20.03.2015

Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Unterbringung von Flüchtlingen

Das Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen ist nach der Verkündigung am 26.11.2014 in Kraft getreten.

Maßnahmen im Bauplanungsrecht

Die Kommunen sind gegenwärtig bei der Bewältigung der stark angestiegenen Zuwanderung von Flüchtlingen aus außereuropäischen Krisengebieten in die Bundesrepublik Deutschland tendenziell überfordert. Um den Gemeinden die Durchführung ihrer Aufgaben zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber das aktuelle Änderungsgesetz zum Baugesetzbuch beschlossen.

Das Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht ist nach der Verkündigung am 26.11.2014 in Kraft getreten.

 

Änderungen im Baugesetzbuch

  • 1 Abs. 6 Nr. 13 BauGB: Zu berücksichtigende Belange
  • 31 Abs. 2 BauGB: Erweiterung der Befreiungstatbestände
  • § 246 BauGB: Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte

 

Unabhängig von den Sonderregelungen bei der Zulässigkeit von Flüchtlingsunterkünften haben die Gemeinden die Möglichkeit, im Rahmen der Bauleitplanung die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die genannten Anlagen durch entsprechende Festsetzungen zu schaffen.

Zu berücksichtigende Belange

Die Liste der bei der Aufstellung von Bauleitplänen in § 1 Abs. 6 BauGB zu berücksichtigenden Belange wird um „die Belange von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung“ nach Nr. 13 ergänzt. Damit sind diese Belange bei der Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen zu berücksichtigen.

Durch die Aufnahme der Belange von Flüchtlingen in die Grundsätze der Bauleitplanung sind diese Belange in jedem Aufstellungsverfahren zu berücksichtigen. Hierbei geht es um eine städtebauliche Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer Ansiedlung. Es ist sicherlich nicht zweckdienlich, bei jedem Bebauungsplan zu begründen, warum gerade in diesem Plangebiet keine Flüchtlinge angesiedelt werden können.

Aus der Neubewertung der Belange von Flüchtlingen kann sich die Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 BauGB ergeben, Bebauungspläne zur Unterbringung neu aufzustellen oder bestehende Bauleitpläne mit entsprechender Zielsetzung zu ändern.

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Befreiungen

Nach der Ergänzung in § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB um den Passus „einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden“ liegen Gründe des Wohls der Allgemeinheit im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB auch bei der Errichtung und Erweiterung von Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden sowie bei der Nutzungsänderung bestehender baulicher Anlagen in Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden vor. Das sich daraus ergebende besondere öffentliche Interesse an der Schaffung solcher Anlagen hat Bedeutung für eine möglicherweise erforderliche Befreiung von bestehenden Festsetzungen eines Bebauungsplans und die dabei notwendige Bewertung der Zumutbarkeit in Bezug auf die nachbarlichen Interessen.

Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte

Kernstück der Änderung des Baugesetzbuchs sind die Sonderregelungen nach § 246 Abs. 8 bis 10 BauGB, die bundesweit einheitlich, jedoch befristet bis zum 31.12.2019 gelten. Durch diese Regelungen wird die unmittelbare Genehmigungsfähigkeit von Flüchtlingsunterkünften gegenüber der bisherigen Rechtslage deutlich ausgeweitet.

Durch die Erweiterung der Genehmigungsfähigkeit kann die Aufstellung eines Bebauungsplans mit obligatorischer Beteiligung der Öffentlichkeit in vielen Fällen entbehrlich sein. Von daher empfiehlt die Bundesregierung in der Begründung des Gesetzes, bei Anwendung dieser Normen im Genehmigungsverfahren die Möglichkeiten einer informellen Beteiligung der Öffentlichkeit zu nutzen.

 

Sonderregelungen nach § 246 Abs. 8 bis 10 BauGB

  • 8: Zulässigkeit nach § 34 Abs. 3a BauGB
  • 9: Begünstigung nach § 35 Abs. 4 BauGB
  • Abs. 10: Unterbringung in Gewerbegebieten

 

Nutzungsänderung im Innenbereich: Die im unbeplanten Innenbereich gegebene Möglichkeit der Abweichung vom Erfordernis des Einfügens nach § 34 Abs. 3a BauGB wird auf die Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung zulässigerweise errichteter Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude erweitert, sofern diese zur Unterbringung von Flüchtlingen dienen sollen. Hierbei geht es insbesondere um die Nutzungsänderung bestehender Gebäude im unbeplanten Innenbereich.

Das mögliche Abweichen vom Erfordernis des Einfügens betrifft lediglich die planungsrechtliche Seite. Inwieweit sich die Gebäude bauordnungsrechtlich für die avisierte Nutzung eignen, bleibt dabei unbenommen. Aufgrund der befristeten Maßnahme können hier temporäre Duldungen und Erlaubnisse herangezogen werden.

Unterbringung im Außenbereich: Für Vorhaben, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen, gilt die Rechtsfolge des § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB, wenn das Vorhaben im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit einem bebauten Ortsteil innerhalb des Siedlungsbereichs erfolgen soll. Damit wird insbesondere die Möglichkeit eröffnet, Außenbereichsflächen im Innenbereich ohne städtebauliche Planung für die Errichtung von Unterkünften zu nutzen.

Den nach § 35 Abs. 4 BauGB begünstigten oder auch teilprivilegierten Vorhaben kann nicht entgegengehalten werden, dass sie den Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB sind.

