Index sind alarmierend. Wie der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) mitteilt, signalisieren sie dramatische Rückgänge bei Produktion und Auftragseingängen. Der Branchenverband führt dies in großem Maße zurück auf:
- schwache globale Nachfrage
- erheblichen Störungen der Lieferketten.
Der saisonbereinigte IHS Markit/BME-Einkaufsmanager-Index (EMI) fiel demnach im März auf 45,4 Punkte nach dem 13-Monatshoch von 48,0 im Februar. Allerdings hat ein markanter Anstieg der Lieferzeiten den Rückgang des Hauptindex‘ dabei abgefedert. Längere Lieferzeiten seien normalerweise ein Zeichen höherer Auslastung. Doch im Zeichen von Corona ist offenbar alles anders. Da sei die Zunahme im März eindeutig eine Folge der massiven Unterbrechungen der Lieferketten in Folge der Coronavirus-Pandemie gewesen, heißt es in der Pressemitteilung des BME unter Berufung auf den englischen Finanzdienstleister IHS Markit in London.
Täglich mehr Herausforderungen an die Unternehmen
Wie der BME weiter mitteilt, stiegen mit den rasant steigenden Zahlen an Infizierten täglich auch die Herausforderungen an die Unternehmen, Einkäufer und Supply Chain Manager. Der Verband befragte seine Fachgruppen-Mitglieder nach den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Eine interaktive Sitzung am 01.04.2020 habe ergeben, dass sich die aktuelle Situation und die neuen Anforderungen an den Einkauf und die Lieferketten derzeit täglich ändern.
Olaf Holzgrefe, Leiter International des BME: „Diese hohe Dynamik zu organisieren und zu kontrollieren, ist eine große Herausforderung.“Was gestern noch unkritisch war, könne sich heute schon komplett geändert haben.
Die Krise erreicht Stück für Stück immer mehr Unternehmen. Stand Montag 30. März:
- 50 Prozent der befragten Unternehmen aus mittelständischen Betrieben und Konzernen bezeichneten die Auswirkungen der Krise als „nicht spürbar oder leicht“,
- 27 Prozent meldeten „spürbare Auswirkungen“,
- bereits 23 Prozent „starke bis kritische Auswirkungen“.
- Einzelne Industrien unterschieden sich dabei.
Hot Spots Italien, Spanien, China
Bei der Befragung falle Italien ins Auge. Das Land stellt über 35 Prozent der Unternehmen vor Herausforderungen. Ebenfalls im Fokus der Lieferkettenbetrachtung der Einkäufer ist Spanien. Mit Blick auf China ergebe sich ein nicht ganz einheitliches Bild. Ein Teil der Befragten habe auch in den vergangenen Monaten keine Herausforderungen in den Lieferketten verzeichnen müssen.
Andere Unternehmen u.a. im Bereich von IT-Ware und Produktionsmaterialien ständen immer noch vor Schwierigkeiten. Ein nicht unerheblicher Teil der Unternehmen spürten allerdings bereits eine Verbesserung der Situation.
Holzgrefe: „Die Unsicherheit ist groß; und neben den aktuellen Problemen in Europa und China, beschäftigen die Einkäufer im direkten Gespräch zunehmend die Fragen: Was passiert in den USA? Und welche Entwicklung ist möglicherweise in Indien zu erwarten?“
Lieferverzögerungen größtes Problem
Mit knapp 70 Prozent sind Lieferverzögerungen derzeit das größte Problem deutlich vor dem Lieferausfall mit noch knapp zehn Prozent. Als weitere Herausforderungen unter Fernerliefen ohne Prozentangaben nennt der BME:
- Preiseerhöhungen
- Insolvenzen
- Unsicherheit
- Verlässlichkeit von Planung
- Lieferterminzusagen
- Auftragsbestätigung
- operative Herausforderungen in der Lieferkette
- Liquidität.
„Es lässt sich aktuell schwer voraussagen, ob es bei der Lieferverzögerung bleibt oder ob daraus doch ein Lieferausfall entwickeln kann,“ so Judith Richard, Referentin der Fachgruppe „Lieferantenmanagement“ des BME.
Vollkommen neue Herausforderungen durch Corona
Neu an dieser Krise seien vollkommen neue Herausforderungen wie z.B.:
- dezentrales Arbeiten
- Home Office
- Beschaffung von Schutzausrüstungen und Hygieneartikeln für die Belegschaft
Interessant sei dabei, dass deutsche Unternehmen hier teilweise ihren Lieferanten finanziell helfen, selbst Schutzausrüstungen zu kaufen.
Die Einkäufer hätten zudem darauf hingewiesen, dass die Luftfrachtpreise aus China extrem steigen. Überdies verknappte die Bevorzugung von Hygieneartikel die Kapazitäten zusätzlich. Wie vernetzt die Logistikketten sind, zeigt die Aussage eines Einkäufers:
„Für unser Unternehmen hat auch die Einstellung der Fährschifffahrt auf dem Mittelmeer Folgen, fallen doch durch die Fährschiffe wichtige Frachtkapazitäten weg.“
Schub für Digitalisierung, Ende von Just-in-time?
Zurzeit könnten Einkäufer nur reagieren, nicht agieren. Aber erste Trends zeichnen sich ab. Einzelne Unternehmen bauten Lagerbestände auf oder rückten vereinzelt von Just in Time ab. Einigkeit bestehe bei einer Mehrheit der befragten Unternehmen, dass diese Krise das Thema Digitalisierung beschleunigen werde – unter anderem auch, um mehr Transparenz in der Lieferkette zu erhalten. Die Frage, wie lange sich diese Krise auswirken werde, beantworteten die vom Einkäuferverband befragten Unternehmen mit dem Hinweis:
„Die Überwindung der Krise ist das eine, bis wir wieder auf dem Niveau von 2019 eine ganz andere Frage.“