04.10.2016

Erschließung durch Privatstraße (OVG Niedersachsen, 24.03.2015 – 9 LB 57/14)

Bauleitplanung: Urteile und Beschlüsse

Leitsatz

  1. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung bietet einem Grundstückseigentümer dann keinen besonderen wirtschaftlichen Vorteil i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG-ND, wenn sein Grundstück nicht an diese öffentliche Einrichtung grenzt, sondern an eine zwischen ihr und dem Grundstück liegende selbstständige Erschließungsanlage. Dabei ist es unerheblich, ob diese weitere Straße ihrerseits nach dem Straßenausbaubeitragsrecht der Gemeinde in den Kreis der beitragsfähigen Anlagen einbezogen werden darf.
  2. Die grundbuchmäßige Selbstständigkeit einer Privatstraße ist keine Voraussetzung dafür, sie als selbstständige Erschließungsanlage anzusehen.
  3. Zur Abgrenzung einer selbstständigen Erschließungsanlage von einer unselbstständigen Zuwegung.

(OVG Niedersachsen, Urteil vom 24.03.2015 – 9 LB 57/14)

Sachverhalt

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu Vorausleistungen auf den Straßenausbaubeitrag für die Straße B.-Straße im Stadtgebiet der beklagten Gemeinde. Er ist Eigentümer der Grundstücke E.-Weg 4–12. Der E.-Weg ist ein Privatweg, der von der B.-Straße abzweigt. Er besteht zunächst aus dem ca. 58 m langen Flurstück der Gemeinde, das nicht als Straße gewidmet ist. Dieses verbreitert sich von 4,20 m im Einmündungsbereich auf etwa 5 m. Die Fahrbahn setzt sich in dieser Breite hinter dem gemeindlichen Flurstück auf den sich anschließenden beiden Grundstücken des Klägers bis zum Ende des Grundstücks E.-Weg 9 fort. Ab dort führt …

Kommentar der Herausgeber (Kunze/Welters)

Die wirtschaftliche Indienstnahme der Bürger durch die Gemeinden führt oft zu Verstimmungen und dann zu unnötigen Verfahren. Im konkreten Fall sollen Anlieger einer Privatstraße zu den Straßenausbaubeiträgen der nächstgelegenen kommunalen Straße herangezogen werden. Hierzu hat das OVG Niedersachsen in seinem rechtskräftigen Urteil geklärt, dass bei einer Inanspruchnahme grundsätzlich die nächste Erschließungsstraße maßgebend ist; und das kann im Einzelfall auch eine Privatstraße sein.

Ob es sich um eine selbstständige Erschließungsanlage oder um eine unselbstständige Zuwegung handelt, hängt entscheidend von ihrer Länge und Erscheinungsform ab: Ist die Privatstraße länger als 100 m oder knickt sie vor Erreichen dieser Länge in etwa rechtwinklig ab oder verzweigt sie sich, gilt sie als selbstständige Erschließungsstraße. Eine Indienstnahme für den Ausbau der nächsten gewidmeten Straße ist nicht zulässig.

Bei dieser Einschätzung ist es unerheblich, ob es sich um ein einziges (ungewidmetes gemeindliches) Flurstück oder um mehrere Grundstücke mit unterschiedlichen Eigentümern handelt. Entscheidend ist die Funktion als wegemäßige Erschließung.

Hinweis für die Praxis

Im Bereich der Erschließung weniger Wohngebäude auf den letzten 100 m kann es zur Entlastung der Gemeinden und der Anlieger durchaus sinnvoll sein, die Verantwortung hierfür den Anwohnern zu belassen. In diesem Fall sollten die Gemeinden einvernehmlich mit den Anliegern den Rechtscharakter anhand von allgemeingültigen Kriterien vor der Durchführung von Baumaßnahmen festlegen.

Autor*innen: Kunze , Hartmut Welters (Prof. Dipl.-Ing., Architekt und Stadtplaner. Mitinhaber des Architektur- und Stadtplanungsbüros Post-Welters, Dortmund/Köln. Professor für „Stadtbereichsplanung und Wohnbau" an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM Gießen).)

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