11.10.2020

TRGS 460: In vier Schritten zum Stand der Technik

Die TRGS 460 ist neu gefasst worden und zeigt, wie bei Gefahrstoffen der Stand der Technik zu ermitteln ist. Damit sollen die Akteure des Arbeitsschutzes fortschrittliche Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen einsetzen, mit denen vorgegebene Sicherheits- und Schutzziele erreicht werden können.

Stand der Technik nach TRGS 460

Tätigkeiten mit Bezug zu Gefahrstoffen können in der Praxis durch unterschiedliche Betriebs- und Verfahrensweisen realisiert werden. Diese sind u. a. von der Branchenzugehörigkeit, der Betriebsgröße (Industrie, Handwerk) sowie der Relevanz dieser Tätigkeit (Haupt- oder Nebentätigkeit) abhängig. Die TRGS 460 konkretisiert § 2 Absatz 15 GefStoffV und zeigt, in welchen Schritten der Stand der Technik zu ermitteln ist.

Beschreiben Sie den Tätigkeitsbereich

Klären Sie im ersten Schritt, ob die Betriebs- und Verfahrensweisen, die Sie zur Ermittlung des Standes der Technik heranziehen, auch wirklich vergleichbar sind. Beschreiben Sie möglichst eindeutig die Tätigkeiten mit Gefahrstoffen nach festgelegten Kriterien und in einem standardisierten fachbezogenen Rahmen. Die notwendige Abgrenzung des Arbeitssystems (welche Aspekte sind zu berücksichtigen und welche nicht?) ist im „Wissenschaftlichen
Hintergrundpapier“ aufgeführt. Die einzelnen Tätigkeiten können Sie wie folgt voneinander abgrenzen:

  • Ziel der Tätigkeit, wobei die Arbeitsaufgabe klar benannt sein muss
  • Zuordnung zur Branche
  • Einrichtbetrieb oder Instandhaltung?
  • Stoffe, die zum Einsatz kommen oder bei der Tätigkeit gebildet werden, und ihre Eigenschaften
  • Vorhandene Schutzmaßnahmen
  • Explosionsgefährdungen, vorhandene oder möglicherweise sich bildende explosionsfähige Gemische
  • Auftretende Expositionen
  • Verwendete Arbeitsmittel
  • Spezielle Qualifikationsanforderungen, Sachkunde der Arbeitnehmer
  • Tätigkeitsspezifische Gefährdungen

Erfassen Sie Betriebs- und Verfahrensweisen

Im nächsten Schritt müssen die in der Branche üblichen, praktisch umgesetzten Betriebs- und Verfahrensweisen recherchiert und aufgelistet werden. Berücksichtigen Sie dabei auch die eigene betriebliche Lösung und nutzen Sie das in der TRGS 460 angehängte Leerdokument („Praxishilfe“).

Damit können Sie die unterschiedlichen Betriebs- und Verfahrensweisen, die der gleichen Tätigkeit dienen, erfassen. Dabei handelt es sich in der Regel um Kombinationen von Einzelmaßnahmen, die mit spezifischen Expositionshöhen, erforderlichen Schutzmaßnahmen sowie konkurrierenden Schutzaspekten einhergehen. In der Praxishilfe
sind einerseits die notwendigen Beurteilungs- und Vergleichskriterien in übersichtlicher Form zusammengefasst dargestellt. Andererseits können in diese Praxishilfe die zum späteren Vergleich anstehenden Betriebs- und Verfahrensweisen direkt eingetragen werden. Die Abfrage der Beurteilungskriterien mithilfe der Praxishilfe macht deutlich, welche Kriterien gegebenenfalls nachträglich ermittelt werden müssen (z. B. Expositionshöhen), um einen Vergleich der Betriebs- und Verfahrensweisen inhaltlich zu stützen.

