22.07.2019

Schwerbehinderte Beschäftigte: Pflicht zur Wiedereingliederung

Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung derart mitzuwirken, dass er die/den Beschäftigte/n entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans beschäftigt, wenn besondere Umstände nachweisbar vorliegen, die eine entsprechende Beschäftigung nicht zulassen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht am 16. Mai 2019.

schwerbehinderte Beschäftigte

Hindernisse bei der Wiedereingliederung

Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Dies war bis Ende 2015 in § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX (alte Fassung) gleichermaßen geregelt. In einem nach der alten Fassung des SGB IX zu entscheidenden Fall vertrat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 16.05.2019 – AZR 590/17 folgende Auffassung:

Die Stadt Frankfurt/M. als Arbeitgeberin war nicht verpflichtet, den schwerbehinderten Angestellten entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans vom 28. Oktober 2015 in der Zeit vom 16. November 2015 bis zum 15. Januar 2016 zu beschäftigen. Zwar kann der Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung derart mitzuwirken, dass er die/den Beschäftigte/n entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans beschäftigt. Im Fall des Klägers lagen allerdings besondere Umstände vor, aufgrund derer die beklagte Stadt ihre Zustimmung zum Wiedereingliederungsplan vom 28. Oktober 2015 verweigern durfte. Es bestand aufgrund der Beurteilung der Betriebsärztin vom 12. Oktober 2015 die begründete Befürchtung, dass der Gesundheitszustand des Klägers eine Beschäftigung entsprechend diesem Wiedereingliederungsplan nicht zulassen würde. Die begründeten Zweifel an der Geeignetheit des Wiedereingliederungsplans ließen sich auch nicht bis zum vorgesehen Beginn der Maßnahme ausräumen.

Was war geschehen?

Der schwerbehinderte Kläger ist bei der Stadt Frankfurt/M. als Technischer Angestellter beschäftigt. Von August 2014 bis einschließlich 6. März 2016 war er arbeitsunfähig erkrankt. Am 21. September 2015 untersuchte die Betriebsärztin ihn mit dem Ergebnis, dass eine stufenweise Wiedereingliederung zur vorsichtigen Heranführung an die Arbeitsfähigkeit mit bestimmten Einschränkungen in der Tätigkeit befürwortet wurde. Unter Vorlage des Wiedereingliederungsplans seines behandelnden Arztes vom 28. Oktober 2015 beantragte der Angestellte bei der Stadt die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben im Zeitraum vom 16. November 2015 bis zum 15. Januar 2016. Der Wiedereingliederungsplan des behandelnden Arztes sah keine Einschränkungen in der Tätigkeit vor. Als absehbaren Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit gab der behandelnde Arzt den 18. Januar 2016 an.

Der Arbeitgeber lehnte diesen Wiedereingliederungsplan am 5. November 2015 mit der Begründung ab, dass ein Einsatz des Klägers im bisherigen Aufgabengebiet/Tätigkeitsbereich wegen der in der betriebsärztlichen Beurteilung aufgeführten Einschränkungen nicht möglich sei. Dem vom Angestellten vorgelegten zweiten Wiedereingliederungsplan, der eine Wiedereingliederung in der Zeit vom 4. Januar bis zum 4. März 2016 vorsah und dem ein Bericht der behandelnden Psychologin beilag, wonach Einschränkungen in der Tätigkeit nicht mehr bestanden, stimmte die Stadt nach erneuter – nun positiver – Beurteilung durch die Betriebsärztin zu. Diese Wiedereingliederung war erfolgreich, der Kläger erlangte am 7. März 2016 seine volle Arbeitsfähigkeit wieder.

Wie verhielten sich die Gerichte?

Der Kläger fordert von der Stadt Frankfurt/M. den Ersatz der Vergütung, die ihm in der Zeit vom 18. Januar bis zum 6. März 2016 dadurch entgangen ist, dass sie ihn nicht entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans vom 28. Oktober 2015 beschäftigt hat. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage auf die Berufung des Klägers im Wesentlichen stattgegeben. Die Revision der beklagten Stadt hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.

Autor*in: Werner Plaggemeier (langjähriger Herausgeber der Onlinedatenbank „Personalratspraxis“)