Die definitorische Grenze zwischen Splittersiedlung und Ortsteil kann nicht immer scharf gezogen werden. Inwieweit hiernach schon vorhandene Siedlungsansätze zu einem „richtigen“ Ortsteil positiv weiterentwickelt werden können, wird sich in der Praxis erweisen. Ebenso könnte ein Bedarf entstehen, bauliche Anlagen im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit einem bebauten Ortsteil außerhalb des Siedlungsbereichs für Unterkünfte umzunutzen; beispielsweise Teile von alten Hofstellen.

Unterbringung in Gewerbegebieten: Die Bereitstellung von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften ist eine dringende gesetzliche Aufgabe. Diese Einrichtungen stellen aber wegen ihrer besonderen Eigenarten häufig Fremdkörper in jedem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung dar. Standortentscheidungen sind daher sehr stark einzelfallabhängig.

Eine solche Einzelfallentscheidung soll künftig in Gewerbegebieten über eine Befreiung von Festsetzungen ermöglicht werden. Nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO können bisher ausnahmsweise Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke zugelassen werden. Da wohnähnliche Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende vielfach nicht als Anlagen für soziale Zwecke angesehen werden, besteht nunmehr die Möglichkeit einer zielgerichteten Befreiung.

Diese Befreiung ist an zwei Voraussetzungen gebunden: In dem Geltungsbereich der Gewerbegebiete sollen Anlagen für soziale Zwecke ausnahmsweise zulassungsfähig oder in Verbindung mit § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauNVO allgemein zulässig sein und die Befreiung soll auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar sein.

Die Befreiung nach § 246 BauGB ist im Gegensatz zu einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht an den Tatbestand gebunden, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden.

Ist die Vorschrift der ausnahmsweise möglichen Zulassungsfähigkeit für die aufgeführten baulichen Anlagen in einem Bebauungsplan explizit ausgeschlossen, kann sie auch nicht durch die Sonderregelung aktiviert werden. Ebenso können die Gemeinden bei der Aufstellung von Bebauungsplänen ihre planerische Absicht künftig in der Form artikulieren, dass sie unter Berücksichtigung der Belange von Flüchtlingen derartige bauliche Anlagen – damit auch die Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen – in einem Plangebiet ausschließen.

Bei der Prüfung, ob eine entsprechende Ausnahme erteilt werden kann, wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob die beantragte Flüchtlingsunterkunft mit den jeweils zulässigen Betrieben im Gewerbegebiet verträglich ist. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Nutzungen im Gewerbegebiet im Hinblick auf ihre Emissionen und verkehrlichen Auswirkungen so gegliedert sind, dass es Bereiche gibt, in denen eine wohnähnliche Nutzung nicht unzumutbar gestört wird und von dieser wohnähnlichen Nutzung auch keine unzumutbaren Beeinträchtigungen für zulässige gewerbliche Nutzungen ausgehen.

Inkrafttreten/Außerkrafttreten

Die Änderung des Baugesetzbuchs tritt nach der Verkündigung dauerhaft in Kraft. Lediglich die Sonderregelungen nach § 246 Abs. 8 bis 10 BauGB sind auf den Zeitraum bis zum 31.12.2019 befristet. Demnach entfalten diese Sonderregelungen ab dem Jahr 2020 keine Wirksamkeit mehr.

Zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens der Sonderregelungen schon genehmigte Maßnahmen können noch entsprechend der Baugenehmigung durchgeführt werden.

Die Zulässigkeit der auf der Grundlage dieser Änderung des Baugesetzbuchs geschaffenen Einrichtungen zur Unterbringung von Flüchtlingen ist von der Befristung nicht betroffen; ein materiell zulässigerweise errichtetes oder genutztes Gebäude hat Bestandsschutz, auch wenn sich die rechtlichen Maßstäbe für die Zulässigkeit des Bauens am Standort ändern.

Allerdings bleibt die Nachnutzung oder die möglicherweise erforderliche Alternativnutzung bei einem überraschenden Fortzug der privilegierten Nutzergruppen dieser zum Wohnen hergerichteten baulichen Anlagen offen. Einer Nutzungsänderung zugunsten nicht privilegierter Nutzergruppen stehen zwar die üblichen planungsrechtlichen Belange entgegen, inwieweit aber gerade die Inanspruchnahme von Außenbereichsflächen ohne weitere planungsrechtliche Steuerung wieder rückabwickelbar ist, muss die Praxis zeigen.

Den von der möglichen Aufgabe derartiger Institutionen an begünstigten Standorten betroffenen Kommunen wird empfohlen, rechtzeitig durch Bauleitplanung im Hinblick auf eine spätere Nachnutzung nachzusteuern. Hierbei kann eine zeitlich bedingte Festsetzung nach § 9 Abs. 2 BauGB zur Anwendung kommen.

Autor*in: Ronald Kunze (Ronald Kunze, Dr.-Ing., Assessor für Städtebau, Stadtplaner IfR/SRL, Fachautor für Städtebau und Planungsrecht, war Lehrbeauftragter, leitete die Ortsplanungsstelle Leipzig und arbeitet heute als freischaffender Stadtplaner und Fachredakteur. Büro für Städtebau und Kommunalberatung, Langenhagen. Mitherausgeber „Das Praxishandbuch der Bauleitplanung und des Städtebaurechts“ (WEKA))