Quellen für Betriebs- und Verfahrensweisen

Um die branchenüblichen Betriebs- und Verfahrensweisen zu identifizieren, nutzen Sie die nachfolgenden aktuellen Quellen:

  • Stoff- und verfahrensspezifische Technische Regeln, z. B. TRGS 500 ff. und TRGS 700 ff.
  • Vorschriften und Regeln sowie Informationen der DGUV und der gesetzlichen Unfallversicherungsträger
  • Ergänzende Vergleichsmethoden (z. B. Spaltenmodell nach TRGS 600 „Substitution“, dort Anlage 2 Nr. 1)
  • Leitlinien der Länder, Informationsschriften der Vollzugsbehörden
  • Normen, Vornormen
  • Wissenschaftliche Schriften, Expertisen
  • Informationen aus Branchen- und Fachzeitschriften
  • Informationsschriften der Industrieverbände/Innungen/Handwerkskammern
  • Weitere Standardisierungsprodukte (z. B. VDI-Richtlinien, DIN SPEC)

Ermitteln Sie ergänzende Informationen

Jetzt verfügen Sie über einen sehr guten Überblick über die in Ihrer Branche genutzten Betriebs- und Verfahrensweisen. Nun gilt es, den Blick über den berühmten Tellerrand zu heben und zu prüfen, wie in anderen Branchen gearbeitet wird und ob dort unter Umständen gute Lösungen zur Verfügung stehen. Als Industriebetrieb können Sie z. B. auch vom Handwerk lernen und natürlich umgekehrt. Der Gesetzgeber will damit erreichen, dass sich Innovationen in einer Branche schnell auf andere übertragen und damit über alle Branchen hinweg der Stand der Technik schneller weiterentwickelt wird. Achten Sie jedoch darauf, dass es dabei nicht um grundsätzlich mögliche, sondern ausschließlich um erprobte Betriebs- und Verfahrensweisen geht.

Gewichten und bewerten Sie

Um die im zweiten Schritt gefundenen Lösungen sinnvoll miteinander vergleichen zu können, müssen die Beurteilungsparameter und -maßstäbe gewichtet werden.

Wegen ihrer rechtlichen Bedeutung müssen Sie mindestens die nachfolgenden Beurteilungsgrundsätze zwingend beachten und entsprechend gewichten:

  • Verwendungsbeschränkungen und -verbote
  • Substitutionsgebot
  • Einhaltung staatlicher Grenzwerte und anderer Beurteilungsmaßstäbe
  • Expositionsminimierung
  • Vermeidung oder Einschränkung gefährlicher explosionsfähiger Gemische
  • Vermeidung der Entzündung gefährlicher explosionsfähiger Gemische
  • Beschränkung der Auswirkung einer Explosion auf ein unbedenkliches Maß
  • Zuverlässigkeit von Maßnahmen (z. B. TOP-Rangfolge)

Neben diesen verbindlichen Beurteilungsgrundsätzen sollten Sie je nach Einzelfall weitere Grundsätze ebenfalls berücksichtigen. Zum Beispiel ist eine inhärent sichere Maßnahme in der Regel höher zu bewerten als eine additiv wirksame, das bedeutet, eine betrieblich nachgerüstete Schutzmaßnahme. Wenige Maßnahmen mit hoher Verfügbarkeit können für Ihren Betrieb außerdem einen höheren Gewinn an Sicherheit darstellen als zahlreiche Maßnahmen mit geringer Verfügbarkeit.

Schlussendlich ist es nicht immer sinnvoll, Maßnahmen beliebig zu addieren. Denn so können neue Gefährdungsquellen entstehen (Wechselwirkungen). Dies wiederum schränkt die Zuverlässigkeit des Gesamtsystems ein.

Am Ende steht Ihre Entscheidung

Den Abschluss der Prozedur bildet dann Ihre bewusste Entscheidung für bestimmte Einrichtungen, Verfahren und Betriebsweisen, die Sie zum Stand der Technik erklären.

Begründen Sie Ihre Entscheidung nachvollziehbar, indem Sie mindestens eine Betriebs- und Verfahrensweise und ihre Wirkung zum Stand der Technik erklären. Es empfiehlt sich, diesen „Stand der Technik“ mit einem Erstellungsdatum zu versehen.

Autor*in: Markus Horn